© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Ausdruck der Vernichtung
Ausstellung in Radebeul: Wilhelm Rudolphs künstlerisches Werk zum 1945 zerstörten Dresden
Sebastian Hennig

In einem kleinen Ort nahe Dresden regt sich derzeit die viel berufene Zivilcourage. Das aus Radebeul und Stolpen stammende Ehepaar Gottfried und Annerose Klitzsch, seit Jahren schon in München lebend, lädt zum dritten Mal in ihre Radebeuler Villa zur Ausstellung Dresdner Kunst. Nach der Präsentation des Aquarellmeisters Paul Wilhelm (2016) sowie einer spannungsvollen Doppelausstellung von Hermann Glöckner und Helmut Schmidt-Kirstein im letzten Winter wird nun seit dem 10. Februar der Dresdner Wilhelm Ru-

dolph (1889–1982) vorgestellt. Am 13. Februar warben in Dresdens Innenstadt mehrere große Litfaßsäulen für die Ausstellung „Wilhelm Rudolph – Dresden 45“ mit der Wiedergabe eines großen Holzschnittes der Dresdner Trümmerlandschaft „Ammonstraße“, der 1946/47 entstanden ist und bald danach in einer großen Kunstausstellung in der Nordhalle, dem heutigen Militärhistorischen Museum, weithin Beachtung fand. 

Als Arbeiterkind 1889 in Hilbersdorf bei Chemnitz geboren, besuchte Ru-

dolph mit einem Stipendium aus der königlichen Schatulle die Dresdner Kunstakademie, überstand als einfacher Soldat vier Kriegsjahre an der Westfront, während neben ihm sein Bruder fiel. Zwischen den Kriegen konnte er sich dann mit seinem ausdrucksvollen Realismus in der deutschen Kunstszene behaupten. Seine Werke wurden angekauft und im Ausland gezeigt. Er war 1929 beteiligt an der Ausstellung Neuer Sachlichkeit im Stedelijk Museum Amsterdam.

Vor allem aber gehört er damals zu den Erneuerern des Holzschnittes. Dabei hat ihn nicht der kokette Primitivismus des expressionistischen Flächenholzschnitts gereizt. Zunächst wählte er die Technik zur wohlfeilen Wiedergabe seiner Bilder für einen erweiterten Käuferkreis. „Ich hoffte, mit dieser Eindeutigkeit Menschen der verschiedensten Grade ansprechen zu können und fand, daß sich meine Eindrücke (…) in dem widerstrebenden Holz gestalten und unmittelbar ausdrücken ließen.“ Sein schlichtes Bemühen, die Reize der Malerei und Federzeichnung in den Auflagendruck zu transportieren, führten ihn über die Jahre zu einer singulären Meisterschaft in diesem Fach.

Aus den Werken der unmittelbaren deutschen Nachkriegskunst ragen Wilhelm Rudolphs Federzeichnungen und Holzschnitte zu Dresden und den Dresdnern hervor. Viele Künstler rangen damals mit abstrahierter Metaphorik, fahler Farbigkeit und einer Ästhetik der Armut, um eine künstlerische Signatur für die katastrophale Situation des völligen Zusammenbruchs von Land und Leuten zu finden. Man denke an die Ruinenbilder von Carl Hofer und Otto Dix.

Während die Künstlerschaft weithin verunsichert ist und an ihrem erprobten Bildstrategieren irre wird, erlangt

Rudolphs Kunst unter den beklagenswerten Umständen eine noch nie dagewesene Intensität. Der Zusammenbruch manifestiert sich ja besonders drastisch in den Trümmerfeldern von Dresden. Und ausgerechnet in diesem chaotischen Zentrum der Vernichtung gelingt nun einem Künstler der endgültige Durchbruch zur befreienden Form. Ein über die Jahre erprobter kraftvoller, intelligenter und doch von Räsonnement völlig unberührter Realismus steht ihm dafür zur Verfügung. Der ermächtigt ihn zusammen mit seinem unerschütterlichen Naturell als einzigen unter deutschen Künstlern, den gültigen Ausdruck dieser Zeit zu finden. 

