© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Umweltberater konsultieren
„Vilmer Thesen“ aus der grünen Parallelgesellschaft
Christoph Keller

Als Emanuel Geibel 1861 sein Gedicht „Deutschlands Beruf“ veröffentlichte, wollte er einen Beitrag zur deutschen Einheit leisten: „Wenn die heil’ge Krone wieder eine hohe Scheitel schmückt, auf dem Haupt durch alle Glieder stark ein ein’ger Wille zückt, wird im Völkerrat vor allen deutscher Spruch aufs neu erschallen“, schrieb der Lübecker Poet. In Erinnerung blieb aber nur die letzte Strophe: „Macht und Freiheit, Recht und Sitte, klarer Geist und scharfer Hieb zügeln dann aus starker Mitte jeder Selbstsucht wilden Trieb – und es mag am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen.“

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“

Das galt einst für Kaiser Wilhelm II. und 110 Jahre später wieder: Nirgends sonst ist dieser Wunsch noch so gelebter Glaube wie bei den schwarz-rot-grünen Weltrettern. Und zwar durchaus in dem von Geibel gemeinten kulturimperialistischen Sinn. Würde global die deutsche Disziplin des Energiesparens und Mülltrennens eingehalten, ließe sich die Apokalypse verhindern. Da trifft es sich gut, wenn deutsches Umweltbewußtsein Fremden nicht länger in ihrer afrikanisch-orientalischen Heimat gepredigt werden muß, sondern Millionen Naturfreunde ins europäische Mekka der ökologischen Religion flüchten können.

So sahen es jedenfalls die Teilnehmer einer Sommerakademie auf der Ostseeinsel Vilm, deren 2016 formulierte „Thesen zur Globalen Umweltpolitik“ ungewöhnlich lange von der Redaktion der Zeitschrift Natur und Landschaft geprüft wurden, bevor sie jetzt in diesem Organ des Bundesamts für Naturschutz (BfN) erschienen sind (Ausgabe 1/18).

Die verspätete Veröffentlichung der „Vilmer Thesen“ mag sich einerseits aus Vorbehalten gegenüber ihren wenig originellen Positionen erklären. Verstärken sie doch nur die Trommelei für die Beschlüsse der Pariser Klimakonferenz, für die UN-Nachhaltigkeitsziele und die deutsche Vorreiterrolle bei der „natur- und sozialverträglichen Energiewende“. Die redaktionelle Verspätung könne aber auch am realitätsfernen Kapitel über „Migration und Flucht als Herausforderungen für den Naturschutz“ liegen.

„Flüchtlingshilfe“ und Umweltschutz

Darin kombinieren die Unterzeichner die zwei liebsten Weltrettungsphantasien der Moral-Supermacht Deutschland: „Flüchtlingshilfe“ und Umweltschutz. Der Austausch mit „Geflüchteten“, so träumt man, könne nicht nur der Integration dienen, sondern auch der deutschen Naturschutzbewegung „neue Perspektiven“ eröffnen, die Migranten mit ihren „Naturverständnissen bereichern“. Zugleich trügen sie dazu bei, das „Nachwuchsproblem“ bei Umweltverbänden zu beheben. Kein Kleingedrucktes weist diesen Teil der Thesen als Satire aus.

„Vilmer Thesen“ in Natur und Landschaft 1/18: www.kohlhammer.de/