© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Grüße aus Wien
Unterirdische Klangwelten
Michael Link

Hunderte Menschen drängen sich zwischen den Bahnsteigen, so mancher Fuß berührt unsanft meine Ferse, so mancher mißmutige Blick trifft meinen eigenen. Irgendwo erklingt Straßenmusik, wofür wohl die wenigsten Menschen gerade zu dieser Uhrzeit in der Stimmung sind. Der gesamte Erholungswert eines Wochenendes scheint gefährdet – an diesem typischen Montagmorgen in der U-Bahn-Station Westbahnhof.

Ein kräftiges „Let it be ...“ dringt nun aus diesem anfänglichen Gitarren- und Gesangsbrei in meine Ohren. Instinktiv drehe ich, gerade die Rolltreppe verlassend, meinen Kopf zur Klangquelle: „ ...whisper words of wisdom.“

Geflüstert war das nicht gerade. Hat jedenfalls eine starke Stimme, der junge Mann. Ich verlasse den Menschenstrom und nähere mich dem Straßensänger, der sich vor einer großen Tafel mit der Aufschrift „U-Bahn-Stars“ die Seele aus dem Leib singt. Doch, bei aller Wertschätzung für den spitzbärtigen Untergrundbarden, ist das gewiß wieder einer der passionierten Untergrundmusiker, deren Staretikette bei ihnen falsche Hoffnungen zu wecken droht.

Die Künstlerauftritte sollen die Stationen beleben und das Sicherheitsgefühl erhöhen.

Zum Teil der kleinen Menschentraube geworden, schenke ich dem Musiker meine Aufmerksamkeit. Drei weitere Lieder später und ebenso viele Euro leichter, muß ich schließlich von dannen ziehen und wieder in den von mißmutig blickenden Menschen geprägten Strom eindringen. Immer wieder denke ich an die eigentümliche Wortkombination „U-Bahn-Star“.

„Was in New York und London schon länger für gute Stimmung in den Öffis sorgt, zaubert seit Sommer 2017 auch Fahrgästen im Netz der Wiener Linien ein Lächeln auf die Lippen“, lese ich dann auf der Homepage der Wiener Linien. „In ausgewählten Stationen spielen die ‘U-Bahn-Stars’ für unsere Fahrgäste.“

Irgendwie klingt der Begriff  jetzt für mich etwas ironisch. Doch die für die Wiener Linien zuständige SPÖ-Stadträtin Ulrike Sima frohlockt: „Mit den Künstlerauftritten gelingt es, die Stationen zu beleben und das subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen.“ Erhöhtes Sicherheitsgefühl? Bekanntlich können abgelenkte Menschen leichter beklaut werden, denke ich.

Warum aber höre ich nie Schrammelmusik. Wäre doch auch ein kleines Stück Wien. Einen Augenblick lang denke ich daran, wie es wäre, mit meiner Gitarre ein paar meiner früher einstudierten Wiener Lieder in der unterirdischen Öffentlichkeit zum Besten zu geben. Ach, was soll’s. Let it be ...