© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

„Aber ich war nicht voller Angst“
Erfahrungsberichte: Das Überleben von Krebserkrankungen wird immer wahrscheinlicher
Martina Meckelein

Eine erschütternde Diagnose. Rund vier Millionen Deutsche leiden an einer Krebserkrankung, berichtete im vergangenen Jahr das Deutsche Ärzteblatt. Doch was noch vor 20 Jahren ein so gut wie sicheres Todesurteil war, ist heute dank besserer Behandlungsmethoden und intensiver Forschung teils heilbar, wenigstens doch ertragbar geworden.

In der JUNGEN FREIHEIT schildern zwei Krebspatienten ihr Leben mit der Krankheit. Doch zuvor ein paar Zahlen: Im Jahr 2014 erkrankten 476.000 Menschen in Deutschland an Krebs. Rund 249.000 davon waren Männer und 227.000 Frauen. Bei Männern sind die Organe, die am häufigsten von Krebserkrankungen betroffen sind die Prostata und die Lunge, bei Frauen hingegen die Brustdrüsen und der Darm. Im selben Jahr starben 121.331 Männer und 101.641 Frauen an Krebs. Neuerkrankungen als auch Todesfälle nahmen im Vergleich zu den Vorjahren zu. Das liegt einerseits an den besseren Methoden der Früherkennung und andererseits an einer Bevölkerung, die immer älter wird. „Für fast alle Krebsarten steigt das Erkrankungsrisiko mit zunehmendem Alter an. Eine Bevölkerung mit einem hohen Anteil älterer Menschen weist damit regelhaft höhere Zahlen an Krebserkrankungen auf als eine gleich große Bevölkerung, in der die jüngeren Altersgruppen überwiegen“, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) auf seiner Netzpräsenz.

Ein Krebspatient, bei dem im hohen Alter die Krankheit diagnostiziert wurde, ist Jörg W., – Lehrer in Pension. Er ist 78 Jahre alt. „Bei mir war es ein sogenannter Zufallsfund“, sagt er zur Jungen Freiheit. Jörg W. lebt in einem Einfamilienhaus im Süden Berlins. Ein sportlicher, eleganter Mann. Verheiratet, zwei Kinder, sieben Enkelkinder. „Ich war völlig beschwerdefrei, und dann kam plötzlich diese Diagnose – bösartiges Karzinom.“

Was ist das eigentlich, was wir als Krebs bezeichnen?

Was ist das eigentlich, was wir als Krebs bezeichnen? Das RKI schreibt dazu in seiner ersten Ausgabe des „Berichts zum Krebsgeschehen in Deutschland“: „Der Begriff ‘Krebs’ kennzeichnet eine heterogene Gruppe von Krankheiten. Das unkontrollierte Zellwachstum ist zwar eine gemeinsame Eigenschaft aller Krebsarten, aber Aspekte, wie beispielsweise Möglichkeiten zur Prävention, Früherkennung, Behandlung und Rehabilitation, können von Diagnose zu Diagnose stark variieren.“

Es begann im Januar vergangenen Jahres: „Ich hatte abends plötzlich weinroten Urin. Es war eigentlich ein Zufall, daß ich überhaupt in die Kloschüssel schaute. Das macht man ja schließlich auch nicht immer“, schmunzelt er. „Morgens war dann alles wieder in bester Ordnung. Ich ging aber doch zur Urologin. Die sagte mir nach der Untersuchung auch, daß alles in Ordnung sei, aber sie wollte der Sache doch mal genauer nachgehen. Bei der Ultraschalluntersuchung entdeckte sie einen kleinen Gnubbel in der Blase. Zwei Wochen später die Untersuchung in der Klinik. Ein sogenannter G3-Krebs in der Blase war schon in den Muskel eingewachsen.“

Die Abstufungen G1 bis G3, das G steht für „Grading“, bemißt den Unterscheidungsgrad der Krebszellen zum normalen Gewebe. Die Stufe G3 bedeutet meist auch, daß der Tumor schnell im Wachstum fortschreitet.

