© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Buhlen um Lukaschenko
Weißrußland: Nicht nur Moskau und Brüssel strecken ihre Fühler aus. Nun betritt auch China die geopolitische Bühne
Mathias Hofmann

Weißrußland (Belarus) liegt in einem brisanten geopolitischen Spannungsfeld. Im Westen die Nato, im Osten Rußland und im Süden die vom Bürgerkrieg zerrissene Ukraine. Dabei wird es für Weißrußland zunehmend schwierig, seine Unabhängigkeit zu wahren. Die Allianz mit Moskau bleibt eng, aber auch die EU streckt ihre Fühler aus. Nun tritt ein neuer Akteur auf die geopolitische Bühne: China

Die Klaviatur dabei spielt Alexander Lukaschenko. Lange war er Kolchosdirektor, bevor es ihn in die Politik drängte. Seine Methoden haben sich seitdem eigentlich nicht viel geändert. Er regiert das Land autoritär und läßt ernsthafte Opposition nicht zu.

Verhältnis zu Moskau nicht ohne Belastungen

Lukaschenko sieht sich als Landesvater, der seine Bürger vor dem Kapitalismus westlicher Prägung und einer wild gewordenen Globalisierung retten muß. Gerne läßt er sich „Väterchen“ nennen. Widerspruch liebt Lukaschenko nicht. Schon Kollegen aus Kolchoszeiten schilderten ihn als streitlustig.

Lukaschenko trat mit dem Versprechen an, die Sowjetunion in Form eines Bundes zwischen Rußland, der Ukraine und Weißrußland wieder zu errichten. Lukaschenkos Sowjetnostalgie ist in Teilen der Bevölkerung Weißrußlands bis heute populär, da sich manche Bürger angesichts der wirtschaftlich schwierigen Lage in die Sowjetunion zurücksehnen.

Mit dem Amtsantritt von Wladimir Putin Anfang 2000 änderten sich die Koordinaten der russischen Außenpolitik. Sein Vorgänger Boris Jelzin hatte eher wenig Interesse an Weißrußland. Er schloß zwar einen Unionsvertrag mit dem Nachbarland, dieser blieb aber ohne große Bedeutung. Putin dagegen wendet den postsowjetischen Nachbarstaaten wie Weißrußland, der Ukraine und Kasachstan besondere Aufmerksamkeit zu. In den Augen vieler Russen sind sie exklusive Einflußsphäre Moskaus. Putin bezeichnete den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.

Doch das Verhältnis zwischen Moskau und Minsk blieb nicht frei von Belastungen. So kam es in den Jahren 2006 und 2010 zu massiven Streitigkeiten um den Gaspreis. Der russische Staatskonzern Gazprom wollte die Gaspreise anheben und stieß dabei auf den erbitterten Widerstand Lukaschenkos, der sagte: „Der Konflikt weitet sich zu einem Gaskrieg zwischen uns und Gazprom aus.“

In der Zeit der Gaskonflikte mit Rußland intensivierte sich Lukaschenkos  Flirt mit einer Macht, die historisch eigentlich kaum Verbindungen mit Weißrußland hatte: China. Lukaschenko hat seine Bewunderung für das Land der Mitte nie verborgen. Vor allem gefällt ihm das chinesische Herrschaftsmodell, das dem seinen nicht ganz unähnlich ist. Zugleich kann er mit der Verbindung zu China einen gewissen Druck sowohl auf Moskau wie den Westen aufbauen. China investiert massiv in Weißrußland. In der Nähe von Minsk entsteht der Business-Park „Great Stone“, der eines der größten chinesischen Industriegebiete in Osteuropa werden soll. Und im Minsker Flughafen werden, wegen der vielen Geschäftsleute und Arbeiter aus China, alle Flüge auch in chinesischen Schriftzeichen angezeigt.

