© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Die Gewaltbereiten werden mehr
Fokus Salafisten: Unbemerkt und schleichend wächst unter uns die Szene der Radikalsten der Radikalen
Hinrich Rohbohm

Ihre Zusammenkünfte spielen sich vor den Augen der Öffentlichkeit in deutschen Städten ab. Dennoch werden sie von vielen Bürgern kaum wahrgenommen. Ob islamistische Fanatiker, salafistische Haßprediger oder Anhänger und Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats (IS): Sie verstecken sich nicht. Die Türen in ihre Gebetshäuser sind geöffnet, die Predigten erfolgen zum Teil sogar in deutscher Sprache. Salafisten verteilten auf öffentlichen Plätzen den Koran. Und doch nehmen Deutsche im Alltag kaum von ihnen Notiz. So lange nicht, bis Anschläge wie der von Anis Amri im Dezember 2016 schockierende Schlagzeilen machen und die Gesellschaft in Schockstarre versetzen.

Nach Erkenntnissen des Bundes­kriminalamts leben derzeit 730 islamistische Gefährder in Deutschland. 890 Personen sind seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 von Deutschland aus in das krisengeschüttelte Land gereist. Ein Drittel von ihnen ist inzwischen wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Radikalisiert und ausgebildet für den Dschihad.

Führender Salafist in  Frankfurt festgenommen

Einer der mutmaßlichen Netzwerker und Organisatoren von Ausreisen ging den Sicherheitsorganen jetzt ins Netz: Die Bundespolizei schnappte vergangenen Freitag am Frankfurter Flughafen einen führenden Kopf der deutschen Salafistenszene: Dem festgenommenen 28 Jahre alten Bilal G.wird Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen. Er soll einen Schüler türkischer Abstammung zum Kämpfen in den syrischen Bürgerkrieg geschickt haben. Der Junge kam dort um. G. sitzt in U-Haft.

24 andere dieser zumeist jungen Muslime wiederum soll Ahmad Abdulaziz Abdullah A. angeworben und nach Syrien oder in den Irak eingeschleust haben. Der Salafistenprediger, der sich „Abu Walaa“ nennen läßt, muß sich derzeit vor dem Celler Oberlandesgericht verantworten. Ihm wird die „Bildung eines überregionalen salafistisch-dschihadistischen Netzwerks“ sowie Terrorfinanzierung und Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat zur Last gelegt. Der gebürtige Iraker gilt als die Nummer eins des IS in Deutschland.

Auch Anis Amri zählte zu seinen Anhängern. Abu Walaa soll den Mann, der am 19. Dezember 2016 einen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche verübte, in seiner Hildesheimer Moschee als Märtyrer gesegnet haben. Ein Vorgang, der unter Islamisten als besondere Auszeichnung gilt. Auch einige der verurteilten Attentäter von Essen, die im April 2016 einen Sprengsatz vor einem Sikh-Tempel zündeten und durch den ein Gläubiger verletzt worden war, sollen zu seinen Schülern gezählt haben. Ein weiterer Jünger Abu Walaas ist Dasbar W., der einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Karlsruhe geplant haben soll.

Als Zentrale für seine Haßpredigten diente Abu Walaa der mittlerweile verbotene Moscheeverein „Deutschsprachiger Islamkreis“ (DIK) in Hildesheim. Von dort, ausgerechnet in der Martin-Luther-Straße, betrieb der 33jährige seinen Feldzug gegen Andersgläubige.

Es ist eine heruntergekommene Gegend. Der Bahnhof ist nur wenige hundert Meter entfernt. Von den meisten Häusern ist der Putz heruntergebröckelt. In den umliegenden Straßen weht der Müll über die Gehwege. Vor der Hausnummer 41 sind nur noch leere Schaufenster zu sehen, nachdem die Polizei vor einem Jahr eine großangelegte Razzia in der salafistischen Szene von Hildesheim durchgeführt hatte.

Daß diese Szene in der Stadt überhaupt existierte, war selbst Anwohnern nicht bewußt gewesen. „Keiner hier hatte so richtig mitbekommen, was da ablief“, erzählt einer von ihnen der JF. „Ich habe von meiner Wohnung aus den Laden täglich im Blickfeld. Aber außer daß dort gelegentlich viele Autos parkten und Muslime beteten, wußte ich nichts über die Leute.“

„Die meisten von denen sind von außerhalb angereist, das waren nur wenige von hier“, meint ein weiterer Anwohner. Ein Blick auf die Klingelschilder der umliegenden Wohnungen scheint dessen Vermutung zu bestätigen. Viele deutsche, wenig arabische Namen.

