© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Pankraz,
Stalins Tod und die Grenzen für Witze

Schwierige Zeiten für Witzemacher. Der Karneval bringt es an den Tag. Die Pointen der Büttenredner bei den großen, vom Fernsehen übertragenen Prunksitzungen, die politisierenden Scherzaufbauten der Wagen bei den diversen Festumzügen – sie sind dieses Jahr, wenn Pankraz richtig beobachtet, lange nicht so witzig wie früher, das Publikum lacht eher routinemäßig und ein bißchen verlegen, muß durch das Orchester im Hintergrund durch kräftiges Tata-Tata extra zum Beifall aufgefordert werden. Was ist da passiert?

Nun, passiert ist offenbar zweierlei. Erstens ist die so gern bewitzelte Politik, vor allem natürlich die offizielle Berliner Politik mit ihren ewigen Groko-Verhandlungen, selber zum Witz geworden, zu einem Witz freilich, über den man gar nicht mehr lachen, sondern nur noch den Kopf schütteln kann: all das tagtägliche wichtigtuerische Herumgezappel der beteiligten „Verhandlungspartner“, ihre hochgestochenen Phrasen und grotesken öffentlichen Auftritte. Die professionellen Witzemacher in den Bütten und bei den Rosenmontagsumzügen sehen sich buchstäblich außer Gefecht gesetzt.

Sie wollen ja keine bloßen Narren sein, die die herrschenden Zustände mit irgendwelchen (groben oder subtilen)  Späßen begleiten, sie fühlen sich durchaus als Kritiker und echte  Repräsentanten des gesunden Menschenverstands, die – ohne ein eigenes spezifisches Interesse ins Spiel zu bringen – das in Erinnerung rufen, was sich eigentlich von selbst versteht und was sie also in knappester verbaler oder bildlicher Form vortragen. Für grelles, humorloses  Anprangern puren öffentlichen Unfugs, wie er zur Zeit  abrollt, fühlen sie sich nicht zuständig und lassen uns das, freiwillig oder unfreiwillig, spüren.


Zweitens aber erfahren sie, daß nun auch ihnen neuerdings vom herrschenden Zeitgeist scharfe Freiheitsgrenzen aufgezeigt werden, die sie nicht ignorieren dürfen, um nicht kriminalisiert zu werden. Bisher galt bei ihnen: Witze darf man über alles machen, denn Witze sind gewissermaßen moralische Kleinstmünze, man freut sich über sie, kann aber nichts Großes mit ihnen anstellen, sie reichen weder für Wohltaten noch für auch nur halbwegs ins Gewicht fallende Verbrechen. Jetzt müssen sie lernen: Man darf auch in Rechtsstaaten keineswegs Witze über alles machen.

Über Auschwitz etwa darf man hierzulande nicht den geringsten Witz machen, sowenig wie in Bosnien-Herzegowina über die grausamen Massaker von Srebrenica im letzten balkanischen Bürgerkrieg oder in Rußland über  den Tod von Josef Wissarionowitsch Stalin, den großen Diktator und Menschenfresser. Als kürzlich in London ein witziger Film über die näheren Umstände von Stalins Tod erschien und ins Russische synchronisiert werden sollte, wurde das behördlicherseits verboten, wobei nicht klar wurde, weshalb das Verbot eigentlich ausgesprochen wurde.

Unter Stalins Herrschaft war das Erzählen von politischen, speziell Stalin betreffenden Witzen ein todeswürdiges Verbrechen. Davon ist heute längst nichts mehr zu spüren. Weshalb jetzt dieser Eingriff? Geht es vielleicht darum, daß auch in diesem Fall, wie bei den aktuellen Berliner Vorgängen um die Groko, die Wirklichkeit selber zum Witz geworden war, ohne dabei Anlaß zum Lachen zu geben, eher zum Weinen und Sichfürchten? Der reale Ablauf von  Stalins Tod war ja tatsächlich ungeheuer witzig, andererseits jedoch so unheimlich und verstörend, daß jedem Büttenredner das Wort im Halse stecken bleiben würde.

Kurz vor dem Tod des Diktators hatte es, gleichsam als letzten Höhepunkt seines jahrzehntelangen blinden Terrors gegen ausgewählte Bevölkerungskreise, die KGB-Aktion gegen die sogenannte „Ärzteverschwörung“ gegeben. Zahlreiche sehr bekannte, sehr angesehene Moskauer Ärzte wurden beschuldigt, eine Art Ausrottungskrieg mittels Falschbehandlung gegen hohe Parteimitglieder der KPdSU geführt zu haben, in Geheimprozessen angeklagt und hingerichtet, manche auch ohne Prozeß „auf administrative Weise“ erschossen. Es war wie eine Fest-

ouvertüre zu Stalins eigenem letalen Abtritt.


Dieser erlitt am Morgen des 1. März 1953 auf seinem Liegesofa in seiner Datscha in Kunzewo vor den Toren Moskaus einen Herzinfarkt, rollte auf den Fußboden,  wo er hilflos liegen blieb, konnte offenbar nur noch röcheln und beschmutzte sich monströs. Die Leibwachen vor der Tür reagierten nicht, weil sie angewiesen waren, sich nur auf Zurufe von innen zu melden. Sie wußten: Jeder ungerufene Eintritt in die Gemächer des großen Führers bedeutete viele Jahre Zwangsarbeit im sibirischen Gulag, möglicherweise sogar die sofortige  Erschießung durch den KGB auf „administrativem Wege“.

Und so ging es weiter bis zum Ende der Affäre. Als am Abend und nächsten Tag die Politbüromitglieder Beria, Malenkow, Bulganin und Chruschtschow zu einem verabredeten Termin eintrafen, wagten sie es ebenfalls lange nicht, die Datscha zu betreten, und als sie es am Ende doch taten und Stalin auf dem Teppich liegen sahen, wagte – nach dem späteren Urteil des Ex-KGB-Obersten Starostin – keiner von ihnen, spontanes Samaritertum zu zeigen und den Sterbenden wenigstens aufzuheben und auf das Sofa zu legen. Vielmehr sollen sie sich sofort gegenseitig argwöhnisch  beobachtet haben. Wer würde sich als erster eine Blöße geben und welche? 

Malenkow und Beria verabredeten schließlich, daß Ärzte nach Kunzewo kommen sollten. Aber welche? Die Hausärzte des Kremls wurden doch gerade im Gefängnis gefoltert, um ihnen das Geständnis ihrer Beteiligung an der „Ärzteverschwörung“ abzuzwingen! Das war wirklich ein monumentaler Witz, ein Realwitz. Stalin starb schließlich am 5. März 1953.

Pankraz kann gut verstehen, daß kein Büttenredner, in welcher Bütt auch immer, je einen solchen Witz versprachlichen möchte. Er hat sogar Verständnis für die Russen, die solche Witze nicht hören wollen und sie lieber den Engländern überlassen. Über den Tod witzelt man nicht.