© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Bei Fonds herrscht akute Implosionsgefahr
Anlagemarkt: Die im Umbruch befindliche Branche ist durch risikoreiche Produkte labil
Thomas Kirchner

An zwei Tagen von 115 Dollar pro Anteilsschein auf nur sieben: Was sich wie der Zusammenbruch eines Hedgefonds anhört ereignete sich während der Börsenturbulenzen am Montag vergangener Woche in einem börsennotierten Publikumsfonds, einem ETF, dessen Reste nun zum 21. Februar liquidiert werden. Der Verlust für die Anleger beträgt etwa 1,8 Milliarden Dollar. Nicht nur ein ETF, auch ein konventioneller Fonds kollabierte, der LJM Preservation and Growth Fund, mit etwa 800 Millionen Dollar. Anleger verloren dabei etwas weniger aufsehenerregende 80 Prozent ihrer Anlagen.

Die Börse korrigiert um nur zehn Prozent, doch Fonds gehen in Liquidation. Einst boten Fonds Kleinanlegern die Möglichkeit, auch schmale Portfolios wie Großanleger zu streuen und in turbulenten Zeiten keinen konzentrierten Risiken auszusetzen. Doch inzwischen muß man vorsichtig sein: der harte Wettbewerb zwingt Anbieter zur Schaffung immer neuer Fonds, die bewußt Risiken eingehen, die normalen Anlegern sonst nicht zugänglich wären. Verschärft wird dieser Trend indirekt durch die Nullzinspolitik, durch die alle Anlageklassen hohe Wertzuwächse verbuchen konnten.

Wenn alle Werte steigen, meiden Anleger Gebühren

Wenn alle Werte von allen Anlageprodukten immer steigen, sind Anleger nicht bereit, Gebühren für einen Fonds zu zahlen. Daher erklärt sich die Beliebtheit passiver Indexstrategien gegenüber aktiver Anlagepolitik. Gleichzeitig werden viele Anleger angesichts gestiegener Bewertungen nervös und suchen alternative Anlagemöglichkeiten zur Beimischung in ihr Portfolio. Zur Bedienung dieser Nachfrage sind Fonds mit Anlagestrategien entstanden, die früher nur großen Institutionen zur Verfügung standen. Für diese kann der Anbieter höhere Gebühren verlangen.

Dies erklärt auch, wie ein Fonds entstehen konnte, der an zwei Tagen einen Wertverlust von 94 Prozent erlitt, obwohl der Aktienmarkt nur ein paar Prozent nachgab. Denn dieser Fonds investierte in einen sogenannten Volatilitätsindex, flapsig auch als „Angstindex“ tituliert. Dieser mißt die durchschnittlichen Kursschwankungen des Marktes. Genauer: er investierte in Derivate auf den umgekehrten Volatilitätsindex. Er steigt also, wenn Kursschwankungen niedrig ausfallen. Gewinne werden bei stagnierendem Markt generiert.

Im vergangenen Jahr mit historisch extrem niedrigen Schwankungen funktionierte das bestens, allein im vierten Quartal stieg der Fonds um fast 40 Prozent. Als dann aber die Korrektur mit einer der heftigsten Gegenbewegungen aller Zeiten einsetzte, war es mit niedrigen Schwankungen vorbei, und der Fonds vernichtete fast das gesamte eingesetzte Kapital. Zu Recht werden Fonds wie der umgekehrte Volatilitätsfonds als ETFs aufgelegt, denn sie sind nur für kurzfristig agierende Anleger interessant. In Zeiten von Nullzinspolitik haben sich aber vermutlich auch andere zinshungrige Anleger in solche Fonds verirrt.

Ist eine Fondsimplosion in Deutschland denkbar?

Kann eine derartige Fondsimplosion auch in Deutschland passieren? Fonds, die in den Volatilitätsindex investieren, gibt es auch hierzulande, denn die Jagd nach möglichst billigen Produkten und ungewöhnlichen Strategien ist auf beiden Seiten des Atlantiks gleichermaßen ausgeprägt. Die Risiken sind dabei in mancher Hinsicht in Europa sogar noch höher. Viele Indexfonds in Deutschland, die eigentlich harmlose Aktienfonds sein sollten, sind aber in Wirklichkeit Vehikel zur Finanzierung der sie auflegenden Großbank. Der Fonds enthält dann eine Schuldverschreibung des Mutterhauses, sowie Derivate, die den Index nachbilden. Das ist nicht unbedingt schlecht, aber sollte die Bank in Schwierigkeiten geraten, ist das Fondsvermögen weg. Gegenüber einem echten Aktienfonds sollten solche Konstruktionen eine höhere Rendite als eine echte Indexinvestition bringen – was natürlich nicht immer der Fall ist.

Ein weiteres Gefahrenpotential für Anleger bringt der Umbruch der Branche wegen der neuen EU-Mifid-Regeln. Bekamen Fondsmanager bisher von großen Banken und Maklerhäusern kostenlose Analysen und Zugang zu Analysten als Bestandteil des Provisionsgeschäfts, müssen Banken jetzt Maklerprovisionen und Analysen separat in Rechnung stellen. Bislang deutet alles darauf hin, daß die Nachfrage nicht ausreichen wird, in Zukunft genauso viele Analysen wie bisher zu erstellen. Kleinere Fondsanbieter werden jetzt weniger Analysen als bisher einsehen können, was Fondsanlegern nicht gerade helfen wird.

Unter steigenden Zinsen könnten Rentenfonds leiden

Noch problematischer könnten bei steigenden Zinsen Rentenfonds werden. Dort führt die Investition in Indexfonds zu dem Paradox, daß Firmen, die am meisten Schulden machen, das meiste Kapital zufließt, weil die Gewichtung im Index auf dem Volumen der ausstehenden Anleihen basiert. Nun sind die größten Schuldner häufig auch die ersten, die in einer Krise oder bei Zinssteigerungen Pleite machen. Hohe Zuflüsse zu Indexstrategien dürften Anleger in diesem Segment teuer zu stehen kommen.

Bleibt die Frage, wer eigentlich Gewinn aus dem Absturz des umgekehrten Volatilitätsfonds schlagen konnte. Denn wenn wie bei diesem Fonds Derivate zum Einsatz kommen, muß immer auch ein Anleger eine Gegenposition halten. Es war der Paypalgründer und Milliardär Peter Thiel, dessen Hedgefonds Thiel Macro mit Derivaten zum 31. Dezember auf steigende Kursschwankungen setzte. Thiel ist zwar ein Libertärer, folgt in seiner Anlagestrategie aber keineswegs der Österreichischen Schule. 

Und das mit Erfolg: Sollte Thiel die Putoptionen noch nach dem Kollaps des Fonds gehalten haben, hätte er der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge einen Gewinn von 171 Millionen Dollar einstreichen können.