Dennoch fällt auf: Direkt neben der einstigen islamistischen Wirkungsstätte existiert ein türkisch-arabisches Lebensmittelgeschäft. Das Fleisch „halal“, wie das Ladenschild ausweist. Schon seit einiger Zeit sind die Halal-Geschäfte in das Visier des Verfassungsschutzes geraten, da sie auch als Szenetreffs für Islamisten dienen würden.

Auf der Tür eines etwas versteckt liegenden Nebeneingangs zur ehemaligen salafistischen Gebetsstätte ist noch ein bereits von der Witterung verwaschener Aufkleber des DIK zu sehen. Ein Text in arabischer Schrift steht darüber.

„Vor zwei Jahren hat es vor der Moschee eine Schlägerei gegeben“, erinnert sich eine Nachbarin. Der Auslöser: Eine Frau war mit ihrem nichtangeleinten Hund an der Gebetsstätte vorbeigegangen. „Da kamen dann 30 Araber aus dem Haus gestürmt und schimpften irgendwas in ihrer Sprache.“ Die Frau sei bespuckt, ihr Bruder zusammengetreten worden.

„Nach den Razzien und dem Verbot des DIK sind aber mehrere arabische Familien von hier weggezogen“, erzählt ein in der Gegend ansässiger Döner-Verkäufer. Einige davon seien Kunden des Imbisses gewesen. „Irgendwann kamen sie nicht mehr. Ich denke, die bauen sich schon ein neues Gebetszentrum an einem anderen Ort auf, der ähnlich ist wie dieser.“

„Das ist der übliche Prozeß“, sagt auch Irfan Peci der JF. „Nach Festnahme einiger Führungskräfte orientiert man sich neu, wechselt die Stadt und macht dort unter dem ‘Ranghöchsten’ weiter.“ Peci hatte früher selbst Propagandavideos für Al-Qaida gedreht. Später sagte er sich von der Ideologie los und wurde zu einem der wichtigsten V-Männer des Verfassungsschutzes im deutschen Islamistenmilieu. Laut Peci würden dabei vor allem von Rot-Grün regierte Städte von der Szene bevorzugt. Hamburg, Bremen und das Ruhrgebiet seien für sie daher besonders interessant. „Nur in Bayern fühlen sich die Salafisten eher unwohl.“

Günstige Miete, unauffälliges Gebäude, Nähe zum Bahnhof. Das seien die Standortfaktoren der Salafisten, ist der Imbißmann, der selbst Moslem ist, überzeugt.


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Faktoren, die auch für den islamischen Verein „Masjid El Iman“ eine Rolle gespielt haben mögen. Dessen Moschee am Krummholzberg, mitten im Zentrum von Hamburg-Harburg, gilt ebenfalls als Anlaufpunkt für Salafisten, zudem als Nachfolgezentrum für die berüchtigte Al-Quds-Moschee im Hamburger Stadtteil St. Georg.

Die Al-Quds-Moschee war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt, weil sie von drei der vier Selbstmordpiloten besucht worden war. Unter anderem predigte hier der salafistische Imam und marokkanische Terrorist Mohammed Fazazi, dessen Botschaften sich die Selbstmordpiloten von New York angehört hatten. Weil die Gebetsstätte auch Jahre nach dem Anschlag als Treffpunkt für islamistische Terroristen diente, wurde sie von der Innenbehörde 2010 geschlossen.

Genau wie die Moschee des DIK ist das Gebäude von „Masjid El Iman“ ebenfalls nahe dem Bahnhof gelegen. Und mit seiner unscheinbaren grauen Hausfassade sticht es vorübergehenden Passanten ebenso kaum ins Auge.

Doch im Gegensatz zu der ehemaligen Wirkungsstätte Abu Walaas ist dieses Haus nicht geschlossen, fungiert nach der Moschee-Schließung in St. Georg als neues Anlaufzentrum für Salafisten. Seit einigen Jahren wird es vom Hamburger Verfassungsschutz überwacht.

Die Antworten in der Nachbarschaft sind mit denen von Hildesheim nahezu identisch. Nein, man habe kaum Notiz von dem Verein genommen. Ja, gelegentlich parken dort viele Autos, wenn Leute zum Beten kommen. Und nein, die meisten von ihnen kommen nicht aus der Umgebung. „An Ärger mit denen kann ich mich eigentlich nicht erinnern“, schildert auch am Krummholzberg ein Anwohner das geräuschlose Agieren der Salafisten.

