© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Pankraz,
Hans Joas und die neue Verzauberung

Einige Aufregung unter den Auguren hat das Erscheinen des Buches „Die Macht des Heiligen“ von Hans Joas hervorgerufen, das sich mit dem Phänomen der „sozialen Verzauberung der Wirklichkeit“ durch Theologen und Schamanen beziehungsweise ihrer angeblichen „Entzauberung“ (Max Weber) durch die moderne Wissenschaft beschäftigt (Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, gebunden, 527 Seiten, 35 Euro). Von Max Webers üblicherweise so sehr gefeierter Entzauberungstheorie bleibt wenig übrig.

 Joas’ Untertitel lautet „Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung“. Sein Buch ist ein äußerst faktenreicher historischer Wälzer, der viele der später so populär gewordenen überheblichen Äußerungen der sogenannten Aufklärung über frühere Weltdeutungen ziemlich fragwürdig aussehen läßt. Die ganze äußerst komplizierte Dialektik zwischen Glaube und Wissen, Verzauberung und Entzauberung wird bei Joas deutlich und bringt an den Tag, daß beide Seiten, was Wahrheitsfindung und sozialen Fortschritt betrifft, durchaus ebenbürtig gegeneinander standen und der eine vom anderen gelernt hat.

Was leider zu kurz kommt, im gegebenen Kontext wohl zu kurz kommen mußte, ist der Blick auf die Neu-Verzauberung, die zur Zeit deutlich wahrnehmbar im Geistesleben zumindest des Westens stattfindet. Die Bewegung hat sämtliche Nachdenk- und Praxisbereiche erfaßt, von der Physik bis zur Belletristik, von der Medizin bis zur Eheberatung. Immer weniger Menschen genügt mehr das bloße Herumhantieren mit Zahlen, Statistiken und anderen Faktizitäten, man will stattdessen die Beachtung von spontaner, unvorhersehbarer Anziehungskraft, will Aura, Charisma, mit einem Wort: will Zauber.


Man erinnere sich: „Wunder wirken Wunder“ hieß der letzte Bestseller des populären TV-Lebensberaters Dr. med.Eckart von Hirschhausen, und er versicherte darin seinen Lesern, daß „die Wissenschaft“ hierzulande die Magie zwar aus der Medizin vertrieben habe, daß wir uns aber dadurch auf keinen Fall beirren lassen sollten. Die heilende (oder auch die Heilung behindernde) Kraft positiver oder negativer Gedanken sowohl des Patienten wie auch des behandelnden Medizinmannes spiele immer mit. „Warum denn sonst macht uns eine richtige Operation manchmal nicht gesünder als eine vorgetäuschte?“

Aber die Neu-Verzauberung der Welt ist keineswegs nur das Anliegen des sprichwörtlichen „kleinen Mannes“, der sich helfen lassen will, sie betrifft vielmehr gerade die Spitzen der naturwissenschaftlichen Forschung, und das nun schon seit mehr als hundert Jahren. Das noch aus der Antike stammende Weltmodell eines bloßen Tanzes von „Atomen“, also von nicht weiter aufspaltbaren materiellen „Teilchen“, mit deren Hilfe man alles weitere „rational erklären“ könne, ist seitdem total blamiert, und die Geschichte dieser Blamage gehört mittlerweile zu den Grunderzählungen der Moderne.

Die Atome ließen sich nämlich immer weiter aufspalten, und je öfter man sie aufspaltete, desto mehr verloren sie an Rationalität und Materialität. Sie sind nach heutigem Kenntnisstand gar keine „Teilchen“, sondern – wie Werner Heisenberg als erster formulierte – „Wesen ohne Eigenschaften“. Nicht einmal geometrische Eigenschaften, Raumfüllung, Ort und Bewegung, können ihnen zugesprochen werden. Der Grad der Anwendbarkeit geometrischer Begriffe auf atomare Teilchen ist voll abhängig von den Experimenten, die wir an ihnen vornehmen. 

Zwar lassen sich Experimente ausführen, die uns erlauben, den Ort eines „Teilchens“ mit großer Genauigkeit festzustellen, aber bei dieser Messung muß das „Teilchen“ einer so starken äußeren Einwirkung ausgesetzt werden, daß eine große Unbestimmtheit seiner Geschwindigkeit die Folge ist. Die Natur entzieht sich also der genauen Festlegung durch unsere mathematischen Messungen. Die menschliche Beobachtung ist lediglich eine „Störung“ der beobachteten Phänomene. Es gibt nicht jenen „objektiven“ Blick auf die Natur, der lange Zeit das Ideal jeglicher wissenschaftlichen „Entzauberung“ gewesen ist.


Im Gegensatz dazu hatte in Kunst und Belletristik, besonders in der Lyrik, der Drang zur Verzauberung von jeher eindeutig Vorrang. Gewiß, es gab – speziell während der Dominanz des wissenschaftlichen Positivismus und des Sozialismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert – Phasen eines angestrengten Realismus und Naturalismus, die manchmal den Verlagen und Galerien von den herrschenden Gewalten direkt vorgeschrieben wurden. Doch der Widerstand der Künstler dagegen blieb stets lebendig und spürbar. Denn deren Intention ist nun einmal (von Natur aus, darf man sagen) auf Verzauberung ausgerichtet.

Künstlerische Fiktion und Verzauberung sind nahezu identisch. Das Genre der „Science- fiction“ war von Anfang an ein Wechselbalg und mündete folgerichtig in das Genre der „Dytopie“ ein, wo es nur noch darum geht, die (meistens als düster empfundene) Gegenwart um einige Schritte in die Zukunft hinein zu verlängern, welche dann in der Regel als grausame Hölle erscheint, als übelriechende Mischung aus Übervölkerung, Hungersnot, Völkerwanderung und  Überwachungsstaat.

Wahre Verzauberungen sehen anders aus. In den (wenigen) Varietés der verflossenen DDR durften manchmal auch „Zauberkünstler“ auftreten, aber sie mußten dem Publikum am Ende der Vorstellung  genau erklären, „wie sie es gemacht hatten“. damit ja kein Eindruck echter Zauberei entstehen konnte. Die Künstler taten es, wie jeder sah, verdrossen und widerwillig.

Wie denn auch anders! Kein exzellenter Verzauberer läßt sich gern in die Karten schauen. Er ist im tiefsten Inneren davon überzeugt, daß er ein Geheimnis hütet, das nur ihm gehört. Und jedes gute Publikum stimmt ihm darin zu und hat seine Freude daran. Sicher, man folgt im allgemeinen dem „natürlichen“ Lauf der Dinge, aber jeder freut sich, wenn es einmal eine wundersame Unterbrechung gibt, über die man nur staunen kann.