© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Die „Energiewende“, die Physik und der ausgehebelte Markt
Strom ist keine Ware
Michael Limburg

Nanu, werden manche Leser sagen. Strom kann ich doch kaufen, wenn auch zunehmend teurer, er wird geliefert, berechnet und verbraucht, warum soll er denn keine Ware sein? Und warum soll Strom nicht gleich Strom sein, er kommt doch stetig und zuverlässig aus der Steckdose? Stimmt alles, und doch ist er keine Ware, denn die könnte ich auch auf Vorrat kaufen, mir hinlegen und bei Bedarf verbrauchen.

Das ist bei Strom, genauer elektrischer Energie – aber dazu später mehr – anders. Bei tieferem Nachdenken kommen wir an der Erkenntnis nicht vorbei, daß sich Strom nicht in großem Stil speichern läßt – egal, was uns einerseits die Politik und andererseits die Wissenschaft auf der Jagd nach Forschungsmitteln verspricht (genaugenommen verspricht die Wissenschaft die Umwandlung von elektrischer Energie in speicherbare andere Energieformen wie chemische oder kinetische Energie und deren Rückwandlung in Elektroenergie). Und das unterscheidet ihn von einer Ware.

Strom ist ein Produkt, das Eigenschaften wie eine Dienstleistung hat. Auch eine Dienstleistung kann man nicht speichern. Beispielsweise kann ich mir die Haare nicht auf Vorrat schneiden lassen. Wohl kann ich mir einen ständigen Friseur, nur für mich, erlauben, wie es zum Beispiel der französische Präsident Macron tut, der aber – über den kleinen Umweg Steuerzahler – monatlich 25.000 Euro dafür aufwendet. Das Gegenstück dazu wäre im Falle von Strom, daß ein jeder sein eigenes Kraftwerk besäße. Aber damit hätte ich ja nur die Möglichkeit der Stromerzeugung erhalten; speichern kann ich Strom sowenig wie das Haareschneiden.

Das ist beim Haaresschneiden allen, doch bei Strom nur wenigen bekannt. Deshalb ist die Verwunderung mancher Leser zunächst einmal berechtigt, aber nur dann, wenn man den zuweilen anders definierten Begriff „Strom“ für die eigentlich gemeinte Elektroenergie einsetzt. Wie wir es alle im Sprachgebrauch und ohne viel Nachdenken täglich tun. Aber das ist falsch, denn das, was wir kaufen, ist nicht Strom, sondern elektrische Energie. Weil, und das wird einige überraschen, der von uns gekaufte Strom nach getaner Arbeit zu hundert Prozent wieder an seine Erzeuger zurückfließt.

Und noch eine Überraschung: Auch die elektrische Energie, die wir kaufen und „verbrauchen“, wird nicht wirklich verbraucht, sondern nur in andere Energie­formen umgewandelt. Und zwar auch zu hundert Prozent. So fordern es die physikalischen Naturgesetze. Und die kümmern sich auch nicht um den Werbebegriff der sogenannten „erneuerbaren“ Energien.

Denn „erneuerbare“ Energie gibt es nicht, mag die Politik das behaupten, so oft und so lange sie mag. Sie macht sich damit nur lächerlich. Energie als physikalische Größe unterliegt dem universalen Erhaltungssatz und kann nur gewandelt, aber nicht erneuert werden. Das gehört nun einmal zu den Grundlagen der Physik.

Zu den Qualitätsmerkmalen von Strom, wie wir ihn kennen, gehört ständige Verfügbarkeit, hohe Konstanz der Spannung und extrem hohe Konstanz der Frequenz sowie stets synchronisierte Phasen. Diese Qualität kann der Zappelstrom aus Wind und Sonne nie bieten.

Und deshalb gibt es erst seit der Einführung dieses Unsinnsbegriffs Anlaß, sich im täglichen Leben über die Umwidmung, eigentlich den Mißbrauch auch des Begriffes Strom als Synonym für elektrische Energie Gedanken zu machen. Denn bis dahin kam der „Strom“ zuverlässig und in steter und gleich hoher Qualität aus der Steckdose. Zu diesen Qualitätsmerkmalen gehörte: ständige Verfügbarkeit, hohe Konstanz der Spannung und extrem hohe Konstanz der Frequenz sowie stets synchronisierte Phasen. Und die müssen unter allen Umständen gewährleistet werden, sonst bricht über kurz oder lang das Versorgungsnetz zusammen.

