© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Volk ist völkisch ist rassistisch ist nationalsozialistisch
Der einflußreiche Mediävist Otto Brunner in der bunten Optik des fachhistorischen Enkels Hans-Henning Kortüm
Wolfgang Müller

Aufgrund seines 1939 erstmals erschienenen, seitdem in mehreren Auflagen und Nachdrucken verbreiteten Hauptwerks „Land und Herrschaft“ gilt der österreichische Historiker Otto Brunner (1898–1982) als einer der einflußreichsten Mediävisten des vergangenen Jahrhunderts. Eine Hochschätzung, der auch die in altbewährter Tradition eines Joseph McCarthy seit den 1990ern in Permanenz tagenden Schnell- und Sondergerichte wenig anhaben konnten, die Brunner zusammen mit Theodor Schieder, Werner Conze und anderen Exponenten deutscher Geschichtswissenschaft wegen ihrer „belasteten Vergangenheit“ als junge „Legitimationsbeschaffer“ für die NS-Herrschaft aburteilten.

Für Hans-Henning Kortüm, Professor für mittelalterliche Geschichte in Regensburg, ist Brunner bei diesem ungeistigen Großvatermorden bislang zu glimpflich weggekommen. Mit bisher „kaum bekanntem Aktenmaterial“ und einem verschollenen, nun in Japan wiederentdeckten Buchmanuskript will er daher weitere „dunkle Punkte“ in dessen Karriere aufklären, um endlich zu enthüllen, daß Brunner „eindeutiger und stärker als bislang bekannt“ ein „äußerst aktiver und zutiefst überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus“ gewesen sei.

Ein von Karrierismus befeuerter Mitläufer

Das marktschreierisch hohe C dieses Bewältigungsmoralismus kontrastiert allerdings schon äußerlich mit der ordinären Form, in der es vorgetragen wird. Handelt es sich doch bei dem, was Kortüm sensationell Neues mitteilen will, lediglich um die ausgewalzte Zweitveröffentlichung eines Beitrags zu dem im letzten Herbst präsentierten, von den notorischen Geschichtsklitterern Michael Fahlbusch und Ingo Haar herausgegebenen, den SED-Braunbüchern aus tiefer Seelenverwandtschaft nachempfundenen „Handbuch der völkischen Wissenschaften“. Daß die renommierten Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (Heft 1/2018) mit diesem Wiederabdruck ihr Debüt als Resterampe geben, verdient immerhin festgehalten zu werden.

Inhaltlich ist, was Ankläger Kortüm vorbringt, von geradezu lächerlicher Dürftigkeit. Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Daß der angeblich so wilde „Nazi“ Brunner erst, wie seit langem bekannt, im dritten Anlauf, im Februar 1944, in die NSDAP aufgenommen wurde, ist natürlich kein Indiz für einen Mangel an Gesinnungstreue des Kandidaten. Das späte Datum sei „offensichtlich“ mit „formaljuristischen Gründen“ zu erklären. Mag sein, aber bewiesen ist damit nichts, wie Kortüm überhaupt trotz eifriger Archivrecherche oft mit „vermutlich“ und „offensichtlich“ seine Indizienketten schließen muß. Das aus seiner Sicht schwerwiegendste Beweismaterial entgeht ihm sogar. Daher „vermag beim derzeitigen Kenntnisstand nicht geklärt werden“, in welcher Funktion der Historiker im Oktober 1944 nach einer „Rückholaktion“, von der 5.000 an der Front eingesetzte Wissenschaftler profitierten, in der „Wehrforschung“ Verwendung fand. Kenner der Materie wissen, daß die wenigen Geisteswissenschaftler, die dank dieser „Aktion Sonderelbe“ an ihre Schreibtische zurückkehrten, im Endkampf des Reiches nicht annähernd so „kriegswichtig“ tätig wurden wie etwa ihre Kollegen in Oxford oder Cambridge, die jahrelang Piloten der Royal Air Force trainierten, damit sie beim „Moral Bombing“ psychisch nicht schlappmachten.   

Wenn es also mit dem Nachweis parteipolitischer „Verstrickungen“ hapert, bleibt noch, die „dunklen Punkte“ im Kerngeschäft des Historikers aufzuspüren, seiner Textproduktion. Hier verlegt sich Kortüm zunächst aufs Raunen. Brunners Engagement als Berater einer Ausstellung „Deutsche Größe“, 1940 in München, kuratiert vom Amt Rosenberg, zeige, daß an dem Wiener Mediävisten „nicht mehr vorbeizukommen war“. Was soll das heißen? Steuerte der kleine Extraordinarius etwa die Berufungspolitik in seinem Fach, entschied er über die Forschungsförderung, legte er den Kurs auch nur einer historischen Zeitschrift fest? Die Fragen stellen heißt sie beantworten.

Aber den Anspruch, Brunner als „kämpferischen Nationalsozialisten“ zu enttarnen, obwohl die Realität nur einen von Karrierismus befeuerten Mitläufer zeigt, glaubt Kortüm mit einem Joker dann doch noch zu erfüllen. Denn 1986 erwarb eine japanische Universitätsbibliothek Brunners Bücher. Darunter auch Druckfahnen eines verloren geglaubten Werkes von 1944: „Der Schicksalsweg des deutschen Volkes“. Getragen von Entdeckerstolz will Kortüm damit das Schlüsseldokument in Händen halten, das Brunners „völkisch-rassistisches“, authentisch nationalsozialistisches Denken offenbare. Stattdessen offenbart der Interpretationsversuch an dem 300seitigen Text nur Kortüms hermeneutisches Versagen. Verantwortlich dafür ist seine Unfähigkeit, den Begriff „völkisch“ zu definieren. Um maximal pejorativen, denunziatorischen Gebrauch davon machen zu können, ist die weiteste, schwammigste Fassung jedoch mit Vorsatz gewählt. Den Vorwurf des „Völkischen“ muß sich Brunner sogar deswegen gefallen lassen, weil er, 1954 nach Hamburg berufen, als Österreicher die deutsche Staatsbürgerschaft erwarb und damit, unbelehrbar wie solche Leute sind, nicht aufgehört habe, sich zum deutschen Volk zu zählen. 

„Völkisch-rassistische Geschichtsphilosophie“

Für Kortüm, einen Westdeutschen des Jahrgangs 1955, ist, in beflissenem Einklang mit der jüngsten Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts (JF 24/17), jede Rede vom Volk bereits „völkisch“. Und der „Denkfigur“ Volk ist, da sie Kollektive unterscheidet, auch mindestens die Tendenz inhärent, Rang- und Wertunterschiede zu setzen, womit am primitiven Dreisatz Volk – völkisch – rassistisch nichts mehr fehlt. Gleichwohl glaubt der servile Zeitgeistdiener Kortüm sich nicht nur über die nach 1945 bewiesene „intellektuelle Geschmeidigkeit“ des Opportunisten Brunner zu erheben, sondern sich von ihm auch als Vertreter einer „unabhängigen, kritischen Geschichtsschreibung“ abgrenzen zu dürfen. Wenn er dann Brunners „völkisch-rassistische Geschichtsphilosophie“ so konsequent wie aberwitzig auf die Inspiration durch Alfred Rosenberg reduziert, „Hitlers Chefideologen“, wie er mit pawlowscher Geschmeidigkeit charakterisiert wird, dann ist der Brückenschlag zu Peter Trawny gelungen, der Martin Heideggers Philosophie aus den „Protokollen der Weisen von Zion“ und dem Obskurantismus der „jüdischen Weltverschwörung“ ableitet.