© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Italien: 250 Milliarden Euro an ausfallgefährdeten Krediten
Bilanzielle Differenzen
Dirk Meyer

Target – hinter diesem Kürzel verbirgt sich monetärer Sprengstoff für den Euroraum. Neutral ausgedrückt geht es um die Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungen der nationalen Notenbanken über die Europäische Zentralbank (EZB), wie sie etwa im Rahmen von Export-Import-Geschäften auftreten. Bei Importen (Euroabfluß) entsteht ein negativer Differenzbetrag, bei Exporten entsprechend ein positiver Saldo.

Verharmlosend sehen manche in den Target-Salden lediglich Verrechnungsgrößen, die sich für das gesamte Eurogebiet in der EZB-Bilanz auf null saldieren. Diese Sichtweise unterschlägt jedoch die Kreditrisiken von Eurostaaten. Die Target-Salden pendelten bis 2007 um die Nullinie. Der Wiederanstieg der Salden beunruhigt um so mehr, da der bisherige Höhepunkt zur Schuldenkrise 2012 als überschritten galt. Ende 2017 erreichte der deutsche Target-Saldo mit 903 Milliarden Euro und einem Anstieg von einem Fünftel innerhalb eines Jahres eine neue Rekordhöhe. Konträr entwickelte sich der italienische Saldo: minus 754 Milliarden.

Ein Blick auf die Verursachung bestätigt die Bedenken. Normalerweise wickeln Banken die Kreditfinanzierung von Importgeschäften untereinander über den Interbankenmarkt ab. Dem italienischen Bankensektor wird jedoch infolge verschiedener Bankenrettungen und einem Volumen von 250 Milliarden Euro an ausfallgefährdeten Krediten (13 Prozent des BIP) kein Vertrauen entgegengebracht. Deshalb muß das italienische Geldinstitut den Kredit über die Banca d‘Italia aufnehmen. Die italienische Zentralbank reicht diesen Kredit über die EZB an die Bundesbank zur Auszahlung an die deutsche Geschäftsbank weiter, damit der Betrag auf dem Konto des deutschen Exporteurs gutgeschrieben werden kann.

Als weiterer Grund wird der Verkauf italienischer Staatsanleihen internationaler Investoren an die EZB gesehen. Diese legen ihre Erlöse nicht in italienische Aktien und Immobilien an, da deren Rentabilität infolge von Verkrustungen, hoher Regulierungsdichte und Korruption relativ gering ist. Wenn stattdessen Beteiligungen an deutschen Unternehmen gekauft werden, finanziert das Target-System indirekt Kapitalflucht aus Italien. 

Schließlich plündert mancher Italiener mit Blick auf die Parlamentswahlen am 4. März bereits sein Bankkonto und betreibt Kapitalflucht in die nördlichen Eurostaaten. Nach aktuellen Umfragen liegen die Euro-kritischen oder austrittswilligen Parteien bei über 60 Prozent (Fünf-Sterne-Bewegung, Lega, Fratelli, Forza Italia). In einem Schreiben an die italienischen Abgeordneten erinnerte EZB-Präsident Mario Draghi daran, daß die Target-Schulden bei Austritt zu begleichen sind. Allerdings äußerte Bundesbankchef Jens Weidmann Zweifel, ob die Praxis den Vorgaben folgen wird.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.