Das geht dann zwar abrupt und extrem schnell, aber es gibt Vorboten, die das Unheil ankündigen. So wie dieser Tage das Absinken der Netzfrequenz um wenige zehntel Hertz, wie es in weiten Teilen Süddeutschlands und der Schweiz dieser Tage beobachtet wurde. Zunächst gingen nur die Synchronuhren einige Tage lang um fünf Minuten nach. Dann erfuhren wir, daß der Grund dafür war, daß die Generatoren langsamer liefen, weil mehr Strom von ihnen abgefordert wurde, als sie durch Nachregeln liefern konnten. Denn sie waren bereits am Anschlag. Hätte die Kälte einige Tage länger gedauert, oder wäre irgendwo ein technischer Defekt aufgetreten, der Blackout wäre unvermeidbar gewesen. Mal wieder Glück gehabt! Doch zurück zum Thema:

Der Strom hatte auch keine Farbe, kein Etikett, dafür aber einen Preis, der halb so hoch war wie heute. Das ist heute leider anders. Denn er fiel in die Hände von Politikern mit Ideologien und gerissenen Geschäftemachern. Und die beauftragten, versehen mit entsprechenden Vorgaben und Riesenbudgets, die Berufslügner vom Dienst, jene Verdrehung den Menschen als Fortschritt zu verkaufen. Sie bekamen den Auftrag, die geringe naturwissenschaftliche Bildung der Bevölkerung – voran der ihrer Eliten (Dietrich Schwanitz: „Naturwissenschaft gehört nicht zur Bildung!“) – zu nutzen, um der elektromagnetischen Energie, die wir zur Aufrechterhaltung unseres täglichen Lebens fast so dringend brauchen wie die Luft zum Atmen, neue, physikalisch unmögliche Eigenschaften anzudichten. Und, ganz im Stile von Orwells „1984“, bisher feststehende Begriffe umzuwidmen. Und das ist ihnen auf breiter Front gelungen.

Zum Beispiel sollte plötzlich die dem „Strom“ angedichtete Farbe grün eine positive Eigenschaft sein. Oder, besonders perfide, daß der Strom aus konventionellen Kraftwerken die Leitungen „verstopfe“, so daß der „edlere“ grüne Strom aus „Grünstromanlagen“ benachteiligt werde, weil er nicht abfließen könne. Dabei verschweigen diese Propagandisten die Tatsache, daß seit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahre 2000 der „Grünstrom“ qua Gesetz in jedem Fall, also immer, vorrangig abgenommen werden muß, egal in welcher Menge er erzeugt wird, egal wann er angeboten wird und zu einem Preis, der im Schnitt ein Vielfaches über dem Preis von Strom aus konventionellen Anlagen liegt. Und das über 20 Jahre garantiert, in jeder erzeugten Menge ab Inbetriebnahme der Anlage.

Sie verschweigen auch, daß dieses System der „Erneuerbaren“ als zusätzliches und damit völlig überflüssiges Erzeugungssystem aufgebaut wurde, dessen Nenn-Leistung zwar die der konventionellen Kraftwerke inzwischen übersteigt, deren Strom aber zappelhaft ist („Zappelstrom“, Hans-Werner Sinn) und dazu noch keinen aufnahmebereiten zusätzlichen Markt findet. Denn der Markt wurde ja nicht größer. Bisher bedienten ihn konventionelle Kraftwerke mit hoher Sicherheit, sehr guter Qualität und niedrigen Kosten bestens.

Energie ist physikalisch immer die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Physikalisch ergibt sie sich als das Produkt aus Leistung mal Zeit. Die Maßeinheit dafür ist Wattsekunden oder üblicher Kilowattstunden, Megawattstunden etc. Diese Arbeit, die wir auch dem Versorger bezahlen, wird von vielen Journalisten gern und immer wieder mit der Leistung gleichgesetzt. Sie lassen die Zeitkomponente weg.

Wenn zum Beispiel eine Lobeshymne über einen neu eröffneten „Windpark“ zu lesen ist, dessen Leistung der eines konventionellen Kraftwerkes entspräche oder der Anschlußleistung einer gewissen Anzahl von Haushalten und dieses Kraftwerk, so die Autoren, „ersetzen“ könne, fehlt immer der Hinweis, daß nur die Leistung mal der Zeit, die das Kraftwerk oder der „Windpark“ bereitstellt, vergleichbar sind. Und weil „Erneuerbare“, abgesehen von der Biomasse, nur für sehr viel kürzere Zeiträume diese Leistung bereitstellen, oft auch überhaupt nicht und oft auch dann, wenn niemand ihr Produkt benötigt, ist der Vergleich von Leistungen aus Kraftwerken mit denen von Solar- und Windparks nichts weiter als gewollte Irreführung. Aber wegen der Gleichheit der Leistungsangaben wird es so erzählt.

Die Hauptsache ist, der Bürger möge glauben, daß elektrische Energie, die mittels riesiger Plantagen von Energie­pflanzen oder riesiger „Parks“ von Windkraftanlagen oder Photovoltaik-Wandlern erzeugt wird, insgesamt für die Weltrettung besser oder qualitativ mindestens genauso gut sei wie die, welche wir bisher mittels herkömmlicher Kraftwerke erzeugt haben. Oft glauben die Leute, die diesen Unsinn verfassen, auch selber daran. Das jedoch ändert nichts an der Irreführung, an der sie sich beteiligen.