In Harburg existiert noch ein weiteres Zentrum der Salafisten: die Taqwa-Moschee an der Wilstorfer Straße. Dessen Imam Abdelhak Setti falle laut Verfassungsschutz zwar nicht durch Haßpredigten auf. Allerdings dulde er Leute aus dem dschihadistisch-salafistischen Umfeld in seiner Moschee, in der sich auch schon Extremisten wie Mounir al Motassadeq, einstiger Helfer des Harburger Terrorpiloten Mohammed Atta, oder der deutsche Salafistenprediger Pierre Vogel aufgehalten hatten. Letzterer hatte dort auch gepredigt und zur Solidarität mit Motassadeq aufgerufen.


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Eine Hochburg für islamische Extremisten ist auch Bremen. Allein 500 Salafisten leben in der Wesermetropole. Ein besonderer Anlaufpunkt ist der Stadtteil Gröpelingen. Zwar wurde der dortige aufgrund seiner Radikalität gefürchtete Kultur- und Familienverein (KuF) verboten. „Aber die Salafisten sind hier noch immer aktiv“, ist von vielen Gröpelingern zu vernehmen. Einige hätten sich auch dem IS angeschlossen. Da gibt es die Straßenbahnlinie 10, die Ortsansässige nur noch als „Terroristenexpreß“ bezeichnen.

Und da sind die Erzählungen von Schülern, die die zunehmende Radikalisierung auf dem Pausenhof miterleben. Eine von ihnen ist Svenja. Die 17jährige besucht die Berufsschule des Schulzentrums Walle, einem Nachbarort von Gröpelingen. Dessen Direktor hatte bereits vor drei Jahren davor gewarnt, daß die Schule ein Problem mit radikalen Islamisten habe. „Sie haben dann alles mögliche an Projekten angeleiert, aber viel verbessert hat sich nicht.“ Svenja erzählt von muslimischen Freunden, die sich „total verändert“ hätten. „Mit einigen sind wir letztes Jahr noch in der Clique losgezogen. Jetzt sind die total aggressiv drauf und kapseln sich ab. Nicht nur die Jungs, auch einige Mädchen. Die haben sich jetzt sogar verschleiert.“


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Ähnlich dramatisch sieht es Nord­rhein-Westfalen aus. Jeder vierte Dschihadist kommt aus diesem Bundesland. Vor allem Bonn hat ein massives Problem mit der islamistischen Szene. Allein aus dieser Region stammen 40 Gefährder. Insgesamt sollen laut Verfassungsschutz 320 Salafisten im Raum Bonn leben, darunter 30 Dschihad-Rückkehrer. Besonders betroffen ist der einstige Diplomaten-Stadtteil Bad Godesberg. Als Bonn noch Hauptstadt war, hatte Saudi-Arabien auf Einladung der Bundesregierung hier die König-Fahd-Akademie errichten lassen, eine Schule für arabische Diplomatenkinder. Als die Regierung nach Berlin zog, gingen die Botschaften. Die Akademie blieb. Und mit ihnen weitere islamische Schulen, Gemeinden und Moscheevereine. Für radikale Moslems entwickelte sich daraus eine ideale Infrastruktur.

Auch in Bad Godesberg sprechen Schüler von „Veränderungen“ bei ehemaligen Freunden, die sich „abgekapselt“ hätten. „Ich kenne Mitschüler, auch Deutsche, die sich offen zum Salafismus bekennen“, erzählt etwa Jannes K. Der 18jährige besucht die Elisabeth-Selbert-Gesamtschule von Bad Godesberg. „Einige sind richtige Eiferer, wollen Mitschüler missionieren. Und es werden mehr. Das macht mich nachdenklich.“ Für sich selbst hat Jannes K. einen vielsagenden Entschluß gefaßt: „Meine Zukunft werde ich nicht in Bad Godesberg verbringen. Nach der Schule bin ich weg.“

Foto: Salafistische Kundgebung in Frankfurt am Main (Archivbild): Die Gefahr durch Islamisten in Deutschland hat nach Informationen von Sicherheitsbehörden zugenommen. Salafistische Fanatiker haben großen Zulauf. Deren Standortfaktoren sind unauffällige Gebäude, Bahnhofsnähe, günstige Mieten und, so ein Terrorexperte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, rot-grün regierte Städte.