© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Die im Dunkeln sieht man nicht
JF-Reportage im Milieu: Nach Schätzungen sind 80 bis 90 Prozent der Huren in Deutschland zwangsprostituiert. Deren menschliches Elend ist groß, aber unbeachtet, die Nutznießer brutal – und der Staat naiv
Martina Meckelein

Kurfürstenstraße, Berlins ältester Straßenstrich seit knapp 100 Jahren. Nur ein paar hundert Meter lang. Hier stehen schon am frühen Tag Frauen und schaffen an. „Tag und Nacht finden Sie hier Damen zwischen 18 und 50 Jahren. Preise: 25 bis 50 Euro“, ist auf einer Liste mit Adressen und Karten zum Berliner Straßenstrich im Internet zu lesen.

„Die spinnen, diese Politiker“, sagt Sandra. „Ficken oder Blasen gibt es hier ab zehn Euro – und das ohne Kondom! Was soll das Prostituiertenschutzgesetz? Das bringt gar nichts.“ Währenddessen sitzt sie auf einer Backsteinmauer und knetet sich den bloßen rechten Fuß. „Mir tun vom langen Stehen die Ballen weh“, sagt die 44jährige Buchhalterin im Paillettenkleid mit den hohen Absätzen. „Früher, da konnte man noch Geld verdienen“, sagt sie. „Locker 150 Euro. Heute brauchst du dafür hier auf der Straße mindestens zehn Freier.“ Sandra erzählt, sie habe früher viel Geld gemacht. „Ich habe auch Steuern gezahlt. Doch dann kam das Finanzamt und hat mich neuveranlagt, ich sollte 75.000 Euro Steuern nachzahlen. Das konnte ich nicht. Jetzt bin ich in der Insolvenz.“

Deutschland das Bordell Europas – seit Rot-Grün

Auf dem Strich stünden viele Bulgarinnen und Mädchen aus Rumänien, sagt Sandras Bekannte. „In Wirklichkeit sind das Zigeuner“, behauptet sie, „und die Mädels sind oft 14 oder 16 Jahre alt. Kein Zimmer, kein Bett haben die zum Ausruhen. Die schlafen in Autos.“ Die „Mädchen“ tun Sandra leid, doch für deren Zuhälter findet sie kein gutes Wort. „Ein Zuhälter soll ein Beschützer sein, da machst du meinetwegen halbe-halbe. Aber die Typen heute, die kassieren alles ab. Die holen die Mädchen aus Rumänien. Dann kaufen sie für 40 Euro Klamotten aus dem Secondhand-Laden, und dann müssen die Mädchen ran. Das sind keine Zuhälter, das sind Arschlöcher.“

Die Herren, über die sich Sandra aufregt, sitzen in der Kurfürstenstraße draußen in den Cafés und Restaurants nahe bei ihren Mädchen. Fast ausschließlich mit Migrationshintergrund. Die Zuhälter nippen an ihrem Täßchen Mokka, die Beine weit von sich gespreizt, die Augen immer wieder auf ihre Frauen gerichtet. Über die sie wie Schießhunde wachen. Mit einer dieser Frauen auf der Straße – selbst wenn kein Auto mit einem potentiellen Kunden vorbeikommt – länger als fünf Minuten zu sprechen ist nicht möglich. Entweder erhebt sich einer der Herren aus seinem Stuhl und schlendert über die Straße und baut sich neben ihr drohend auf, oder sie selbst blickt ängstlich zu den breitschultrigen Herren vor den Cafés und bricht dann das Gespräch wie auf ein geheimes Zeichen ab.

Eine Anlaufstelle für diese ausgebeuteten Frauen ist die Beratungsstelle „Olga“ am Ende des Strichs. „Die sind nett, und das Essen ist gut und billig – einen Euro zahlst du“, sagt eine deutsche Prostituierte mit einem Zopf um den Kopf. „Da kriegst du auch sechs Kondome kostenlos.“ Aber schlafen können dort Huren nur bis 22 Uhr – dann schließt das „Olga“.


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In Deutschland sollen 400.000 Prostituierte arbeiten, 20.000 von ihnen sollen Männer sein. Eine Zahl, die keinen Beleg hat. Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts geistert sie durch die Presse. Das heißt, es sind Zahlen, die vor 30 Jahren erhoben wurden und sich nur auf das damalige Westdeutschland bezogen.

