© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Pankraz,
Menschenfeinde und die Transhumanität

Einer der unheimlichsten Begriffe, die jüngst in Schwang gekommen sind, ist der der „Transhumanität“. Die Leute, die sich die Formulierung ausgedacht haben, sind keine schlichten Gegner jenes „Humanismus“ eines Erasmus vor Rotterdam, welcher irgendwelche neuartigen Umgangsformen und Zielsetzungen innerhalb menschlicher Wissenschaft propagiert und durchsetzen will, sondern Gegner menschlicher Wissenschaft überhaupt. Der Mensch als Wissenschaftler soll verschwinden. 

Sind erklärte „Transhumanisten“, wie sie sich etwa im Silicon Valley zusammengeballt haben, richtige Menschenfeinde, Menschenhasser, auf baldige Abschaffung der Menschen fixiert? Solche gibt es ja durchaus, wenn sie auch meistens maskiert auftreten; die Geistesgeschichte des sogenannten Abendlands ist voll von ihnen. Der „alte Adam“, so verkündeten sie, müsse endlich verschwinden, müsse abgelöst werden durch einen „Neuen Menschen“ (Marx, Stalin, Mao) oder durch einen „Übermenschen“ (Nietzsche).

In Molières berühmter Komödie „Der Menschenfeind“ aus dem Jahre 1666 hat sich der Titelheld Alceste als „Idealist“ maskiert, der von vorn bis hinten „ohne die geringste Heuchelei“ leben möchte. Er macht sich ausführlich und öffentlich über die angebliche Miserabilität der Gedichte seines besten Freundes Oronte lustig. Die Freundschaft geht völlig den Bach hinunter. Seine Beziehung zu Célimène hingegen, einer jungen koketten Witwe, führt zu den groteskesten Situationen und läßt ihn am Ende vor aller Welt als verlorenen Trottel dastehen. Der Lohn der Menschenfeindschaft ist völlige Selbstdemontage.


Die bekennenden Transhumanisten im Silicon Valley und anderswo sind noch nicht so weit. Sie haben zur Zeit sogar, wie der Kulturpsychologe Thomas Wagner (in der Neuen Zürcher Zeitung) kopfschüttelnd konstatiert, ein neues, gewissermaßen artspezifisches Lieblingsthema, das sie eifrig hin und her wenden, nämlich die Frage, wie man die erhoffte Ohnmacht des „biologischen“ Menschen herbeiführen könne, ohne daß danach die sogenannte Künstliche Intelligenz den „Weltuntergang“ in Gang setzt, wie man also den transhumanistischen Kräften rechtzeitig „menschliche Werte“ einimpfen könne.

Absurder geht es nun wirklich nicht, da hat Thomas Wagner nur allzu recht. Der konkrete Mensch soll in die Sklaverei geführt werden, aber er soll vorher noch dafür sorgen, daß „seine Werte“ von den dann herrschenden automatischen Kräften fixiert und zur Pflichtübung erhoben werden. Wagner kann sich den Unsinn nur mit dem aktuellen Walten mächtiger internationaler Finanzkräfte erklären. „Sie bestimmen“, schreibt er, „schon heute maßgeblich mit, wie über die Risiken der boomenden künstlichen Intelligenz nachgedacht wird – nicht zuletzt, weil sie von finanzstarken Geldgebern massiv unterstützt werden.“

Von einem geheimnisvollen Institut namens „Future of Humanity“ ist die Rede; hinter diesem stehe eine Stiftung des IT-Unternehmers James Martin. Ein weiteres Institut, „Future of Life“, habe seine Arbeit mit einer Zehn-Millionen-Dollar-Spende von Elon Musk begonnen, und der ebenfalls milliardenschwere Risikokapitalist Peter Thiel stecke sein Geld schon seit Jahren in eine Vielzahl erklärt transhumanistischer Projekte. Deshalb fordert Wagner in der NZZ eine öffentliche Untersuchung der Verflechtung von transhumanistischen Netzwerken und öffentliche Gelder für eine von der Privatwirtschaft unabhängige Expertise.

Unterm Strich liest sich Wagners Aufsatz streckenweise doch wie ein ziemlich „verschwörungstheoretisch“ angelegtes Unternehmen (um das Negativwort einmal zu gebrauchen). Völlig ausgeblendet bleibt die Tatsache, daß keineswegs nur Silicon Valley und viele große Industrie- und Finanzkonzerne von Transhumanisierung und Künstlicher Intelligenz schwärmen, sondern auch zahllose staatliche Stellen und nicht wenige (wohl unbestochene) Wissenschaftler. Angela Merkel, die alt-neue Bundeskanzlerin, ist bekanntlich eine eifrige Befürworterin von KI und algorithmischer Digitalisierung.


Unübersehbar sind ja auch die scheinbar komplett positiven  Seiten transhumanistischer Herrschaft. Gewaltige Einsparungen (vulgo: Gewinne) auf vielen Ebenen werden möglich. Unzählige menschliche, teuer zu bezahlende Tastateure und Klickauslöser in vielen Industriebetrieben können durch billige, höchst präzise Mechanik ersetzt werden  ebenso wie viele Arbeitsplätze von Bankangestellten und öffentlichen Schalterbeamten, selbst in „edlen“ Sparten wie etwa Bibliotheken. Eine riesige, wahrhaft historische Außerdienststellung des lebendigen Menschen durch die immer schneller in Gang gebrachte Transhumanisierung kündigt sich an.

Angesichts solcher Herausforderungen im Silicon Valley und sonstigen Konzernen den „Transhumanisten“ zu spielen und sich gleichsam zum Hohepriester der KI-Roboter aufzumotzen, ist zweifellos das verächtlichste Benehmen, das man sich vorstellen kann. Die Prediger des „Neuen Menschen“ oder des Übermenschen à la Nietzsche waren Gold dagegen, von Molières Alceste zu schweigen. Die Fratze des wahren Menschenfeinds hinter allen Masken wird erkennbar: das Gesicht eines glaubenslos Herumtorkelnden, der sich für allmächtig hält, obwohl er gerade in Ketten geschlagen wird.

Dagegen gilt: Der Mensch vermag technisch viel zu tun, aber er darf nicht alles tun, was er zu können glaubt, und zwar um seiner eigenen Freiheit willen. Die transhumanen Maschinen der Künstlichen Intelligenz können nur Rechnungen aufstellen und sie ihren Nutzern gewaltsam aufs Auge drücken. Das wahre Leben besteht jedoch nicht nur aus Rechnungen, es ist ein bunter Reigen aus Möglichkeiten, Empfindungen, Gefühlen, auch Verweigerungen. Oder, um mit Jean Paul zur Sache zu kommen: „Ein gerader Mensch mit Gefühl und Verstand gleicht einer geraden Allee, die nur halb so groß erscheint wie eine auf krummen Wegen laufende.“