© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Nicht immer nur bare Münzen
Spendenwesen: Professionelle und digitale Sammler auf dem Vormarsch / Flüchtlingshilfe im Mittelpunkt
Christian Schreiber

Um ein guter „Dialoger“ zu sein, muß man hartnäckig sein und eben mit möglichst vielen Menschen in den Dialog treten. Der junge Mann, der an diesem verschneiten Wintersamstag in der Stuttgarter Innenstadt steht und fröhlich Spenden für eine bekannte Tierschutzorganisation sammelt, spricht von einer „Staubsaugervertretermentalität“, die man aufbringen muß, um erfolgreich zu sein. Der Erfolg bemißt sich auf diesem Geschäftsfeld in barer Münze. Die „Dialoger“, überraschend gut gelaunte Studenten, patrouillieren in vielen Innenstädten im Auftrag von Non-Profit-Organisationen. Ihr Ziel: Unterstützer finden und Spenden sammeln, neudeutsch auch „Fundraising“ genannt. 

Für die Organisationen ist das wichtig, um zu überleben. Für Studenten ist es ein Nebenerwerb, der anstrengend ist, aber durchweg gut bezahlt wird. „Wir haben das ganz früher teilweise mit Ehrenamtlichen gemacht, können das aber nicht nur so stemmen“, erklärt Dirk Bathe von der Entwicklungshilfe-Organisation World Vision Deutschland gegenüber dem Hessischen Rundfunk. Die zumeist älteren Ehrenamtlichen hätten den Aufwand gerade in den Wintermonaten nicht mehr leisten können. Doch auch die personell nicht immer gut aufgestellten Organisationen hätten  das Problem gehabt, geeignetes Personal zu rekrutieren. 

Dialoger – mit „Power“ für eine bessere Welt  

Das übernehmen immer häufiger professionelle Dienstleister. Eine von ihnen ist Dialog Direct. Das Unternehmen hat 20 festangestellte Mitarbeiter. Sie organisieren die Aktionen, für die in den Semesterferien zeitweise schon mal 200 Studenten bundesweit im Einsatz sind. Dialog Direct plant die Einsätze, schult die Bewerber und zahlt mit einem Stundenlohn von rund neun Euro ein durchaus passables Gehalt. 

In Großstädten wie Berlin, Frankfurt oder Hamburg sucht die Firma auch Personal für wöchentliche Arbeiten. Für diese stellt sie guten Verdienst in Aussicht und bewirbt das Ganze als Dienst im Sinne einer besseren Welt. „Als Dialoger bist auch du grundsätzlich bereit, dich mit voller Power gegen Armut, für Kinder und Familien, Menschenrechte, Umweltschutz sowie für die Rechte von Flüchtlingen einzusetzen“, heißt es. 

Das Unternehmen stellt gar nicht in Abrede, daß es mit finanziellen Anreizen wirbt. In einem Beitrag für das HR-Programm Hessenschau sagt Ben Spiekermann, Marketing-Direktor von Dialog Direct. „Man muß klar sagen, der monetäre Anreiz motiviert.“ Er habe früher selbst in Fußgängerzonen Geld gesammelt und wisse, wie schwer es ist, Passanten zu überzeugen.

Rund 500 Fußgänger spreche ein „Werber“ am Tag an. Daraus würden durchschnittlich circa 15 Gespräche entstehen, an deren Ende etwa drei bis fünf Förderer stehen. Je nach Abschlüssen erhalten die Studenten einen Bonus. Dialog Direct arbeitet derzeit mit Amnesty International, der Uno-Flüchtlingshilfe, dem WWF, World Vision und CARE zusammen: „Wir haben das Glück, für diese namhaften Vereine und ihre großartige Arbeit auf der Straße zu stehen“, heißt es selbstbewußt.  

Allerdings sind die Organisationen, für die gespendet wird, immer wechselnd und auch von der Tagespolitik abhängig. So wurde im Jahr 2017 weniger für Flüchtlinge gespendet. Insgesamt 403 Millionen Euro – das sind rund acht Prozent des Spendenvolumens – flossen in die Hilfe für Migranten. Das seien 17 Prozent weniger als noch im Jahr 2016, so die jüngst veröffentlichten Zahlen des  Deutschen Spendenrates. Dabei entfielen 44 Prozent auf Flüchtlingsprojekte  in Deutschland (leicht rückläufig) und 56 Prozent auf internationale Flüchtlingsprojekte.

