© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Die Riffgewitter klingen ab
Rockmusik: Der legendäre US-amerikanische Gitarrenhersteller Gibson steht vor dem Aus
Markus Brandstetter

Wir schreiben das Jahr 1973. Die englische Rockband Deep Purple veröffentlicht den Song „Smoke on the Water“. Das Stück beginnt mit einem unverwechselbaren Gitarrenriff von Ritchie Blackmore, das sich sechsmal wiederholt, bis schließlich Ian Gillan mit dem Gesang einsetzt. Dieser Riff besteht aus vier Takten in g-Moll, die eine in Quarten harmonisierte Bluestonleiter darstellen. Auf dem Klavier sind diese vier Akkorde ganz einfach zu spielen, aber auf der Gitarre muß man, um das richtig hinzukriegen, schon ein bißchen üben.

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben Millionen Menschen auf der ganzen Welt genau diese vier Akkorde geübt, um wie Ritchie Blackmore zu klingen. Gitarre spielen ist in, eine ganze Generation nimmt Gitarrenstunden. Wer zwischen 1940 und 1960 geboren ist, lernt nicht mehr – wie noch zwanzig Jahre früher – Klavier spielen, sondern Gitarre. Freizeitmusiker rund um den Erdball wollen wie Rockstars klingen, jede Dorfschule hat ihre eigene Band, in jeder Provinzstadt spielt eine Gruppe mit wilden englischen Namen die Songs, die alle aus dem Radio kennen, nach.

Ihre Vorbilder sind erst die Beatles und die Rolling Stones, später dann die ganzen anderen Bands, die Blues, Rock und bald auch Hardrock und Heavy Metal spielen: Queen, Deep Purple, Cream, Led Zeppelin und The Who. Jede Rockgruppe hat einen wild aussehenden Leadgitarristen. Obwohl kaum einer von ihnen jemals regelmäßigen Unterricht auf seinem Instrument genommen hat, sind einige Rockgitarristen ausgesprochene Virtuosen. Leute wie Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck, Carlos Santana, Mark Knopfler, Frank Zappa und Zakk Wylde können auf ihrem Instrument Dinge, die keinem gewöhnlichen Sterblichen zu Gebote stehen. Folk- und Rockmusik ist die Filmmusik zur 68er-Bewegung und zu den ganzen Protestbewegungen, die durch die sechziger und siebziger Jahre schwappen. Und das zentrale Instrument dieser Musik ist die Gitarre.

Doch diese Bewegung, die große Welle, die sie getragen und einmal die halbe Welt mitgerissen hat, läuft jetzt aus. Die Gitarre hat ihren Nimbus als Rock- und Protestinstrument verloren. In immer weniger Kellern und Garagen proben die Rockbands von morgen. Die meisten Pop-Stars von heute spielen sowieso gar nicht mehr Gitarre, sie singen nur noch. Und wenn sie es wie Ed Sheeran oder Taylor Swift doch tun, dann werden sie vielleicht als Sänger, die auch Gitarre spielen, wahrgenommen, aber nicht als Gitarristen. Heute muß auch kein Gitarrist mehr wochenlang schwierige Riffs erfinden und dann einüben, denn heute werden Gitarrenriffs erst im Computer gesampelt und dann mit der Software in den Song hineingemischt. 

Diese Entwicklung ist einer der Gründe dafür, warum der amerikanische Gitarren-Hersteller Gibson aus Nashville, Tennessee, um seine Existenz kämpfen muß. Dabei ist Gibson nicht irgendeine Krauterbude, sondern einer der wichtigsten US-amerikanischen Instrumentenhersteller überhaupt. Die Firma wurde 1902 von einem heute vergessenen Mandolinenmacher namens Orville Gibson gegründet. Die Geschäfte gingen lange Zeit so lala, bis das Unternehmen 1935 die erste kommerziell erfolgreiche elektrische Gitarre auf den Markt brachte – ein Schritt, der die Welt der Musik veränderte, denn erst wenn ihr Klang elektrisch verstärkt ist, kann eine Gitarre eine Jazzband oder ein Swing-Orchester übertönen. 

1952 dann erfand der amerikanische Country- und Blues-Gitarrist Les Paul für Gibson die Gitarre, die die Welt der Rockmusik für immer revolutionierte: die nach ihm benannte Les Paul. Aufgrund ihres warmen, druckvollen Klangs wurde die Les Paul das Lieblingsinstrument von Leuten wie Paul McCartney und George Harrison, Jimi Hendrix, Jimmy Page von Led Zeppelin, Frank Zappa, Carlos Santana, Sheryl Crow und Lenny Kravitz, Slash von Guns N’ Roses. Auch Angus Young von AC/DC spielte ganz früh eine Les Paul, wechselte dann jedoch zu einem anderen Modell von Gibson. Jedenfalls gibt es die Gitarre bis heute, Gibson hat Millionen davon verkauft, auf zahllosen Schallplattenaufnahmen, die jeder kennt, ist der kräftig-rockige Sound der Les Paul zu hören.

Und nun steht Gibson, wie die Nash-ville Post jüngst berichtet hat, kurz vor der Insolvenz. Im Juli muß das Unternehmen eine Anleihe über 375 Millionen Dollar zurückzahlen und darüber hinaus 145 Millionen Dollar an Bankdarlehen tilgen. Zusammen sind das Schulden von über einer halben Milliarde Dollar – dabei macht Gibson nur eine Milliarde Dollar an Jahresumsatz. Das wird schwierig werden, wenn nicht gar unmöglich. Gibson hat eine Investment-Bank mit der Restrukturierung seiner Finanzen beauftragt, aber wenn solche Typen mit ihren blauen Anzügen, den kantigen Gesichtern und den hohen Spesenabrechnungen – von den Provisionen gar nicht zu reden – auftauchen, dann ist das meist der Anfang vom Ende. 

Es könnte also durchaus passieren, daß Gibson noch im Sommer dieses Jahres Insolvenz mit Gläubigerschutz beantragen muß oder aber in den Besitz von Banken und den Zeichnern seiner Anleihen übergehen wird. Ob die das Geschäft fortführen oder die Firma zerschlagen, um die Aktiva, die noch etwas wert sind, gewinnbringend zu verscherbeln, steht im Moment in den Sternen. Sollte Gibson untergehen, dann würde hier in letzter Konsequenz auch wirtschaftlich eine Entwicklung zu Ende gehen, die künstlerisch seit Jahren schon am Untergehen ist.

Das halbe Jahrhundert, in dem Rockgitarristen die Populärmusik auf der ganzen Welt dominierten, ist vorbei. Und wie überall sonst übernehmen auch hier Computer und Softwareprogramme die Regie: Denn um heute einen erfolgreichen Popsong zu kreieren, braucht man weder Gitarren noch ein Schlagzeug noch ein Keyboard noch sonst etwas. Alles einschließlich virtuoser Gitarrenriffs, schmachtender Geigen, säuselnder Hintergrundchöre und rockiger Piano-Akkorde kommt heute immer öfter aus einer Klangdatenbank, die jeden erdenklichen Sound abgespeichert hat. Aus dem authentischen Lebensgefühl einer ganzen Generation ist ein synthetischer Remix geworden.