© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Der Streit geht weiter
Trotz der gescheiterten Schweizer „No Billag“-Abstimmung gerät der öffentlich-rechtliche Rundfunk europaweit unter Druck
Ronald Berthold

Auch wenn der Volksentscheid die „Billag“, die Schweizer Rundfunkgebühren-Anstalt, abzuschaffen, gescheitert ist, hat er bei ARD und ZDF große Nervosität entfacht. Die Debatte um die Berechtigung und vor allem die Ausmaße des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist mit voller Wucht in Deutschland angekommen – ohne daß es ein Referendum geben wird. Kritik kommt nicht mehr nur von der AfD. Unlängst erklärte der sachsen-anhaltische Medienminister, Rainer Robra (CDU), die „Tagesschau“ für „überflüssig“.

In vielen Ländern Europas tobt der Kampf um Rundfunkgebühren. Meist wird den Sendern vorgeworfen, zu links und zu aufgebläht zu sein. In Dänemark soll die Gebühr abgeschafft, „Danmarks Radio“ dann aus Steuern finanziert werden. Allerdings müßte der Sender danach mit 25 Prozent weniger auskommen, sagt die rechte Dänische Volkspartei. Und die toleriert die liberale Minderheitsregierung, die das ähnlich sieht. Der französischsprachige Teil Belgiens und Mazedonien wollen die Rundfunkgebühr ganz eliminieren. In Rumänien ist das unter einem sozialdemokratischen Kabinett bereits geschehen. Die Niederlande und Frankreich diskutieren ebenfalls ernsthaft über ein Ende der bisherigen Finanzierungsmodelle ihres Staatsfernsehens.

Auch in der Schweiz wird die Diskussion weitergehen: „Wir haben eine Debatte losgetreten, die wird nicht verstummen. Wir werden unsere Stimme für mehr Medienfreiheit weiter einbringen“, sagte Thomas Juch, Mitinitiator der „No Billag“-Initiative. 71,6 Prozent hatten für die Beibehaltung der Gebühr gestimmt, die aber unter dem Druck des Referendums ab 2019 um 86 Franken im Jahr gesenkt wird. Das sind 19 Prozent.

Deutsche Journalisten schreiben an Kurz 

Auch deswegen steigt der Druck auf die deutschen Anstalten, die diesen Aspekt in ihrer Freude über das Schweizer Ergebnis ignorierten. Der ARD-Vorsitzende und frühere Regierungssprecher Ulrich Wilhelm argumentierte im Vorfeld der Schweizer Entscheidung nahezu flehentlich dafür, den deutschen Rundfunkbeitrag beizubehalten, der derzeit insgesamt mehr als acht Milliarden Euro in die Kassen der Öffentlich-Rechtlichen spült. Er sagte: „Für Qualitätsinhalte reicht der Markt nicht aus.“

Was haben wohl die Redaktionen von Frankfurter Allgemeiner, Süddeutscher Zeitung, Spiegel oder Welt gedacht, als sie das hörten? Sie alle bezeichnen sich als „Qualitätsmedien“, müssen ohne Zwangsgebühr ihren Journalismus finanzieren und sich täglich am Markt neu beweisen. Geäußert hat sich zu Wilhelms Einlassung keiner der Print-Verantwortlichen. Sie alle solidarisieren sich mit den oft belehrenden Inhalten von ARD und ZDF. Protest gibt es nur gegen die Internetauftritte der Sender, weil sie den Zeitungen in ihrem Kerngeschäft Konkurrenz machen.

In der Schweiz hat die besondere Lage mit vier verschiedenen Landessprachen und vielen Tälern, in denen Fernsehen oft die wichtigste Verbindung zu den Städten darstellt, zu der deutlichen Entscheidung geführt. Das öffentlich-rechtliche Programm stellt dort für viele tatsächlich noch eine Art Grundversorgung her und sendet sogar auf rätoromanisch.

Wilhelm weiß genau, wie umstritten inzwischen die Rundfunkbeiträge sind, weil an der auch von ihm gepredigten „Vielfalt“ große Zweifel bestehen. Um etwas Druck aus dem Kessel zu nehmen, beteuerte er: „Die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland sind bereit zur Selbstkritik.“ Er räumte sogar ein, daß es „täglich kritische Stimmen aus der Gesellschaft“ gebe, mit denen man sich auch „befasse“. Dennoch müsse die „Fähigkeit zur Selbstkritik“ weiter gestärkt werden.

