© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

„Wir sind Menschenrechtler“
Reportage: In mehreren Städten organisieren Frauen Demonstrationen für mehr Sicherheit und gegen laxe Zuwanderungspolitik
Martina Meckelein

Was als eine Eine-Frau-Demo der ehemaligen AfD-Stadträtin Myriam Kern aus Landau begann, entwickelt sich zu einer flächendeckenden Bewegung in ganz Deutschland. Seit Anfang des Jahres fordern Frauen lautstark eine Selbstverständlichkeit vom Staat ein: „Sicherheit und Schutz!“ Drei große Protestmärsche innerhalb von drei Wochen: Berlin (JF 9/18), Kandel und Bottrop.

Autobahnausfahrt Kandel-Mitte an der A 65, Samstag, 13 Uhr, strahlender Sonnenschein. Auf dem Ausweichparkplatz steht ein Laster mit zwei Dixi-Häuschen. Schräg gegenüber am Fuß der Böschung zur Autobahn ein Pritschenwagen mit Bühnenaufbau. Frauen und Männer flanieren in Funktionskleidung über den nackten, gefrorenen Boden. „Wir sind alles keine Gutmenschen“, sagt ein vorbeischlendernder älterer Herr lächelnd, „aber alles gute Menschen.“

Hier ist der Treffpunkt der Initiative „Kandel ist überall“, die sich gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ausspricht. Unterstützt wird sie von der baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum.

Das Städtchen Kandel liegt in Rheinland-Pfalz, hat 9.000 Einwohner. Am 27. Dezember 2017 erschütterte die Kleinstadt ein Verbrechen. Der afghanische Flüchtling Abdul D. tötete die 15jährige Schülerin Mia V. Er stach in einem Drogeriemarkt auf sie ein – immer wieder (JF 3/18). Das Mädchen starb. Der Messerstecher war ihr Ex-Freund. Nach der Festnahme stellte sich heraus, der Mann hatte 2016 bei seiner Einreise nach Deutschland ein falsches Alter, 15 Jahre, angegeben. Zur Tatzeit war er mindestens 20 Jahre alt.

„Mutig, weil ihr  eurem Gewissen folgt“

Der von Medien und Politik tagelang verschwiegene Sexmob zu Silvester 2015 in Köln, die Morde in Freiburg oder Prien, die Gruppen-Vergewaltigung in Hamburg-Harburg führten in Deutschland zu keinem Aufschrei. Frauen bewaffneten sich still und leise mit Reizgas oder blieben ganz einfach zu Hause. Doch der Mord in Kandel brachte das Faß zum Überlaufen. Frauen begehren auf, wollen den öffentlichen Raum zurückgewinnen. Und Männer erklären sich solidarisch.

Thomas Wessely (62), Mechaniker aus Freinsheim bei Bad Dürkheim, hat  an diesem Tag Hochzeitstag. „Meine Frau wollte lieber zu Hause bleiben“, sagt er. „Da bin ich allein hier her. Was seit acht Jahren in Deutschland passiert, findet nicht mehr meine Unterstützung. Rentner, die Flaschen sammeln müssen, um zu überleben. Überfremdung durch Wirtschaftsmigranten – da kann man nicht zu schweigen.“

Immer mehr Menschen strömen auf den Parkplatz zum Frauenbündnis. Einzelne Frauen und Männer, Paare, Opas ziehen Bollerwagen mit den Enkeln darin. Die deutsche Flagge weht im Wind. Plakate mit Überschriften wie: „Kandel ist überall“. Oder: „‘Ich bin 15!’“ Wer glaubt’s?“ Mitglieder der Bürgerinitiative Aufbruch 2016 aus Schwetzingen tragen es. „Wir sind alle im Rentenalter“, sagt Winfried Wolf. „Es könnte uns ja egal sein, wir liegen bald im Grab. Aber die Sorge um unsere Kinder und Enkel treibt uns hier her.“

Sind das die Rechtsradikalen, über die die Presse schreibt? Wegen denen die Linken schreien: „Nieder mit der Nazipest!“ Auf linksradikalen Seiten im Internet wurde zur Störung der Frauendemos aufgerufen. Die Empörung der Frauen über den Mord an Mia irritiert die Linke. Frauenrechte – das hatte diese bisher als linkes Alleinstellungsmerkmal betrachtet. Jetzt werfen die Autonomen den protestierenden Frauen Rechtsradikalismus vor. Die linke Antwort: Gegendemos. „Wir sind Kandel“ nennt sich ein Bündnis aus Politik, samt Kandels Bürgermeister, Gewerkschaften und Kirchen. Luftlinie 200 Meter entfernt, trillern knapp 100 Autonome, später sind es bis zu 500. Linke Demos gegen Frauen, aber für den „Schutz für Schutzbedürftige“, gemeint sind Flüchtlinge. Ein linker Demonstrant trägt ein Schild: „Judäische Volksfront für Frauen gegen  Rechte“. Was das heißt? „Es geht hier um Inhalte“, murmelt der Vermummte.

