© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

„Das war ein Putsch“
Malediven: Präsident Abdulla Yameen kämpft mit Brachialgewalt um sein Überleben
Marc Zoellner

Trotz eindringlicher Warnung der Regierung, rigoros gegen Demonstranten vorzugehen, versammelten sich vergangenen Samstag erneut Hunderte Einwohner Malés, der Hauptstadt der kleinen Inselrepublik der Malediven vor der Westküste Indiens, um gegen die autoritäre Politik des amtierenden Präsidenten Abdulla Yameen zu protestieren. Zeitgleich marschierten etwa gleich viele Anhänger Yameens vor dem Präsidentenpalast auf, um ihre Loyalität dem umstrittenen Staatsoberhaupt gegenüber zu bekunden. 

Doch während letztere Versammlung zum Großteil friedlich blieb, stürmten bewaffnete Sicherheitskräfte das Treffen der Oppositionellen, konfiszierten deren Plakate und verhafteten mindestens fünf Menschen ohne Angabe von Gründen, darunter Mikael Naseem, den Vorsitzenden des Jugendflügels der Maledivischen Demokratischen Partei (MDP), der größten Oppositionspartei des Landes.

Nachbar Indien zeigt sich besonders besorgt

Naseems Verhaftung stellt die bislang letzte in einer ganzen Reihe von Säuberungsaktionen dar, welche Yameen über die Malediven verordnet hat. Allein im Staatsgefängnis der Hauptstadt sitzen derzeit bereits Dutzende hochrangige politische Gefangene ein, wie maledivische Medien vermelden, darunter auch der Halbbruder Yameens, der 80jährige Maumoon Abdul Gayoom, der von 1978 bis zur ersten freien Wahl von 2008 das Land dreißig Jahre lang mit harter Hand regiert hatte. „Eine große Anzahl von Polizisten steht um mein Haus herum“, twitterte Gayoom noch kurz zuvor am Abend des 5. Februar. „Um mich zu beschützen oder zu verhaften? Keine Ahnung.“

Keine Ahnung, wie ihnen geschehen sollte, hatten am gleichen Tag auch die Richter des maledivischen Verfassungsgerichts: Gegen Mittag hatten diese in einem Urteilsspruch entschieden, daß eine vorhergehende Inhaftierung von neun Oppositionspolitikern gegen maledivisches Recht verstieße; ebenso wie die Suspendierung von zwölf Abgeordneten des Madschlis, des 85 Mitglieder zählenden Parlaments der Malediven.

 Im Januar kündigten letztere ihre Zugehörigkeit zur Fraktion der regierungstragenden Fortschrittspartei (PPM) auf, um zur MDP überzulaufen. Ein Akt, welcher von Yameen umgehend als Teil eines Staatsstreichs gegen seine Person bewertet worden war. Mit der Lossagung der Abgeordneten hätte die PPM schließlich ihre Mehrheit im Parlament eingebüßt.

So war es nur zu erwarten, daß Yameen neben den Häusern der Abgeordneten sowie jenem seines Halbbruders, welcher sich in den vergangenen Monaten ebenso auf die Seite der Opposition geschlagen hatte, in der Nacht zu vergangenem Dienstag auch das Verfassungsgericht von loyalistischen Soldaten stürmen ließ: Sicherheitskräfte versprengten die Demonstranten, die sich zum Schutz des Gebäudes versammelt hatten, mit Gummiknüppeln und Tränengasgranaten. 

Nach stundenlanger Belagerung wurden schließlich zwei der fünf Verfassungsrichter selbst festgenommen. Kurz darauf revidierte das Verfassungsgericht seine Entscheidung auf Druck des Militärs zugunsten Yameens: „Wir haben sichergestellt, daß der Staatsstreich, den einige Leute planten, gescheitert ist“, erklärte Verteidigungsminister Adam Shareef Umar im Anschluß im Staatsfernsehen. Noch in der gleichen Nacht verkündete Yameen den bis heute anhaltenden Ausnahmezustand für die Malediven. „Das war ein Putsch“, erklärte der Präsident in einer Rede. „Und ich möchte nun herausfinden, wie gut dieser Putsch geplant war.“

Für internationale Beobachter hingegen ist der maledivische Präsident die eigentliche Speerspitze des Staatsstreichs: „Systematisch hat Yameen seine Koalition entfremdet, jegliche wichtige Oppositionsfigur verhaftet oder exiliert, gewählten Abgeordneten des Parlaments ihr Recht entzogen, ihre Wähler zu vertreten, Gesetze umgearbeitet, um Menschenrechte auszuhöhlen und die Institutionen der Regierung geschwächt“, mahnte das US-Außenministerium in einer Pressemeldung. 

Auch Mohamed Nasheed, von 2008 bis 2012 erster demokratisch gewählter Präsident der Malediven, sieht mit dem gewaltsamen Machtausbau Yameens das „Ende der Möglichkeit“ eines legitimen Diskurses mit der Regierung der Malediven erreicht – gerade aufgrund der Verhaftung der eigenen Verfassungsrichter. „Im Namen der Malediver bitten wir demütig, daß Indien Gesandte schicken möge“, twitterte der seit 2016 im britischen Exil lebende derzeitige MDP-Vorsitzende, „unterstützt von seinem Militär, um die Richter und politischen Gefangenen freizulassen; einschließlich Präsident Gayoom. Wir bitten um physische Anwesenheit.“

Vermittlungsversuche werden zurückgewiesen 

Tatsächlich ist eine militärische Intervention Indiens, wie von Nasheed gefordert, derzeit nicht so abwegig. Schon einmal hatten indische Fallschirmjäger im November 1988 einen versuchten Staatsstreich srilankischer Rebellen auf den Malediven unterbunden. Auch in der neueren Situation betrachten viele indische Politiker die Geschehnisse in der kleinen Nachbarrepublik als sicherheitsgefährdend für ihre eigene Nation. 

Denn während Yameen die Vermittlungsangebote der einstigen Kolonialmacht Großbritannien sowie der EU bislang ignoriert, setzt die Regierung in Malé derzeit verstärkt auf diplomatische Schützenhilfe aus Peking. Doch gerade China war Grund für das tiefgreifende Zerwürfnis zwischen Yameen und der Opposition seit Herbst vergangenen Jahres: Seit damals wirft die MDP Yameen vor, ganze Atolle der Inselrepublik an Peking verkauft zu haben, um der chinesischen Flotte neue Stützpunkte direkt vor der Küste des traditionell mit China verfeindeten Indien zu gewähren. Was dieser wiederum vehement bestreitet – trotz der Präsenz von gleich drei chinesischen Kriegsschiffen, die seitdem im Hafen von Malé vor Anker gingen.