© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Knapp daneben
Kein Platz für Rentner
Karl Heinzen

Erasmus+, das üppig finanzierte Austauschprogramm der EU, hat es möglich gemacht: Seit ein paar Tagen darf sich Miguel Castillo, der eigentlich an der Universität Valencia für Geschichte eingeschrieben ist, einen Studienaufenthalt in Verona gönnen. Ganz neu ist die norditalienische Provinzstadt für ihn allerdings nicht. Vor 42 Jahren war er schon einmal dort, gemeinsam mit seiner Ehefrau, um in der antiken Arena dem Opernstar Maria Callas zu lauschen. Castillo ist nämlich kein gewöhnlicher Student. 

Das Leben, das seine Kommilitonen noch vor sich haben, ist für den 80jährigen bereits weitgehend abgehakt. Eine Karriere als Notar, drei Kinder, sechs Enkelkinder, ein Herzinfarkt und vier Bypässe – all das war ihm aber nicht genug. Er wollte noch einmal etwas Neues beginnen. Menschen wie Castillo müssen erstaunlicherweise keine gesellschaftliche Ächtung befürchten. Man neigt sogar dazu, sie zu bewundern, da sie doch so aktiv und im Herzen jung geblieben erscheinen. Diese Zuneigung haben sie nicht verdient. 

Wer eine Universität besucht, verfolgt kein Bildungsziel, sondern will Examen machen.

Alten Leuten, die Universitäten besuchen, um in Mülleimern nach Pfandflaschen zu stöbern, gebührt unser Respekt, da sie Verantwortung für ihren Lebensstandard übernehmen und ihren Beitrag zu einer ökologischen Kreislaufwirtschaft leisten. Rentner, die in Vorlesungen, Seminaren oder Bibliotheken herumlungern, sollten jedoch hinauskomplimentiert werden, da sie jungen Menschen, die auf ihrem Eilmarsch ins Erwerbsleben keine Zeit zu verlieren haben, den Platz wegnehmen. 

Dies betrifft auch nutzlose Disziplinen wie die von Castillo belegte Geschichtswissenschaft. Aus so manchem abgeschlossenen Historiker ist später schließlich einmal ein erfolgreicher Taxifahrer oder Imbußbudenbesitzer geworden. Es mag ja sein, daß Castillo sich für neueste Geschichte interessiert, obwohl er sie selbst erlebt hat und daher kennen müßte. Dazu gibt es aber haufenweise Bücher, die man still für sich lesen kann, ohne irgendwo immatrikuliert zu sein. Denn auch dies müßte er längst gemerkt gehaben: Wer eine Universität besucht, verfolgt kein Bildungsziel, sondern will Examen machen.