 Ingesamt spendeten die Deutschen 2017 5,2 Milliarden Euro. Das sei das drittbeste Ergebnis seit Beginn der Erhebung im Jahr 2005. Im Vergleich zum Vorjahr sei das Spendenniveau nur leicht, um 1,4 Prozent, zurückgegangen, so die Ergebnisse der GfK-Studie „Bilanz des Helfens“, die jährlich im Auftrag des Spendenrats durchgeführt wird. Gerade im sonst so spendenstarken Dezember  wurden der Bilanz zufolge 14 Prozent weniger gespendet als im Vorjahresmonat. Rund 21 Millionen Menschen –  knapp 32 Prozent der Deutschen – hätten 2017 Geld an gemeinnützige Organisationen oder Kirchen gegeben. Im Vergleich zum Vorjahr seien das etwa 1,1 Millionen Menschen weniger gewesen – der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebung. 

Viele Organisationen leiden unter einem schlechten Ruf. Vor Jahren geriet Unicef  wegen Verschleuderung von Spenden, insbesondere wegen der Zahlung überhöhter Honorare und anteiliger Provisionen an externe Spendenwerber, in die Kritik. Verträge über immense Summen wurden ohne schriftliche Unterlagen geschlossen. Das Deutsche Zentralinstitut (DZI) für soziale Fragen entzog daraufhin Unicef vorläufig das Spendensiegel. In einem Sondergutachten fand die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG schließlich keine Hinweise auf Untreue, monierte aber Verstöße gegen Verfahrensregeln. 

Die Jüngeren spenden nur noch digital

Der Skandal führte zu einem Spendeneinbruch, von dem nicht nur Unicef betroffen war. Das DZI vergibt ein Spendensiegel nach eigener Aussage „an seriöse und überprüfte“ Organisationen. Aktuell sind es rund 230 aus dem humanitären sowie dem Tierschutz- oder Umweltschutzbereich. Der Deutsche Spendenrat empfiehlt, nur an solche Organisationen zu spenden. 

„Die große Mehrzahl der Spendenorganisationen arbeitet seriös“, stellt Christel Neff, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), gegenüber der Frankfurter Rundschau klar. Anhand von sieben Kriterien prüfe das DZI wirtschaftliche, rechtliche und ethische Kriterien. Derzeit tragen 227 Organisationen, einsehbar auf der Netzseite, das DZI-Spendensiegel. Bei Organisationen, die das Spendensiegel des DZI tragen, dürfen die Werbungs- und Verwaltungskosten pro Spende die Obergrenze von 30 Prozent nicht überschreiten. „Gut gemachte Arbeit braucht eine gute Verwaltung“, erklärt Neff. „Spendenorganisationen müssen auf sich aufmerksam machen, ohne Werbung gibt es keine Spendeneinnahmen.“

Eine zentrale Rolle im Dschungel der deutschen Spenden- und Crowdfundingprojekte (Projektfinanzierung über das Internet) spielt mittlerweile die Internetplattform betterplace.com. Diese erfreut sich wachsender Beliebtheit, auch weil sie auf dem Höhepunkt der Einwanderungskrise vor zwei Jahren quasi einen Ritterschlag von höchster Stelle bekam. „Betterplace ist hier ein erstklassiger digitaler Platz, das Ehrenamt zu organisieren“, erklärte der damalige Innenminister Thomas de Maizière, als er das Portal „zusammen-für-flüchtlinge.de“ vorstellte. Das Innenministerium förderte das Spendenportal mit 450.000 Euro.

