© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Ländersache: Niedersachsen
Alle gegen eine
Christian Vollradt

Eigentlich. In der Politik erinnert das Wort an die alten Radio-Eriwan-Witze („Im Prinzip ja, aber ...“). Eigentlich wollte man ja keine Beschlüsse nach dem Motto „Alle gegen die AfD“ herbeiführen, so der Fraktionsgeschäftsführer der CDU im Niedersächsischen Landtag, Jens Nacke. Aber genau so ist es nun gekommen. 

Eine sehr große Koalition aus den Regierungsparteien SPD und CDU sowie den oppositionellen Grünen und Liberalen hat gemeinsam eine Gesetzesänderung beschlossen, wonach künftig der Landtag insgesamt vier Vertreter für den Stiftungsrat der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten wählen soll (JF 8/18). Bisher steht im Gesetz, daß jede Fraktion einen Vertreter in dieses Gremium entsendet. Angeblich, so die offizielle Begründung, solle die Festlegung auf vier gewählte Vertreter die Arbeitsfähigkeit des Stiftungsrats dauerhaft sicherstellen. Als ob ein Abgeordneter mehr – der Landtag hat fünf Fraktionen – die Institution ins Chaos stürzen würde.

In Wahrheit soll die AfD, die kleinste Fraktion im Parlament, herausgehalten werden. Der Vorwurf, hier werde eine „Lex AfD“ geschaffen, kommt nicht nur aus den Reihen der betroffenen Partei. Auch der Beratungsdienst des Landtages hatte zuvor Bedenken wegen mangelnder Rechtskonformität gegen die ursprüngliche Version der Gesetzesänderung angemeldet. 

Die Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten betreut unter anderem das frühere Konzentrationslager Bergen-Belsen. Der Stiftungsrat ist nicht nur für den Haushalt zuständig, sondern bestellt auch den Geschäftsführer. Im Beirat der Stiftung wirken Verbände von Holocaust-Überlebenden mit, die zum Teil im Ausland ansässig sind. Aus deren Reihen habe es Bedenken gegen Mitglieder aus der AfD gegeben, in deren Reihen „revisionistische, rassistische, antisemitische und den Holocaust verharmlosende oder gar leugnende Positionen“ vertreten würden, hatte Stiftungsgeschäftsführer Jens-Christian Wagner mitgeteilt. 

Nun attestieren regionale Medien der AfD-Fraktion im Hannoveraner Leineschloß eine sachorientierte und regelkonforme Arbeit. Der Rundblick  bewertete die Beiträge der neun AfDler als „überwiegend klug“ und unverfänglich. Selbst Wagner, der sich vorab mit AfD-Fraktionschefin Dana Guth und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Klaus Wichmann getroffen hatte, konnte keine „Leichen im Keller“ präsentieren. Besonders pikant: Die AfD hatte Stiftungschef Wagner noch vor der ganzen Debatte von sich aus angeboten, ohne großes Gedöns auf den ihr zustehenden Sitz im Stiftungsrat zu verzichten. 

Die kaum kaschierte „Lex AfD“ ist nun beschlossen, „inhaltlich falsch und handwerklich amateurhaft umgesetzt“, wie Wichmann in der Debatte den anderen Fraktionen vorwarf. Eigene Bedenken zerstreute sein CDU-Kontrahent Nacke unter Hinweis auf die „besonderen Umstände“. Die AfD hat unterdessen ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das ihren Anspruch auf einen Sitz im Stiftungsrat unterstreichen soll. Kommende Woche soll es vorgestellt werden. Und noch vor der Abstimmung über die Gesetzesänderung hat die Partei ihren Vertreter im Stiftungsrat „nach geltendem Recht benannt“. Mit dieser Aufgabe wurde der Braunschweiger AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz betraut.