© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Niederlage für die gesamte Linke
Italien: Während die Sozialdemokraten ihre Wunden lecken, zeigen sich die Sieger der Parlamentswahl plötzlich staatsmännisch
Marco F. Hermann

Gianni Cuperlo, Vorstandsmitglied der italienischen Sozialdemokraten fand vernichtende Worte für das Ergebnis der italienischen Parlamentswahl: „Das ist eine heftige, ernste Niederlage, für den Partito Democratico  und die gesamte Linke.“ Wenige Stunden später trat Parteichef Matteo Renzi zurück und verkündete: „Wir gehen in die Opposition.“

Es scheint Jahre her, daß Renzi als Modernisierer der linken Mitte auftrat. Noch 2014 holte Renzi als Ministerpräsident bei der EU-Wahl 40 Prozent der Stimmen. Der PD, mit dem sich die liberal-konservative Südtiroler Volkspartei (SVP) verbündet hatte, war der letzte stabile Pfeiler der Sozialdemokratie auf dem Kontinent. Mit 18,7 Prozent der Stimmen geht der PD denselben Weg, den die europäischen Genossen bereits beschritten haben – den in die totale Erosion.

Renzi verabschiedet sich trotzig. Er warnt vor den Wahlsiegern, die als Anti-System-Parteien Italien bedrohten. „Di Maio und Salvini vereinen drei Schlüsselthemen: Anti-EU-Politik, Anti-Politik und Haßrede gegen Demokraten. Eure Regierung müßt ihr ohne uns machen!“

Luigi Di Maio führt die basisdemokratische Fünf-Sterne-Bewegung (M5s) an. Sie ist im neuen Parlament mit 32,7 Prozent die stärkste Einzelpartei. Matteo Salvinis rechtsregionale Lega kam auf 17,4 Prozent. Zusammen mit den rechtsnationalen Fratelli d’Italia (4,4 Prozent) von Giorgia Meloni besitzen die „Populisten“ damit die absolute Mehrheit im Parlament.

Anders als in den Jahren zuvor will der M5s keine Totalblockade gegen die „politische Kaste“ fahren. Alfonso Bonafede, der als möglicher Justizminister einer Fünf-Sterne-Regierung gehandelt wird, sprach von einem „außergewöhnlichen Ergebnis“, der M5s müsse „ein Pfeiler der nächsten Legislaturperiode sein“. Und der Spitzenkandidat Di Maio äußerte: „Wir sind bereit, mit allen zu reden.“

Es bleibt unklar, ob und mit wem der M5s regieren will. Das rechte Lager reklamiert den Wahlsieg für sich. Das Bündnis aus Berlusconis Forza Italia, Salvinis Lega und Melonis FdI (JF 11/18) vereint die meisten Sitze im neuen Parlament auf sich – mit 37 Prozent (260 Sitze) verfehlt das Bündnis eine Mehrheit jedoch deutlich.

 Salvini ist der zweite große Gewinner des Tages. Die Migrationskrise hat das Ergebnis der einwanderungskritischen Lega mehr als vervierfacht. Bestechend erscheint das Beispiel der Stadt Macerata in der Region Marken. Dort hatten die Zerstückelung einer jungen Italienerin durch eine Bande Nigerianer sowie die anschließende Attacke eines Neofaschisten auf Migranten für Aufsehen gesorgt. 

Einige Hintertüren bleiben geöffnet

Das Ergebnis der Lega stieg dort von 0,6 auf 21 Prozent – trotz einer massiven medialen Kampagne gegen Salvinis Partei. Die einst rote Emilia-Romagna, sogar Teile der Toskana sind seit Sonntag fest in der Hand Salvinis. Damit holt die einstige Klientelpartei des Nordens selbst Berlusconis Forza Italia ein, die von 21 auf 14 Prozent abstürzte. Der Staffelstab der italienischen Rechten geht auf Salvini über.

Damit ist auch der zweite große Verlierer des Wahltages klar: Silvio Berlusconi. Deutlich war die Stellungnahme Salvinis nach der Wahl: er werde als Premier kandidieren. Meloni vom rechtsnationalen Bündnispartner FdI hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gratuliert. „Präsident Mattarella muß die Amtsgeschäfte nun an Salvini übergeben“, machte die Chefin der kleinsten Partei der Rechtskoalition klar. Ob sie schon mit Berlusconi darüber gesprochen habe? „Nein.“ Von Salvini kam dieselbe Antwort. Das Schicksal des einstigen „Cavaliere“ ist demnach besiegelt.

Offiziell schloß Salvini ein Bündnis mit dem M5s aus, trotz Übereinstimmungen in der Einwanderungs- und EU-Politik. Zugleich gratulierte er der Partei zu ihrem guten Ergebnis. Gewisse Hintertüren – und mag es nur die Tolerierung einer Minderheitsregierung sein – will man nicht im Angesicht eines Parlaments schließen, in dem die Spaltung in drei Bündnisse klare Koalitionen ausschließt. 

Eine ähnliche Blockade wie 2013 kündigt sich an. Das ist ein Luxus, den sich das Heimatland Machiavellis im Zuge politischer Ränkespiele eigentlich nicht leisten darf. Der neuen Regierung steht nicht nur die Lösung der Libyenfrage bevor; bei einer Staatsverschuldung von 132 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, einer Jugendarbeitslosigkeit von 36 Prozent, schwächelnder Wirtschaftskraft und wiederholten Bankenkrisen droht das italienische Problem ein europäisches zu werden.