© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Sonntagmorgen, die Sonne scheint, das innere Glück erwacht – und es lacht laut auf. Nur so kann es sich behaupten, als es vernimmt, der experimentelle Erstlingsfilm „Touch me not“ einer Adina Pintilie, bei dessen Vorführung die Hälfte der Kritiker fluchtartig den Saal verlassen hat, habe den Goldenen Bären der 68. Berlinale gewonnen: für die therapeutische Erforschung der Spielarten und Grenzen menschlicher Sexualität, die in aufdringlich expliziten Szenen vorgeführt wird. Augenscheinlich haben die alle „einen Touch“. Diese längst verstorbene Redewendung kommt mir plötzlich wieder in den Sinn wie auch der stumpfsinnige Samantha-Fox-Hit „Touch me“ aus den achtziger Jahren. Es scheint: Je abseitiger, devianter und gestörter der – möglichst authentische – Protagonist der Produktion ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit auf den Gewinn des wichtigsten Berliner Filmpreises. Voraussetzung: Schmerzlich sichtbare stilistische Mängel und weitestgehende Vermischung der Genres.


Derweil werden an den Gehwegen des sich weiter gentrifizierenden Viertels wieder zahllose Bücher am Wegesrand ausgesetzt, darunter ein Literaturmagazin mit dem Titel „Der Liebesangriff“. Daneben der Band „Türkische Märchen“. Neugierig lese ich den ersten Satz: „Es war einmal, es war keinmal.“ Ach ja. interessant. Wenige Meter entfernt ruft der Junge auf dem Dreirad, sich aufgeregt umdrehend, während die Eltern ihn in die andere Richtung zerren: „Das ist ein Teppich – aber ich weiß nicht, ob der fliegt.“ Tatsächlich liegt neben dem türkischen Spätverkauf ein völlig verdreckter zusammengeknüllter roter Teppichläufer – direkt gegenüber vom Laden „Textilpflege“.


Währenddessen stellen offenkundig Märzgefallene des Jahres 2018 ihr politisches Vademekum vor die Tür: Ein leerer Babywindel-Karton in Jumbo-Größe versammelt ein Dutzend Buchtitel, die den braunen Ungeist bannen sollten, darunter die prophetische Studie eines Projektkurses des OSI-Fachbereiches der FU Berlin (1991) über „Rassismus in der weißen deutschen mittelschichtsdominierten LesbenFrauenBewegung in Westberlin“ oder der amouröse Titel „Gefährliche Liebschaften“ über „Rechtsextremismus im kleinen Grenzverkehr“. Kurioserweise liegt direkt nebenan die als „Ausland“ firmierende linksalternative Hausgemeinschaft, die ihrerseits den israelischen Autor Yoram Kaniuk rausgeschmissen hat: „Der letzte Berliner“ ist jetzt obdachlos. Eine Straße weiter wartet „Per Anhalter durch die Galaxis“ der ebenfalls expatriierte Douglas Adams.