Experten schätzen, daß 80 bis 90 Prozent der Huren in Deutschland zwangsprostituiert sind (siehe auch Interview Seite 3). Viele sieht man nicht. Sie sind eingesperrt, arbeiten in Bordellen – rund 87 Prozent. Manche stehen auf dem Straßenstrich – rund 13 Prozent. Sind halbnackt, sommers wie winters, den Blicken der Freier und Passanten ausgesetzt. Eine entwürdigende Arbeit für die Frauen. Die Freier sitzen in ihren Autos, und die Zuhälter kassieren.

Eine Million Freier sollen es täglich sein. 14,5 Milliarden Euro Umsatz jährlich soll das Rotlichtmilieu in Deutschland erwirtschaften, so die Gewerkschaft Verdi und das Statistische Bundesamt. Dazu kommt noch das Kneipen-, Hotel- und Taxigewerbe, die auch daran partizipieren.

So einträglich das Geschäft mit der käuflichen „Liebe“ ist, so gefährlich ist es für die, die ihren Körper anbieten. Erst im Sommer 2017 erdrosselte ein 21jähriger Mann zwei Prostituierte in Nürnberg. Viele Morde an Prostituierten werden niemals aufgeklärt. Und nur zur Erinnerung: Die Honka-Morde in Hamburg wurden 1975 bei einem Hausbrand nur durch Zufall aufgedeckt. Drei der vier von dem alkoholkranken Nachtwächter Fritz Honka ermordeten und zerstückelten Prostituierten wurden nicht einmal vermißt.

Perfide auch der unkritische Umgang mit Zuhältern, Rockern, Frauenhassern und Mädchenmördern in der Presse und Teilen der Gesellschaft. Hier sei nur an den Österreicher Jack Unterweger erinnert. Der Dieb und Zuhälter ermordete bestialisch eine 18jährige in Herborn, wurde dafür zu einer lebenslangen Haft verurteilt und begann im Gefängnis das Schreiben. Von der intellektuellen Bussi-Bussi-Gesellschaft zum Augensternchen erklärt und als Aushängeschild für eine gelungene Resozialisierung gehandelt, kam er durch Petitionen wieder auf freien Fuß. Elf Morde an Prostituierten soll er danach begangen haben, für neun wurde er erstinstanzlich verurteilt. Kurz vor dem Urteil der zweiten Instanz erhängte er sich.


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Das Elend so vieler Prostituierter verschärfte sich schon 2002. Damals beschloß die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Prostitutionsgesetz, das die Sittenwidrigkeit der Prostitution aufhob und die Bereitstellung von Räumen nicht mehr unter strafbare Zuhälterei subsumierte. Das wiederum förderte Flat-Rate-Sex. Junge Mädchen aus Osteuropa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika überschwemmen seitdem den „Markt“. Sie werden zwangsprostituiert. Sex ohne Kondom ist der Standard. Die Preise verfielen. Deutschland wurde zum Bordell Europas.

In einschlägigen Internetforen tauschen sich Männer über die Qualitäten der Prostituierten in Bordellen aus. Ihre Beschreibungen lassen im Grunde nur ein Urteil zu: Es ist die Rede von sadistischer Vergewaltigungen. Und die Freier wissen genau, was sie tun. Zitate aus einem Forum: „Und ‘au, au’ hat sie auch laufend gesagt“. „... tat ihr der anale Eintritt dann auch ordentlich weh ... Aber mit ein bißchen Druck ging das dann bei den nächsten Malen auch durchaus im Hardcore-Style.“ Daß viele Frauen vollgepumpt sind mit Drogen, bemerken die Freier ebenfalls: „Sie ist devot und vermutlich unter Drogen.“ Über Prostituierte, die Kinder erwarten und noch anschaffen, beschwert sich ein anderer Kunde, der mißlaunig bemerkt, daß seine hochschwangere Hure nur noch für zwei Stellungen tauglich gewesen sei und öfter eine Pause gebraucht hätte.


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Am 21. Oktober 2016 hat der Bundestag das „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ beschlossen. Bekannt unter dem Namen Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Im Bundesanzeiger abgedruckt, ist es 15 Seiten stark und am 1. Juli vergangenen Jahres in Kraft getreten. Ziel des Gesetzes ist es, Gewerbetreibende und Verbraucher zu schützen – also Prostituierte und Freier. Alle Sexarbeiterinnen und -arbeiter, egal ob sie haupt- oder nebenberuflich dem Gewerbe nachgehen, müssen mindestens einmal im Jahr eine Gesundheitsberatung mitmachen. Da scheint es allerdings weniger um die Gesundheit der Frauen zu gehen.