Betterplace-Mitbegründerin Joanna Breidenbach macht aus ihrem Herzen keine Mördergruppe: „Im Zuge der Ankunft von über einer Million Flüchtlinge in 2015 beschäftigt mich die politische Situation in Deutschland. Inmitten der zunehmenden gesellschaftlichen Kluft und Polarisierung sehe ich auch die Chance, daß wir als Gesellschaft zu einem globozentrischeren Weltbild vordringen, welches persönliche und nationalistische Partikularismen überwindet.“

25.000 „bewegende Projekte“ –  Kinderhilfe, Umwelt- oder Tierschutz, Bildung oder Entwicklungshilfe – werden dem Spendenwilligen bei den selbsternannten „Weltverbesserern“ geboten. Darunter 526 für Flüchtlingsprojekte: „Rettungseinsatz der Sea-Watch 3 im Mittelmeer“, „Friedrichshain hilft e.V. – Unterstützt uns für einen bunten Kiez!“ oder „Help – Winterhilfe für Kinder in Syrien“. Auch das Netzwerk für Demokratie und Courage e.V. Saarland sammelt für „Rock gegen Rechts Saarlouis 2018“. „Wir kämpfen weiter, jedes und jedes Jahr gegen Rechts. Warum wir kämpfen, weil wir der Überzeugung sind, jeder Mensch hat ein Recht auf Aufklärung. Kein Mensch ist illegal & niemand sollte AfD/NPD wählen“, erklärt Netzwerkerin Jennifer J. den potentiellen Spendern für die Bands und Dixi-Klos.

Mehr als 36 Millionen Euro Spenden kamen inzwischen zusammen. Breidenbach betont, daß 97,5 Prozent der Spendenzahlung bei der Organisation ankämen, der man über Betterplace spende. 2,5 Prozent würden für die Transaktionskosten abgezogen.

Dahinter steht auch der Versuch, die Spendenbereitschaft der jüngeren Generation zu erhöhen. So ging beispielsweise das Spendenvolumen in der Gruppe der 30- bis 49jährigen laut GfK-Studie insgesamt zurück. Während die 30- bis 39jährigen 2017 rund elf Prozent weniger als im Jahr 2015 spendeten (ein Rückgang von 413 Millionen auf 368 Millionen Euro), sind es bei den 40- bis 49jährigen sogar knapp 30 Prozent (von 1.094 Millionen auf 779 Millionen Euro). Ein Vergleich mit dem boomenden Dezember-Spendenaufkommen offenbart hier große Unterschiede. So spendeten die über 70jährigen 439 Millionen Euro, die  30- bis 39jährigen aber lediglich 61,7 Millionen (minus 47 Prozent).

„Wir beobachten gerade in der Generation X, daß sich das Spendenverhalten ändert“, sagt Daniela Geue, Geschäftsführerin des Deutschen Spendenrats, im Hinblick auf die 36- bis 50jährigen. Zuwächse im klassischen Bereich blieben aus, dafür werde Crowdfunding wichtiger: „Hieraus ergeben sich große Potentiale für spendensammelnde gemeinnützige Organisationen, wenn sie die Chancen der Digitalisierung engagiert nutzen.“ 

 „Wir befinden uns aber nun an einem Scheideweg“, erklärt Breidenbach. Die Vielfalt drohe zu kollabieren. Mit Hilfe gemeinsamer Plattformen könne dagegen durch viele gebündelte Angebote ein ganz neues Ökosystem entstehen. Dabei strebt sie mit ihrer Organisation zweifelsohne die Marktführerschaft an, die sie parallel zur „Berliner Fashion Week“ Mitte Januar untermauerte. Zusammen mit der Werbeagentur FCB Hamburg lancierte sie das „Fake-Modelabel ‘Epic Escape’“. 

Mit Plakatmotiven, Social Media sowie „Influencer- und Guerillamarketing“ wurden die  Konsumenten auf die Netzseite „menschlichkeit.de“ geleitet, auf der die Kampagne „#Menschlichkeit steht Dir am besten“ dargestellt wird. Die Kampagne porträtiert sechs syrische Flüchtlinge in bewegenden Geschichten von ihrer eigenen Flucht. Sämtliche Spenden, die über die Kampagne www.menschlichkeit.de und den Verkauf der Sweatshirts generiert wurden, kamen dann „sozialen Projekten“ auf der Online-Spendenplattform www.zusammen-fuer-fluechtlinge.de, die von betterplace betrieben wird, zugute.

„Mit diesen persönlichen Porträts möchten wir möglichst viele Menschen für das Thema Flüchtlingshilfe sensibilisieren, resümiert Elisabeth Kippenberg, die Leiterin Marketing & PR bei betterplace.org.

 

www.spendenrat.de

 www.betterplace.org

 www.dialogdirect.de