© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Mehr Kindergeld – oder Erwerbstätigkeit von Müttern fördern?
Vorurteile der Ökonomenzunft
Jürgen Liminski

Die Ökonomenzunft leidet unter einer unseligen Tradition: Sie sieht Familie vorwiegend als Privatsache. Das begann schon mit Adam Smith. Sein „Wohlstand der Nationen“ kam mehr als zwei Jahrhunderte ohne Familie aus, bis Gary Becker vor 25 Jahren mit seinen Arbeiten über das Humanvermögen einen neuen Akzent setzte. In Deutschland sieht man noch heute Familie in Funktion des Arbeitsmarktes. Hans-Werner Sinn durchbrach dieses Denken.

Aber die Studie, die das bis 2016 von ihm geleitete Ifo-Institut jetzt herausbrachte, ist ein Rückfall. Sie plädiert dafür, statt in Familie mehr in staatliche Betreuung zu investieren, damit Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Zudem stellt das Münchner Intitut eine Korrelation zwischen Betreuungsplätzen und Geburtenrate sowie zwischen Kindergeld und Geburtenrate her. Das ist blanker Unsinn: Seit DDR-Zeiten gab es in den östlichen Bundesländern flächendeckend Betreuungsangebote, aber die Geburtenrate lag lange Zeit noch unter der westdeutschen.

Und seit Joseph Schumpeter wissen wir, daß mehr Wohlstand die Natalität in den Industriestaaten nicht hebt. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg hat das in seinem „demographisch-ökonomischen Paradoxon“ differenziert und ausgiebig belegt. All das scheint an dem Ifo-Zentrum für Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsökonomik spurlos vorübergegangen zu sein. Verräterisch sind auch Forderungen nach mehr Qualität in den Kitas. Diese Forderung hätte man vor zehn Jahren, als die erste GroKo ihre Krippenoffensive startete, erheben sollen, doch nur einzelne Stimmen, nicht von Ökonomen, plädierten dafür. Dabei zeigten schon damals amerikanische Langzeitstudien Zusammenhänge zwischen Bindung und Bildung auf. Inzwischen ist die Hirn- und Bindungsforschung noch viel weiter. Interdisziplinäres Denken ist das Gebot, wenn wir unsere eigentliche Ressource, die Innovationsfähigkeit, erhalten wollen. Aber hier ist das Denken in den Wirtschaftsinstituten und Stiftungen in Deutschland nicht nur veraltet, sondern geradezu reaktionär.

Gleiches gilt für das Thema Kinderarmut: Sie steigt, trotz mehr Frauenbeschäftigung und Kita-Plätzen. Auch hier denkt man in kleinen Karos, statt das Problem im Kern anzugehen. Dieser Kern ist die Leistungsgerechtigkeit und die sollte man in den Strukturen, etwa den Umlagesystemen, herstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat das mehrfach vorargumentiert, klassisch geworden ist der Begriff des „generativen Beitrags“, den es mit dem finanziellen Beitrag zu verrechnen gelte, was im Prinzip auch Hans-Werner Sinn forderte. Aber statt Urteile zu lesen, verlegen sich viele Ökonomen darauf, lieber welche zu fällen – und seien es Vorurteile.






Jürgen Liminski ist Geschäftsführer des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie in Sankt Augustin.

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