© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Chinesen greifen nach den Sternen
Wirtschaftspolitik: Geely-Konzern steigt zum größten Daimler-Aktionär auf / Droht der Ausverkauf Europas?
Albrecht Rothacher

Klammheimlich kaufte der Chinese Li Shufu zum Schäppchenpreis von 7,2 Milliarden Euro 9,7 Prozent der Daimler-Aktien auf. Nein, einen Sitz im Aufsichtsrat wolle er vorerst nicht, bekundet der 54jährige Vorzeigeunternehmer von Präsident Xi Jinping bei einer Stippvisite nach Deutschland freundlich lächelnd. Offiziell freute sich der Daimler-Vorstand an seinem unverhofften Großaktionär, der gleichzeitig Wettbewerber im Reich der Mitte ist.

Und Angela Merkel fand bei der geschickten Umgehung des deutschen Übernahmerechts, das die Offenlegung von Beteiligungen ab drei Prozent verlangt, „keine Verstöße“. Man sei schließlich „offen gegenüber Handelspartnern“, befand die Bundeskanzlerin. Der Milliardär Li Shufu ist als Herrscher über Geely größter Autohersteller in China, das mit 24 Millionen verkauften Fahrzeugen (USA 2017: 17,23 Millionen Stück) der größte Automarkt der Welt ist.

Unterstützung durch chinesischen Staatsfonds?

Die Geely Holding braucht ihre Anteile nur noch ein wenig aufzustocken und die unbezweifelte Unterstützung jenes chinesischen Staatsfonds, der bereits drei Prozent an Daimler hält, um an sein Aufsichtsratsmandat zu kommen – und damit ungestört den legitimen Einblick in die Modellpolitik, die operative Planung, die strategischen Orientierungen und die Bilanzen seines Konkurrenten.

Auch die Kuwait Investment Authority hat mit ihrem 6,8-Prozent-Anteil ein solches Mandat – aber mit einem entscheidenden Unterschied: Die Wüstensöhne sind als Finanzinvestoren nur an einer hohen Kapitalrendite und an sonst nichts interessiert. Li und seine Geely haben aber bereits 2010 mit der Hilfe von Staatsbanken und -fonds für 1,8 Milliarden Dollar Volvo von Ford übernommen. 2017 wurde Geely für etwa 3,2 Milliarden Euro mit 8,2 Prozent größter Einzelaktionär bei Volvo Trucks.

Lis Beteiligung an Daimler, die nur mit dem Segen des Staatspräsidenten und der KP-Führung erfolgen konnte, ist Teil der offiziellen „China 2025“-Strategie. Sie besagt, daß China bis dahin mit einheimischen Fertigungen 70 Prozent seines Binnenmarktes abdecken und in zehn Schlüsselindustrien die Weltmarktführerschaft erreichen müsse. Dazu kauft China mit seinen devisenschweren Staatsfonds über Mittelsmänner wie Li im Ausland strategisch ein.

Es geht dabei nicht nur um Technologien, den Markennamen und Patentklau, sondern mittlerweile auch um Marktmacht, den Einstieg in Vertriebskanäle und um politischen Einfluß. Dabei gehen die neuen chinesischen Eigner mit ihrem Erwerb sehr robust um, frühere Zusagen hin oder her. Denn an einer langfristigen Fertigung in Europa mit seinen hohen Arbeits-, Umwelt- und Energiekosten sind sie – außer im Premiumbereich – nicht wirklich interessiert.

Dem Lampengeschäft von Osram, als „Ledvance“ für 500 Millionen Euro an die Staatsfirma Yiwu verhökert, blüht ein radikaler Stellenabbau. Krauss-Maffei, Maschinenbauer in München, der dort Spritzgußmaschinen für Plastikarmaturen, Stoßstangen und Pet-Flaschen sowie Maschinen zur Reifenherstellung baut, wurde in die Tsingtauer Tochter von Chem China einverleibt – mit ungewisser Zukunft. Das gleiche blüht der Augsburger Roboterfirma Kuka, den Midea, ein Hersteller von Küchengeräten geschluckt hat (JF 31-32/16).