Die Netzbetreiber werden der vielen Einspeiser kaum noch Herr und müssen ständig regulierend eingreifen. Mußten sie das früher nur etwa zehnmal pro Jahr, so erzwingt diese Masseneinspeisung inzwischen jährlich über 7.000 solcher Stabilisierungsmaßnahmen.

Und jetzt kommt die Eigenschaft der Dienstleistung der elektrischen Energie, die wir brauchen und kaufen, ins Spiel. Wie schon erwähnt, gibt es großtechnisch keine Möglichkeit, diese zu speichern. Das bedeutet für Anbieter wie für Abnehmer, daß immer, zu jeder Zeit und an jedem Ort, an dem diese Energie nachgefragt wird, innerhalb weniger Sekunden genau die benötige Menge in der versprochenen Qualität – das ist Frequenz und Spannung – zur Verfügung stehen muß. Das ist die unvermeidbare Folge der Nichtspeicherbarkeit.

Daher wären „erneuerbare“ Stromerzeuger nur dann marktfähig, wenn ihr Angebot auf eine Nachfrage träfe. Im Sommer, über Mittag ist das für viele Solaranlagen der Fall: Da fallen, wenn die Sonne scheint, häufig Nachfrage und Angebot zusammen. Und, ließe man den Markt entscheiden, würde dann auch abgenommen, wenn der Solarstrom die anderen Qualitätsmerkmale hätte wie Strom aus konventioneller Produktion: wenn also die Spannung stabil genug wäre und die Frequenz innerhalb extrem geringer Grenzen um die standardisierten 50 Hertz herum ebenfalls stabil bliebe. Und dann müßte auch noch der Preis stimmen.

All das trifft aber auf diesen „Strom“ nicht zu, und deswegen schreibt das EEG den Netzbetreibern – und nur diesen – vor, den „Strom“ aus diesen qualitativ schlechteren Quellen zum überhöhten Marktpreis abzunehmen; wann und in welcher Menge und Qualität auch immer dieser angeboten wird. Man hat damit bewußt den Markt ausgehebelt – „den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen geschlagen“, wie einer der Väter dieses Gesetzes, Dietmar Schütz (SPD), später stolz für sich reklamierte. Denn aufgrund der gesicherten Abnahme über 20 Jahre zum stark überhöhten Marktpreis dieser Energie rauften sich die Investoren darum, Anlagen in jeder Menge und an jedem Winkel der Republik aufzustellen.

Mit großem Erfolg – jedenfalls aus der Sicht dieser Leute. Denn heute verunstalten knapp 30.000 Windkraftanlagen und mehr als 1,6 Millionen Solaranlagen jede freie Fläche der Republik. Dazu kommen noch unzählige Mais- und Rapsplantagen, die inzwischen mehr als zwei Millionen Hektar fruchtbares Ackerland in monotone Gelbwüsten verwandeln.

Für die Qualität des Stroms hat das dramatische Folgen, denn statt nur gut zweihundert qualitativ hochstehender Kraftwerke, die Strom immer dann liefern, wenn er gebraucht wurde, speisen heute um die 1,7 Millionen Klein- und Großerzeuger ihren Strom in die Netze ein – allein vom Wetter abhängig und nicht vom Bedarf. Kein Wunder, daß die Netzbetreiber dieser vielen Einspeiser kaum noch Herr werden und ständig regulierend eingreifen müssen. Mußten sie das vor gut zehn bis 15 Jahren nur etwa zehnmal pro Jahr tun, so erzwingt diese Masseneinspeisung inzwischen jährlich über 7.000 Stabilisierungsmaßnahmen.

Diese werden uns freilich mit rund einer Milliarde Euro zusätzlich in Rechnung gestellt. Und die Tendenz geht – nach dem Willen der Regierung und fast aller Parteien – weiter steil nach oben. Mit absehbaren Folgen. Ein großer Blackout ist nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann. Sich auf den Tag X vorzubereiten, wird empfohlen.






Michael Limburg, Jahrgang 1940, ist Mitgründer und Vizepräsident des privaten Europäischen Instituts für Klima- und Energie (EIKE). Der Diplomingenieur hat Elektrotechnik sowie Meß- und Regelungstechnik studiert und seit Mitte der siebziger Jahre in leitenden Positionen in der Druckindustrie gearbeitet. Limburg veröffentlichte Fachaufsätze und populärwissenschaftliche Bücher zur Klimaforschung und zum Umbau der Energiewirtschaft und wirkte am Parteiprogramm der AfD bezüglich dieser Themen mit. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Bonner UN-Klimakonferenz und die weltweite Vermögensumverteilung („Bezahlen für Luft“, JF 48/17).

Foto: Photovoltaik- und Windkraftanlagen überziehen das Land: „Erneuerbare“ Energie gibt es nicht, mag die Politik das behaupten, so oft und so lange sie mag. Energie als physikalische Größe unterliegt dem universalen Erhaltungssatz und kann nur gewandelt, aber nicht erneuert werden. So sind die Grundlagen der Physik.