Die Privatsammlung Klitzsch hat ihren Schwerpunkt in dieser Werkgruppe. In Radebeul wird ein musealer Überblick der Holzschnitte, Lithographien, Federzeichnungen und Aquarelle aus mehreren über Jahre verfolgten Zyklen zu diesem Thema gezeigt. Gottfried Klitzsch möchte damit das Augenmerk auf den Zusammenhang lenken. Den Trümmern der Stadt entsprechen die Menschenreste, die in ihrem blanken Überleben Gespenstern gleich die rauchenden Aschehaufen ihres Lebenssinns, ihrer Heimat durchstreifen. Da sind die monumentalen Veduten der als Trümmerfassade noch ein letztes Mal in ihrer unwirklichen Schönheit aufscheinenden Barockstadt Dresden und die trüben Kolonnen der Vertriebenen mit Sack und Pack, die bizarren Brennholzsammler in den Schutthalden und die „Trümmer der Wehrmacht“.  Der Künstler hat beide Aspekte, den Menschen und seinen Lebensraum, stets als Zusammenhang begriffen. Seine Aquarelle von „Dresden als Landschaft“ zeigen, wie die Natur von den geräumten Flächen zwischen den ausgebrannten Gehäusen wieder Besitz ergreift.

Früher genügten Andeutungen auf die Ereignisse vor nunmehr achtzig Jahren. Denn beinahe jede Familie war auf die eine oder andere Weise betroffen. Häufig noch in den neunziger Jahren kamen alte Dresdner in einer beliebigen Gelegenheitsunterhaltung mit Fremden sehr rasch und beinahe eruptiv auf die Bombennächte zu sprechen, so als wäre seither nichts Wesentliches in ihrer Stadt mehr geschehen. Und tatsächlich war es wohl auch so, gemessen nach der Relevanz der Ereignisse. Vielleicht wurde sogar mehr davon gesprochen als während der vorangegangenen Jahrzehnte, wo die Distanzierung überlebensnotwendig war und von den überall noch gegenwärtigen Zeichen im Stadtbild lieber abgesehen wurde, um eine Normalität des Lebens wiederzufinden.

In solcher Situation hilft allein die Kunst. Paul Celan und Zoran Mušic haben in Vers und Bild die Erinnerung zu bewahren versucht. Ähnliches haben Theodor Buhl im Roman „Winnetou August“ (2010) und Reinhard Jirgl in „Die Unvollendeten“ (2003) für die Massaker des Luftkriegs und der wilden Vertreibungen geleistet. Schostakowitschs 1960 im Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz komponiertes achtes Streichquartett verwebt ein musikalisches Selbstporträt mit den leidvollen Erfahrungen der Blockade Leningrads und der Auslöschung Dresdens.

Wilhelm Rudolph wußte, daß das Thema seiner Darstellungen den Zugang nicht einfacher macht. Ein Jahr vor seinem Tod sagte er: „Man darf noch kein volles Verständnis erwarten. Es ist noch zu früh für diese Sachen.“ Allerdings tut sich die Kunstwissenschaft heute schwerer damit als die von Rudolph visierten „Menschen der verschiedensten Grade“. Zu einer Ausstellung der Trümmerzeichnungen zum 50. Jahrestag der Zerstörung Dresdens im Sächsischen Landtag glaubte der Eröffnungsredner Wilhelm Rudolph

fortschrittlich aufwerten zu müssen mit dem schiefen Vergleich seines Federstrichs mit der aleatorischen Beliebigkeit der Kleckserei eines Jackson Pollock. Wir sind heute wieder in einer Situation, wo Ausstellungen in privaten Räumen die politischen Verblendungen offizieller Kulturpolitik korrigieren. 

Die Aufmerksamkeit der Radebeuler Schau wägt maßvoll ab zwischen dem schwierigen Thema und der Exzellenz der Werke. Weit mehr als ein Ausstellungskatalog, bahnt ein gehaltvolles, hervorragend gestaltetes Buch mit vielen erhellenden Textbeiträgen und brillanten Abbildungen den Zugang zum Werk und den Umständen seiner Entstehung. 

Die Ausstellung „Wilhelm Rudolph – Dresden 45, Zeichnungen, Lithographien und Holzschnitte“ ist bis zum 6. Mai in Radebeul-West Hohe Str. 35, an den Wochenenden von 11 bis 18 Uhr zu sehen.

Der Katalog mit 144 Seiten und zahlreichen Abbildungen kostet 27,50 Euro.

 www.ausstellung-dresdner-kunst.de