Beim Kauf des Schweizer Agrarchemieriesen Syngentha für den Rekordbetrag von 43 Milliarden Dollar – ebenfalls durch Chem China – war die Logik klar: China will den gentechnologischen Spitzenreiter zur Modernisierung seiner rückständigen Landwirtschaft einsetzen. Schließlich muß es auf neun Prozent der Weltackerfläche ein Fünftel der Weltbevölkerung ernähren. Für Daimler ist China mit einem Viertel seiner Auslandsverkäufe der wichtigste Exportmarkt. Mit BAIC führt es in Peking das größte Mercedes-Montagewerk der Welt als Gemeinschaftsunternehmen. Mit BYD fertigt es die Denza-Elektroautos.

Geely ist mit seinen Volvo-SUV ein ernstzunehmener Wettbewerber im Premiumbereich. Industriepolitisch setzt China auf die Weltmarktführerschaft bei E-Autos, die leichter erreichbar erscheint als jene bei den komplexeren Verbrennungsmotoren. Als Einstieg will man der führende Batteriehersteller werden. Mit Quoten, die auch die SPD im Wahlkampf entdeckt hat, einer Mischung von Zwangsmitteln und Subventionen, soll der Umstieg auf die E-Autos erzwungen werden, die zu einem Gutteil aber von Kohlestrom gespeist werden.

Geostrategische Investitionspolitik

Durch den Kuka-Deal hellhörig geworden, wurde Matthias Machnig, SPD-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, in Brüssel vorstellig. Im Bündnis auch mit Italienern und Franzosen wollte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Sommer des Vorjahres dann nach US-Vorbild (Committee on Foreign Investment in the United States/CFIUS) EU-weite Genehmigungspflichten bei staatsindustriellen Investitionen in strategischen Branchen durchsetzen – aber nach erfolgreichem chinesischem Lobbying verwässerte eine Koalition von sieben EU-Kleinstaaten, bei denen sich China eingekauft hatte (darunter Griechenland, Portugal und Schweden), das Projekt bis zur Unkenntlichkeit. Eine Prüfung und etwaige Kontrollen bleiben unverbindlich im nationalen Ermessen.

Das trifft deutsche Großkonzerne, die nach dem Ende der „Deutschland AG“ (als vor einem Jahrzehnt die deutschen Banken verlustreich globale Investment-Banker werden wollten und ihren Industriebesitz mit seinen Sperrminoritäten abstießen) besonders hart. Mit Streubesitz und nur an Renditen interessierten Finanzinvestoren als Aktionären sind sie gegenüber den kapitalstarken chinesischen Staatskonzernen nahezu schutzlos. Wenn Präsident Xis harter Arm befiehlt und 20 Milliarden Euro aus der Portokasse mobilisiert, sind nicht nur Daimler, sondern auch Allianz, Bayer, BASF, Lufthansa, Telekom, Infineon, kurzum, alle Firmen, die nicht wie BMW oder Volkswagen noch stärker im Familien- oder Staatsbesitz sind, eine leichte Beute.

Die Investitionspolitik eines kommunistischen Diktators hat politische Folgen. Weil China im Rahmen seiner Seidenstraßen-Initiative (JF 44/16), die den eurasiatischen Kontinent unter chinesischer Kontrolle vernetzen soll, allein 2016 etwa 75 Milliarden Euro in europäische Häfen, Energienetze, Eisenbahnen und Flugplätze investierte und die begünstigten Länder – Griechenland, Portugal, Ungarn, Finnland – zur Botmäßigkeit vergatterte, ist die EU mit ihrer Einstimmigkeitsregel außerstande, chinesische Menschenrechtsverletzungen oder die aggressive Politik im Südchinesischen Meer zu kritisieren.

Der chinesischen Zensur fallen längst auch westliche Firmen zum Opfer. Bei den geringsten Inkorrektheiten zu den Themen Tibet, Taiwan oder den chinesischen Inselforderungen (an Japan, Philippinen, Vietnam) werden sie sofort mit Pressekampagnen überzogen und mit Repressalien bedroht. Als Daimler in einer Twitter-Reklame ein harmloses Dalai-Lama-Zitat verwendete, mußte Dieter Zetsche sofort mit einem Kotau zu Kreuze kriechen und sich zutiefst für die Verletzung der Gefühle des chinesischen Volkes entschuldigen. Willkommen in der neuen Welt des Reiches der Mitte.

Zhejiang Geely Holding Group: www.geelyholding.com