© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Heiße Luft statt frischer Wind
Koalition: In der CDU wird gemurrt, nicht revoltiert
Jörg Kürschner

Zuspruch erhielt die in Bedrängnis geratene CDU-Chefin Angela Merkel von ihrem politischen Lieblingsgegner. „Die Bundeskanzlerin wird derzeit im eigenen Laden zerfleddert, dabei wird sie doch dringend gebraucht, um international die Fahne der Liberalität und der Freiheit hochzuhalten“, bedauerte Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir auf dem Neujahrsempfang der CDU Berlin-Frohnau. Und nach dem Abbruch der Jamaika-Koalitionsverhandlungen durch die FDP seien er, der Fast-Außenminister, und die Kanzlerin einig gewesen: „Gut, daß wir Emmanuel Macron in Frankreich haben.“

„Puh, wir haben wenigstens noch das Kanzleramt“

Diese Ansicht teilt Merkel mit einem weiteren Fast-Außenminister, dem gescheiterten Ex-SPD-Kanzlerkandidaten und Ex-Parteivorsitzenden Martin Schulz. Dessen politisches Straucheln überdeckt einen Erfolg, den der einstige Präsident des Europäischen Parlaments bei den Verhandlungen mit der Union für sich reklamieren konnte. Ungewöhnlich genug und einmalig bisher, daß der Koalitionsvertrag demonstrativ mit dem Kapitel „Ein neuer Aufbruch für Europa“ beginnt. Darin findet sich die folgenreiche Aussage: „Wir sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit.“ Während die Eurokraten in Brüssel jubelten, stellten in Berlin CDU-Politiker die Frage nach der Loyalität eines Außenministers Schulz. „Nur gemeinsam hat die EU eine Chance, sich in dieser Welt zu behaupten und ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen“, heißt es. Von deutschen Interessen ist nicht die Rede. Für die Zurücksetzung nationaler Belange steht auch Noch-Ressortchef Sigmar Gabriel (SPD), dessen Verbleib im Amt unsicher ist. Zuletzt zu Jahresbeginn forderte er, auf die bisherigen Netto-Zahlungen Deutschlands an die EU in Höhe von etwa 14 noch zehn Milliarden Euro draufzulegen. Die Position des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), die EU müsse sparsamer und effizienter werden, wird von den möglichen Koalitionären rundherum abgelehnt. 

Die Unzufriedenheit in der CDU über die Schulz-Personalie steigerte sich zur Empörung, da Merkel der SPD das Finanzministerium überlassen hat. Fassungslosigkeit machte sich in der Kanzlerpartei breit, in der der bisherige Amtsinhaber Wolfgang Schäuble größte Autorität und Respekt genießt. Innenpolitisch stand Schäuble für die „Schwarze Null“, also eine Finanzpolitik, die aufgrund sparsamer Haushaltsführung ohne eine Neuverschuldung des Bundes auskommt. Zwar gilt der mögliche Nachfolger Olaf Scholz (SPD) in Unionskreisen als kompetent und Mann für schwierige Fälle, doch konnte dessen eiliges Bekenntnis, er werde an Schäubles Markenzeichen festhalten, die aufgebrachte CDU nicht besänftigen. Daß der CDU statt des mit Vetorecht im Grundgesetz ausgestatteten Finanzministeriums das vergleichsweise unbedeutende Wirtschaftsministerium zufallen soll, erwies sich nicht als Beruhigungspille für die Parteibasis, mochte Ressort-Anwärter Peter Altmaier (CDU) auch noch so sehr im Auftrag Merkels trommeln. 

Parteichefin Merkel, im Amt seit 2000, war erstmals in ernsthafte Bedrängnis geraten. Auf einmal ging es nicht nur um die Kabinettsliste, sondern um sie selbst. Dabei fiel auf, daß sich ehemals bedeutende, seitdem eher schweigsame CDU-Größen zu Wort meldeten. Intimfeind Friedrich Merz, den Merkel 2002 als Fraktionschefin abgelöst und unsanft ins politische Aus befördert hatte, sprach von einer Demütigung seiner Partei. Ex-Widersacher Roland Koch, hessischer Ministerpräsident bis 2010, forderte Merkel unmißverständlich auf, ihre Nachfolge zu regeln. Und der Bruchsaler Haushaltspolitiker Olav Gutting, der alljährlich durch Spargelessen in Berlin auf sich aufmerksam macht, twitterte sarkastisch: „Puh, wir haben wenigstens noch das Kanzleramt.“ Höhnisch gab SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zurück: „Einen halben Tag länger, und sie hätten uns das Kanzleramt auch noch gegeben.“ 

Da ihre Kritiker immer mutiger wurden, ging Merkel im ZDF in die Offensive, nannte die Entscheidung, der SPD das Schlüsselressort zu überlassen, „schmerzlich“, aber „akzeptabel“ als Preis für eine stabile Regierung. Die geschäftsführende Regierungschefin machte das Zugeständnis, die Liste der CDU-Minister in einer möglichen Großen Koalition vor dem Parteitag am 26. Februar vorzulegen. Und in eigener Sache ließ sie die Zuschauer wissen, vier Jahre Kanzlerin bleiben und im Fall von Neuwahlen erneut als Kanzlerkandidatin antreten zu wollen. Ob sie den richtigen Zeitpunkt für den Abgang verpaßt habe, wurde Merkel gefragt. „Ich glaube nicht.“ Auf die Frage was geschehe, wenn die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnten, blieb die Kanzlerin im Ungefähren. 

Die sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann rechnet nicht mit Turbulenzen auf dem Parteitag. „Aus frischem Wind wird möglicherweise nur noch heiße Luft. Das rettet die Kanzlerin zunächst bis zum Mitgliederentscheid der SPD“, betonte sie im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Doch hoffe sie als unverbesserliche Optimistin, „daß wir mit dem Bundesparteitag eine konservative Neuausrichtung einleiten können. 

Die Unruhe in der CDU konnte Merkel mit ihrem Auftritt allenfalls ein wenig dämpfen, denn angekreidet wurde ihr auch der Verbleib des Schlüsselressorts Arbeit und Soziales bei der SPD. Im Ergebnis bleibt es für die SPD bei sechs Ministerien, ungeachtet ihres Stimmenrückgangs von 25,7 bei der Bundestagswahl 2013 auf 20,5 Prozent im vorigen Jahr. 

Weniger Aufhebens verursachte das Ausscheiden des zweimaligen Innenministers Thomas de Maizière aus dem Kabinett, der, aufgewertet um den Bereich Heimat, CSU-Chef Horst Seehofer weichen soll. Angemerkt wurde freilich in der Unionsfraktion, daß wieder ein Vertreter des eher konservativen Flügels kaltgestellt worden ist. Der langjährige Merkel-Vertraute hatte mehrfach vorsichtige Distanz zur Willkommenspolitik der Kanzlerin erkennen lassen. Im neuen Koalitionsvertrag heißt es, die jährliche Zuwanderung solle „die Spanne von 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen. Und was passiert, wenn mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Fehlanzeige auf 177 Seiten. 

 Siehe die große JF-Umfrage auf Seite 6