15 Uhr. Auf dem Pritschenwagen, der als Bühne dient, wechseln sich die Sprecherinnen der Demo „Kandel ist überall“ ab.

Auf der Böschung stehen Demonstranten und schwenken Deutschlandfahnen. „Merkel muß weg!“- und „Wir sind das Volk!“-Rufe. Um 15.22 Uhr donnert ein Laster auf der Autobahn vorbei. Lange hallt seine Fanfare als Gruß nach. Die Demonstranten lachen und klatschen. Als einziger Mann steigt Imad Karim um 15.47 Uhr auf den Wagen. „Liebe Freunde und demokratischen Mitstreiter. Mutig seid ihr, weil ihr eurem, unserem Gewissen folgt.“

Der Marsch beginnt. Vorbei an den Linken oben am Kreisel. Immer mehr Menschen reihen sich ein. Wie ein unablässiger Strom drängen sie durch die Straßen – 4.000 Teilnehmer! 

Ja, auch Rechtsradikale begleiten die Demo. Sind es 50 oder hundert? „Hier marschiert der nationale Widerstand!“ oder „Frei, sozial und national!“ brüllen sie. Identifizieren die sich wirklich mit Frauenforderungen? Oder nutzen sie vielmehr die Demos als Vehikel für ihre eigenen politischen Interessen? Die Linken brüllen Polizisten an: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten!“ Auf der Frauendemo geben Trommler den Takt zum „Ahu“-Schlachtruf der Spartaner aus dem Film „300“ an. Irgendwo auf der Strecke gibt es eine Schlägerei zwischen Rechten und Linken.

Aus einem Fenster im Hochparterre reicht ein Mann „Kandel ist überall“-Demonstranten Schnäpse. Warum marschieren Sie nicht mit? „Wir können das alles vom Fenster doch viel bequemer sehen“, sagt seine Bekannte von drinnen.

Eine junge Frau genehmigt sich lachend ein Glas. Dann ernst: „Ich komme aus Kandel, laufe hier aus Überzeugung mit. Ich habe zwei kleinere Schwestern, die kannten die Mia, die gehen abends aus Angst nicht mehr raus. In der Stadt ist die Stimmung geteilt. Ich würde sagen die Hälfte sind für, die anderen gegen die Demos.“ Dagegen sind die Geschäftsleute. „Schauen Sie sich doch mal um. Durch die Straßensperren kommt keiner am Samstag zum Einkaufen. Jetzt muß mal Schluß sein“, sagt eine Kioskhändlerin.Schluß ist um 17.55 Uhr auf dem Parkplatz an der Autobahn. Für einige, wie Guido Reil, Ex-Sozialdemokrat und jetzt Mitglied im AfD-Bundesvorstand geht es weiter – nach Bottrop.

In die Industriestadt in Nordrhein-Westfalen mit 117.000 Einwohnern hat für Sonntag die Initiative „Mütter gegen Gewalt“ zur Demo eingeladen. Die Initiatorin ist „Mona Maja“, der Name ein Pseudonym. Die gestandene Ruhrpottlerin steht mit Weste und Hose hemdsärmelig vor über 1.000 Menschen und zitiert auf dem Vorplatz der Cyriakuskirche Dietrich Bonhoeffer: „Von guten Mächten treu und still umgeben“.  Die erste Demo, die sie organisiert – ein Erfolg. Auch ihr wird Rechtsradikalismus und Rassismus vorgeworfen. „Nein, wir sind Menschenrechtler!“ 

Gegenüber, getrennt durch Polizei und Absperrgitter, stehen 300 Linke mit Hammer-und-Sichel-Fahnen. Ihre Trillerpfeifen dringen nicht durch. Der Marsch durch die Stadt für die Demonstrantinnen, manche in schicken Pelzjacken und Ledermänteln aus Düsseldorf angereist, ist eine Premiere. „Kommen Sie, es geht los“, fordert ein Polizist  eine Bannerträgerin vorne auf. „Ich weiß nicht, wo es langgeht“, sagt sie entschuldigend. „Keine Sorge, ich kenne den Weg“, sagt der Beamte schmunzelnd zu ihr. „So viele Menschen waren heute hier, das zeigt, daß es Redebedarf gibt“, sagt Mona Maja nach der Demo der JF. Und die Rechtsradikalen, die hier mitmarschierten? Sie tranken entgegen den Auflagen Bier, brüllten: „Widerstand“ und „Kriminelle Ausländer, Raus!“

„Ich bin keine Rassistin. Viele haben versucht mich im Vorfeld der Organisation der Demonstration zu instrumentalisieren. Da mache ich nicht mit. Das Wichtigste ist doch, daß man sich selber treu bleibt,“ sagt Mona Maja.