Momentan macht jedoch viel mehr die heftige Kritik bekannter deutscher Nachrichten-Journalisten an der österreichischen Regierung Schlagzeilen. In einem offenen Brief fordert alles, was bei ARD und ZDF Rang Namen hat, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf, gegen Kritik seines Koalitionspartners FPÖ am ORF einzuschreiten. Claus Kleber, Anne Will, Maybrit Illner, Frank Plasberg, Marietta Slomka, Theo Koll, Thomas Roth und andere sehen „einen Angriff auf einen der wichtigsten Grundwerte demokratischer Ordnung, die Pressefreiheit“.

Damit haben die Protagonisten, die über ein „Parteiticket“ Karriere machen, das Grundproblem des „Staatsfernsehens“ (Springer-Chef Mathias Döpfner“) verdeutlicht. Ihre Haltung lautet: Kritik an ihrem Rundfunk, auch wenn dieser der Falschberichterstattung überführt ist, gefährdet die Demokratie. In diesem Sinne ist jeder, der sich gegen Manipulation wehrt, ein Undemokrat. Ulrichs Worte erscheinen damit als ein Placebo.

Daß sich gebührenfinanzierte Journalisten offensiv in die Innenpolitik eines Nachbarlandes einmischen, bedeutet eine neue missionarische Qualität. In ihrem Brief schließen die Moderatoren gleich die ungarische und polnische Regierung in ihre Kritik mit ein, indem sie diese mit Österreich vergleichen. Wie kann der Beitragszahler bei solchen Äußerungen der bekanntesten Fernsehleute noch unabhängige Berichterstattung über diese drei Länder erwarten?

Votum in der Schweiz nur kurze Atempause

Als blanken Hohn mag es Sebastian Kurz verstehen, wenn die ARD- und ZDF-Protagonisten den Kanzler loben. Dieser habe sich in Deutschland mit „offenen Worten in Interviews und Fernsehdiskussionen einen Namen gemacht“. Um so verwunderlicher sei seine Zurückhaltung „in diesem für die Meinungs- und Pressefreiheit eines europäischen Landes so wichtigen Fall“. Seit seinen Fernsehauftritten bei ARD und ZDF wird Kurz wissen, was unfairer Journalismus bedeutet.

Letztlich spricht aus dem Brief wie auch aus der Einlassung Wilhelms die Sorge, daß im deutschsprachigen Raum der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Bedeutung verliert, ja sogar ganz verschwinden könnte. Dies hätte nicht zu unterschätzende Folgen für den beitragsfinanzierten Rundfunk hierzulande.

In Österreich muß der ORF nun erstmals mit scharfem Gegenwind aus der Regierung klarkommen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) hat den Anchorman des Senders, Armin Wolf, mit einem Pinocchio-Bild auf seiner Facebook-Seite gezeigt – Anlaß für die Wut der ARD- und ZDF-Journalisten. Strache wehrte sich damit gegen eine Falschberichterstattung.  In einem Beitrag hatte der Sender behauptet, der Tiroler FPÖ-Spitzenkandidat habe auf der Straße zu einem antisemitischen Ausfall eines 86jährigen „zustimmend genickt“. In Wirklichkeit hatte der Politiker den Mann jedoch zurechtgewiesen und gesagt: „Das soll man nicht sagen!“ Dies schnitt der ORF aus dem Beitrag heraus.

Manipulatives Weglassen gehört auch in Deutschland zu den Methoden von Journalisten, um politisch nicht genehme Meinungen zu diskreditieren. Daß sich die öffentlich-rechtlichen Fernsehmacher von dem jede Grundregel verletzenden Journalismus nicht distanzieren, sondern Kurz „mit großer Sorge“ um die Demokratie auffordern, Strache „deutlich Einhalt“ zu gebieten, sagt einiges über das Selbstverständnis von ARD und ZDF aus.

Daher wird die Diskussion um den „Stellenwert“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, wie es der ARD-Vorsitzende formulierte, weitergehen. Das Votum aus der Schweiz dürfte diesem nur vorübergehend eine kurze Atempause verschaffen, zumal dort schon darüber nachgedacht wird, nun ein Referendum über die Halbierung der „Billag“-Gebühren zu starten. Dieser Initiative werden weit mehr Erfolgs­chancen eingeräumt, weil sie weniger radikal daherkommt.