Auch nicht um die ihrer Kunden. Denn der „Bockschein“, also ein amtsärztliches Gesundheitszeugnis, ist seit 2001 abgeschafft worden. Sondern es geht zum einen darum, durch Gespräche herauszuhören, ob die Prostituierte womöglich unter Zwang arbeitet, und zum anderen soll die Prostituierte registriert werden, damit sie Steuern zahlt. Monierte doch der Bundesrechnungshof im Januar 2014, daß er von einem milliardenschweren Umsatz im Rotlichtmilieu ausgehe, der Fiskus davon allerdings nichts abschöpfe. Prostituierte sollen künftig ebenso Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer zahlen wie Bäckermeister, Augenoptiker und Druckerpatronengeschäfte. Je nach Kommune auch Sexsteuer – nach Stunden oder Fläche.

Hohes Bußgeld für Freier – in der Theorie

Nun gibt es Gründe, warum Prostituierte eher seltener Steuern zahlen. Sie melden sich am Finanzamt ihres Wohnsitzes nicht an, weil sie oft gar keinen Schlafplatz oder eine Dusche und schon gar keinen festen Wohnsitz haben und somit der Finanzbeamte keine Adresse, an die er seine Aufforderung zur Abgabe des Steuerbescheides schicken könnte. Abgesehen davon können sie schlecht Rechnungen ausstellen. Wobei die Netzseite Prostitution2017.de darauf hinweist, daß „der Zweite Senat des Finanzgerichts Hamburg jetzt gerichtlich festgestellt hat, in welcher Art und Weise Sexworker bei ihrer Einnahmen-Überschuß-Rechnung die ‘Geschäftsvorgänge’ aufzeichnen müssen: es ist ein Kassenbuch zu führen, bei dem die einzelnen Kundenzahlungen aufgeführt werden müssen. Dieter 50 Euro, Horst 35 Euro, Egon 80 Euro ist das regelmäßig anzuwendende Muster, um einer Verwerfung der Buchführung und einer Schätzung zu entgehen.“ Genau das aber ist ein Problem für die Frauen.

Durch die Registrierungspflicht soll alles besser werden. Zum schnelleren behördlichen Abwickeln soll die Registrierung der Prostituierten während des Beratungsgespräches stattfinden. Ihre oder seine Personalien werden überprüft, dann benötigen die Beamten zwei Paßbilder (Paragraph 4). Paragraph 3 verlangt von der Antragstellerin eine Erklärung, in welchen Gemeinden sie ihrer Arbeit nachgehen wird. Wenn behördlicherseits keine Einwände erhoben werden, gibt es einen Ausweis mit Registrierungsnummer und Paßbild. Wenn gewünscht, unter Pseudonym. Der legalen Sexarbeit steht dann nichts mehr im Weg.

Inhaber von Touristenvisa oder Asylbewerber sind von der Registrierung bisher ausgeschlossen. Und es herrscht Kondompflicht. Freier, die „unten ohne“ erwischt werden, zahlen bis zu 50.000 Euro Bußgeld. Das Überführen der Missetäter geschieht unter den Praxisbedingungen des horizontalen Gewerbes allerdings eher selten.


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„Schlecht“, sagt ein Ministerialbeamter aus den neuen Bundesländern, gefragt nach der Umsetzung des neuen Gesetzes. „Das Gesetz ist überreguliert und nicht realitätsnah. Es kann doch nicht sein, daß die Frauen für ein Liebesmobil ein Betriebskonzept erarbeiten sollen. Und wie will der Staat eigentlich die Kondompflicht überwachen? Das ergibt einen erheblichen Verwaltungsaufwand, der uns Kosten in Millionen Euro verursacht – in jedem Bundesland. Kein Ministerium hat ‘Hier!’ geschrien. Bei uns zog das Innenministerium das große Los.“

In Berlin sollte Ende vergangenen Jahres das Gesetz umgesetzt werden. Davon ist jetzt keine Rede mehr. Sandra geht das dann alles nichts mehr an. Sie schult um, will Reiseverkehrskauffrau werden. Im Januar machte sie die Prüfung. 

Im Südwesten der Republik sind die Behörden fixer: Im 45.000 Einwohner zählenden Leonberg bei Stuttgart mußten alle fünf Bordelle der Stadt nicht lange nach Neujahr schließen. Wegen baurechtlicher und hygienischer Zustände, die dem Prostituiertenschutzgesetz nicht entsprechen.