© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Der Henker vom Emsland
Kriegsverbrechen: Robert Schwentkes Kinofilm „Der Hauptmann“
Sebastian Hennig

Regisseur Robert Schwentke war bislang in Hollywood mit Disney-Produktionen, Comic- und Fantasy-Verfilmungen beschäftigt. Nun will er offenbar die spektakuläre Bewirtschaftung der NS-Zeit nicht allein Steven Spielberg und Quentin Tarantino überlassen und mischt dafür gleich beide Charaktere miteinander in seinem Film „Der Hauptmann“.

Auf der Suche nach einem ausbaufähigen Stoff stieß er auf den „Henker vom Emsland“. Bei den Verbrechen des Willi Herold handelt es sich um ein Extrembeispiel der Verwilderung in der Endphase des Krieges. In Lunzenau an der Zwickauer Mulde kam er 1925 zur Welt. Nach der Volksschule machte er eine Ausbildung zum Schornsteinfeger und wurde 1943 eingezogen, kämpfte bei Monte Cassino und in der Normandie.

Schließlich erfaßt den 19jährigen Gefreiten Willi Herold (Max Hubacher) der Strudel allgemeiner Auflösung. In einem Wagen findet er die Uniform eines hochdekorierten Hauptmanns der Luftwaffe. Kaum hat er die Kleider getauscht, unterstellt sich der versprengte Soldat Walter Freytag (Milan Peschel) seinem Kommando. Nach und nach stoßen weitere Soldaten zu dem Haufen. Sie haben keine Marschrichtung und keinen Kompaß mehr, versuchen nur noch oben zu bleiben, indem sie andere niederdrücken, sich schneller, brutaler und entschiedener geben.

Nachdem sie auf diese Weise sogar einer Patrouille der Feldjäger standgehalten haben, hat sich die „Kampfgruppe Herold“ herausgebildet. Das angemaßte Standgericht wütet über Wochen in der Gegend und richtet in einem Gefangenenlager ein Massaker an. Um den harten Kern von einem Dutzend scharen sich zeitweise bis zu achtzig Männer. Im Presseheft wird Hannah Arendt aus ihrem 1970 erschienenen Buch „Macht und Gewalt“ zitiert: „Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur so lange existent, als die Gruppe zusammenhält. Wenn wir von jemandem sagen, er ‘habe Macht’, heißt das in Wirklichkeit, daß er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln.“

Aus der Perspektive der Täter erzählt

In der Eingangszene von „Der Hauptmann“ wird der spätere Schlächter selbst als Gejagter gezeigt. Von der Ladefläche eines Kraftwagens wird mit Karabinern auf den Flüchtenden geschossen. Im Wurzelwerk eines Baumes unterhalb eines Geländeabrisses kann er sich verbergen. Abgesehen von einer Akzentverlagerung entspricht die Situation dem Beginn von Tarantinos „Inglourious Basterds“.

Schwentke wollte einen Film aus der Perspektive der Täter machen. Es ging ihm in seiner Darstellung des Falles nach eigener Aussage weder um Charakteranalyse noch um eine klinische Deutung des Verhaltens von Herold. Der Zuschauer soll sich selbst ein Bild machen, um wen es sich handle und warum er sich so verhielt: „Im Zentrum der Figur findet sich ein beabsichtigter blinder Fleck, der das Publikum dazu auffordert, seine eigenen Antworten zu finden.“

Wie sehr Robert Schwentke, bewußt oder unbewußt, die manipulative Methode seiner Kollegen aus der Alptraumfabrik bedient, das enthüllt er nebenbei in seiner Beschreibung des durch einen ehemaligen Häftling gebauten Modells des Emslandlagers: „Türme waren zu hoch, Zäune zu dick, das Tor unmöglich massiv – eine subjektive, nicht faktisch korrekte Sicht auf die Vergangenheit. Das hat mich tiefer und nachhaltiger bewegt, als es ein exaktes Modell hätte tun können. Wenngleich ‘Der Hauptmann’ nicht durch die Perspektive der Opfer erzählt wird, wurde diese Art von erfahrungsgemäßer Sicht auf das Vergangene zu einem Leitsatz für mich und inspirierte mich dazu, den Film mit einem gewissen Grad an Abstraktion umzusetzen.“

Der Regisseur berichtet von der Betroffenheit der Schauspieler beim Drehen der bestialischen Szenen vom Massaker im Strafgefangenenlager Aschendorfermoor, so als wären sie gar nicht Teil der audiovisuellen Aggression, mit der dieser Film seine Zuschauer zu peinigen beabsichtigt, sondern indirekte Opfer der Verbrechen selbst. Die Dreharbeiten erfolgten innerhalb von nur 41 Tagen in Breslau und Görlitz. Kameramann Florian Ballhaus belichtete Schwarzweiß, damit die Handlung nicht in der farblichen Omnipräsenz des roten Theaterblutes absäuft. Angestrebt wurde eine Gratwanderung zwischen Naturalismus und Manieriertheit. Das Lager wurde eigens für den Film errichtet und in Echtzeit in die Luft gesprengt. Sehr dekorativ steigt da nach dem Luftangriff eine schräge Rauchfahne vom Wachturm auf. Vor einer Gasse von zerstörten Baracken steht der Hauptmann, der keiner ist, und bringt seinen Anzug in Ordnung.

Das von diesem Film ausgehende Unbehagen hat weniger mit der Geschichte zu tun als mit dem Zugriff darauf. Schwentkes Film gehört zum hollywoodesken NS-Entertainment. Weit sorgfältiger wurden die schauerlichen Begebenheiten um den „Henker vom Emsland“ vor über zwanzig Jahren durch Paul Meyer und Rudolf Kersting in dem Dokumentarfilm „Der Hauptmann von Muffrika“ abgehandelt. Herold wurde am 14. November 1946 samt sechs seiner Kumpanen mit dem Fallbeil enthauptet.

Filmstart am 15. März

 www.derhauptmann-film.de