© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Die ewige Kanzlerin
Merkel ohne Ende: Erst weitere Wahlniederlagen werden Union und SPD zu Kurskorrekturen bewegen
Dieter Stein

Welche Tiefenwirkung das Bundestagswahlergebnis 2017 im deutschen Parteien- und Machtgefüge auslöst, zeigt sich erst allmählich. Die 12,6 Prozent für die AfD haben ein eingespieltes Strömungssystem in den Gewässern der Politik verändert. Es kommt zu neuen, anderen Verwirbelungen. Die sich endlos hinziehenden Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen illustrieren die wachsende Irritation bei den etablierten Kräften. 

Im Epizentrum der Erschütterung: die ewige Kanzlerin Angela Merkel, gut 18 Jahre CDU-Vorsitzende, seit zwölf Jahren Regierungschefin. Ihre politischen Kehrtwenden – Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Euro-Rettung, Grenzöffnung, Ehe für alle –  bereiteten den Boden für die Erosion des Parteiensystems und den bislang ungebremsten Aufstieg der AfD. Es ist im Grunde makaber, daß nicht Merkel über diese Entwicklung stürzt, sondern die SPD in einen Abwärtsstrudel gerät. Eine jüngste Umfrage sieht die Sozialdemokraten bundesweit bei 16,5 Prozent – die AfD fast gleichauf mit 15 Prozent. 

„Die AfD ist auf dem besten Weg, die SPD als Partei der kleinen Leute und als Arbeiterpartei abzulösen“, warnt SPD-Parteirebell Thilo Sarrazin. Martin Schulz habe das gespürt, seine Partei aber in einem „panischen Zickzack-Kurs“ noch tiefer in die Krise geführt. Es war mitleiderregend, wie sich Martin Schulz in einer Achterbahnfahrt vom über Wasser gehenden Erlöser („Mister 100 Prozent“) zum schändlich in die Wüste geschickten Sündenbock der SPD entwickelte. Und ein Ende der Selbstdemontage ist nicht in Sicht. Inzwischen paßt das Bild vom „gärigen Haufen“ eher zur SPD als zur AfD, die im Gegensatz dazu einem Ausbund an Harmonie gleicht.

Die der SPD in hellen Scharen davonlaufenden Wähler, die Kassiererin im Supermarkt, der Autobauer, die in einem Sozialbau wohnende Rentnerin – sie wollen wissen, wann endlich der noch immer unkontrollierte und ungebremste Zustrom von illegalen Zuwanderern und Asylbewerbern gestoppt wird. Den Verdrängungsdruck auf dem Wohnungsmarkt durch über eine Million ins Land gelassene Flüchtlinge spürt weniger die FDP- als die klassische SPD-Wählerklientel.

Der Wille, das politische Kernproblem der Masseneinwanderung an den Hörnern zu packen, fehlt völlig. In erster Linie interessiert die Bürger nicht der visionslose Wortbrei des Koalitionsvertrages, der 322mal das Wort „Europa“ herunterbetet. Hübsch die Versprechen zu Digitalisierung und Breitbandausbau, hier eine steuerliche Minientlastung, dort eine kosmetische Subvention für häuslebauende Familien. In Wirklichkeit drücken sich aber, so treffend Sarrazin, die GroKo-Spitzen um den „weißen Elefanten im Raum der Politik“, nämlich „das offene Scheunentor Asyrecht“, die „ungeregelten Fragen der Migration und des Zuzugs kulturfremder Wirtschaftsmigranten“.

Statt dessen will die GroKo in großen Schritten in eine europäische Transferunion marschieren, die primär zu Lasten der deutschen Steuerzahler geht. Schon jetzt türmen sich die Target-Salden der Europäischen Zentralbank (EZB) auf 900 Milliarden Euro. Während die Null-Zins-Politik die Altersrücklagen der Deutschen zugunsten überschuldeter Staaten auffrißt, explodieren dank Billigkrediten und von EZB-Druckmaschinen erzeugter Geldschwemme Immobilienpreise und Mieten. 

Es ist inzwischen nicht unwahrscheinlich, daß die SPD-Basis den Putsch gegen die Parteiführung gewinnt und die GroKo stoppt. Es bliebe dann nur noch die interessante Option einer CDU/CSU-Minderheitsregierung. Vorgezogene Neuwahlen würden momentan Union und SPD mit noch schlechteren Ergebnissen bestrafen, weshalb dieser Schritt ängstlich gemieden wird. 

Wenn die SPD ernsthaft dem weiteren Absturz in die Bedeutungslosigkeit entgehen will, müßte sie sich endlich auf die Interessen ihrer Wähler besinnen. In Dänemark haben die Sozialdemokraten aus den Wahlerfolgen der einwanderungskritischen Dänischen Volkspartei gelernt und bewegen sich unter ihrer jungen Vorsitzenden Mette Frederiksen auf diese zu. So forderte Frederiksen vor wenigen Tagen eine Abkehr vom bisherigen Asylrecht und Asylgewährungen nur noch unter stark eingeschränkten Bedingungen. In Deutschland kaum vorstellbar.

Noch verstellen nämlich ein grotesker „Kampf gegen Rechts“ und eine tiefsitzende antinationale Neurose rationale politische Kurskorrekturen. Absurde politische Tabus blockieren – noch – das Prüfen anderer politischer Optionen. Union, FDP und AfD besitzen im Bundestag schon jetzt eine klare rechtsbürgerliche Mehrheit von 418 Abgeordneten gegen 289 von SPD, Grünen und Linkspartei. Ist es so weltfremd, hier nüchterne Handlungsoptionen für einen künftigen politischen Kurswechsel zu sehen?

Solange nicht Merkel selbst den Stuhl räumt – wie soll eine ernsthafte Erneuerung und „Verjüngung“ der CDU und der Regierung dann aussehen? Wie soll ein abgehalfterter Horst Seehofer, dem Merkel in der Debatte um die Obergrenze sämtliche Zähne ziehen konnte, für eine harte Wende in der Inneren Sicherheit stehen? Zaghaft scharren Kritiker in der CDU mit den Füßen, werden Fäuste in den Taschen geballt, wird sich in den hinteren Reihen mutiger geräuspert. Von einem ernstzunehmenden Aufstand gegen die Parteichefin kann keine Rede sein. 

Tatsächlich sinkt jedoch der Stern Merkels. Die bis zur Bundestagswahl in Nibelungentreue ergebene Springer-Presse geht immer deutlicher auf Distanz. Die machtbewußte Politikerin hat indes in der Vergangenheit oft von überraschend eintretenden außenpolitischen oder wirtschaftlichen Krisen profitiert, weshalb Nachrufe auf sie verfrüht sind. Ohne durch neuerliche Wahlen erzwungenen Elitenwechsel ist in Berlin kaum mit einer politischen Wende zu rechnen.