„Meine Frau war entsetzt, sie litt mehr als ich.“

„Meine Frau war damals entsetzt. Sie hat weiß Gott mehr gelitten als ich. Sie hat geweint, damals. Frauen nehmen solche Diagnosen vielleicht anders wahr – eher als Bedrohung. Ich will nicht sagen, daß alles positiv war. Mein erster Gedanke war: Oh, Scheiße, jetzt hast du Krebs, hoffentlich geht das gut. Aber ich war nicht voller Angst.“

Jörg W. informiert sich im Internet. Er bespricht sich mit mehreren Ärzten. „Was ist, wenn ich gar nichts mache, fragte ich meine Ärztin. Sie sagte mir, daß dann der Krebs durch die Blasenwand durchbrechen könnte und in den Bauchraum gelangen würde. Ohne Operation würde ich noch zwei bis vier Jahre überleben. Und die letzten zwei Jahre würden schmerzhaft. Wissen Sie, ich bin nicht der Typ, der Schmerzen lange aushält.“

Nach weiteren Untersuchungen entschloß sich Jörg W. Ende Januar zur Operation. „Mir wurde die gesamte Blase entfernt, jetzt habe ich einen künstlichen Ausgang und einen Behindertenausweis – 100 Prozent. Da war ich selbst erstaunt. Denn ich fühle mich ja nicht behindert. Ich hatte ein unglaublich schönes Jahr, wenn man von der Operation absieht. Ich war viel auf Reisen, Radwanderungen, mache weiter Sport. Dieses Jahr geht es nach Las Palmas. Wichtig für mich war und ist, daß ich mein Leben so weiterlebe.“

Es ist durchaus möglich, mit dieser Krankheit lange zu leben. Mit ihr sozusagen alt zu werden. Nur wird dieser ständige Begleiter nie Freund, er bleibt immer der Feind.

Krebs – das Damoklesschwert, das über einem schwebt. Wie schnell es sich allerdings senkt, hängt von vielen Faktoren ab – und nicht wie in der Legende von einem einzelnen Roßhaar. „Ich sage immer, daß ich Krebs habe, nicht, daß ich ihn hatte.“

„Heute sage ich,  daß ich geheilt bin.“

Das empfindet Andrea Ahrens (49) ganz anders. „Meine Krebsgeschichte ist sieben oder acht Jahre her. Ich bin relativ entspannt damit umgegangen. Heute sage ich, daß ich geheilt bin.“ Aber von vorne: „Das war eine ganz normale Vorsorgeuntersuchung. Schmerzen hatte ich keine. Meine damalige Frauenärztin sagte, die Pap-Werte seien grenzwertig. Das könnte man genauer untersuchen, müßte ich aber selber zahlen. „Wat, selber zahlen?, dachte ich mir – nee, das machste nich.“ Durch einen Zellabstrich, den Pap-Test, soll frühzeitig Gebärmutterhalskrebs erkannt werden. Er wird routinemäßig durchgeführt, und die Krankenkassen übernehmen selbstverständlich die Kosten. Einige Monate später geht die Angestellte im Jobcenter zu einer anderen Ärztin. „‘Sind Sie denn wahnsinnig’, hat die zu mir gesagt. ‘Mit den Werten müssen Sie doch sofort genauer untersucht werden.’ Es stellte sich raus, daß ich Gebärmutterhalskrebs hatte. Erst kam ambulant der Hals raus, später die komplette Gebärmutter. Das war ja kein Problem, denn die Eierstöcke blieben komplett drin. Das war mein Glück, dadurch fiel ich nicht sofort in die Wechseljahre.“ Andrea Ahrens wollte keine weiteren Tests, keine Chemo. „Mein Krebs metastasiert nicht.“ Nur zur Vorsorge geht sie nicht mehr gern. „Ich müßte da mal wieder hin, aber wissen Sie, ich habe so eine tiefsitzende Arztphobie. Was soll es, bei mir ist nüscht mehr.“

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