Doch kann der bauernschlaue Kolchosdirektor Lukaschenko die drei Rivalen Rußland, EU und China gegeneinander ausspielen? China hat mehr wirtschaftliche als politische Interessen in Weißrußland. Dagegen haben sich die Grundlagen für die Beziehungen zwischen Minsk und Moskau seit den Maidan-Unruhen und der Etablierung einer prowestlichen Regierung in Kiew verändert.

Nun ist im Kreml die Sorge groß, daß prowestliche Kräfte auch Lukaschenko stürzen könnten. Ein Weißrußland, das sich dem Westen stark annähert, ist ein Albtraum für Putin. Doch Lukaschenko stellt sich im Ukrainekonflikt keineswegs eindeutig auf die Seite Rußlands. So sagte er 2014 im russischen Fernsehsender Doschd’: „Wer auch immer den weißrussischen Boden betritt, ich werde kämpfen. Selbst wenn es Putin ist.“

Furcht davor, ein Schicksal wie die Ukraine zu erleiden 

Lukaschenko diente Minsk erfolgreich als Verhandlungsort für die Gespräche zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine an. Er erfuhr so eine diplomatische Aufwertung. Anfang 2016 hob die EU ihre Sanktionen gegen Weißrußland auf. Seit 2016 tagt auch wieder das jährliche Minsk-Forum, die wichtigste Plattform für Gespräche zwischen Deutschland und Weißrußland.  Dort betonte die Vertreterin der EU in Minsk, Andrea Wiktorin: „Es gibt eine deutliche Annäherung zwischen der EU und Weißrußland.“

Diese braucht das Land angesichts einer Wirtschaft, die auf den internationalen Märkten nur bedingt konkurrenzfähig ist. Die Staatsbetriebe sind technologisch veraltet, und die Privatisierung verläuft schleppend. Ein Experte, der deutsche Firmen in Weißrußland berät, erklärte am Rande des Minsk-Forums 2017: „Der Staat will die Kontrolle über die Wirtschaft behalten. Die sogenannten Privatisierungen bestehen oft darin, daß Aktiengesellschaften, bei denen der Staat die Mehrheit hat, die zu privatisierenden Betriebe aufkaufen.“ Die Durchschnittslöhne in Weißrußland sind niedriger als in Rußland. Allerdings mit 500 Euro monatlich fast doppelt so hoch wie in der Ukraine. Das Beispiel der Ukraine ist es wohl auch, was die Weißrussen, trotz einer fühlbaren Unzufriedenheit, mehrheitlich vom offenen Protest abhält. Viele fürchten, daß auch ihr Land zum Spielball zwischen dem Westen und Rußland werden und ins Chaos abgleiten könnte. Lukaschenko garantiert eine gewisse Stabilität. Gern heben Weißrussen im Gespräch hervor, daß ihr Land eine der niedrigsten Kriminalitätsraten weltweit hat und daß die sozialen Unterschiede wesentlich geringer als in anderen Staaten Osteuropas sind.

Doch die Massendemonstrationen im März 2017 und die dramatischen Szenen, die sich dabei abspielten, zeigen, daß es durchaus soziale und politische Unzufriedenheit gibt. Vor allem Gutqualifizierte verlassen Weißrußland. Angesichts des immer noch recht schwach entwickelten Privatsektors sehen sie für sich keine Perspektiven im Land.

Vor diesem Hintergrund kann Wladimir Putin nicht sicher sein, daß es in Weißrußland ruhig bleibt. Deshalb ist das gemeinsame Militärmanöver „Zapad“ der Russen und Weißrussen im vergangenen September auch als Warnung an den Westen zu verstehen, Lukaschenko nicht zu stürzen. 

Gleichzeitig ist es eine russische Warnung an Lukaschenko, es mit der Annäherung an die EU nicht zu übertreiben. Der litauische Politologe Vytis Jurkonis meint dazu: „Weißrußland kann gar nicht neutral sein, weil es auf seinem Gebiet zwei russische Militärstützpunkte hat und mit russischen Militärs Manöver an der Grenze zur Nato abhält.“