© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Deutschland und Rußland – wie weiter?
Geschlossen handeln
Bernd Posselt

Die Zeiten, in denen eine eigenständige deutsche Rußland-Politik vielleicht sinnvoll war, sind längst vorbei. Wir EU-Bürger sind sieben Prozent der Weltbevölkerung, mit sinkender Tendenz. Nur als außen- und sicherheitspolitisch geschlossene und handlungsfähige Gemeinschaft können wir noch auf der gleichen Augenhöhe agieren wie die USA, Rußland, Indien, China und andere. Deshalb versucht Rußland mit Zuckerbrot und Peitsche, das heißt mit wirtschaftlichen Verlockungen und außenpolitischem Dominanzstreben, uns Europäer auseinanderzunehmen, wo immer es geht. Dies ist der Grund dafür, daß der Kreml in den verschiedensten europäischen Ländern die unterschiedlichsten Kräfte fördert, seien sie rechts oder links, religiös oder atheistisch, kapitalistisch oder sozialistisch. Für Moskau zählt nur eines: Sie müssen antieuropäisch und nationalistisch sein. Das eklatanteste Beispiel dafür waren die beiden französischen Präsidentschaftskandidaten, die letztes Jahr die Stichwahl um den Élysée-Palast unter sich ausgemacht hätten, wenn nicht Emmanuel Macron als Deus ex machina dies in letzter Minute verhindert hätte: die Rechtsextremistin Marine Le Pen und der Linksextremist Jean-Luc Mélenchon – beide antiwestlich, EU-feindlich und trotz unterschiedlicher Weltanschauungen eng mit dem russischen Regime verflochten.

Die Sanktionen blieben moderat, waren aber unverzichtbar. Hätten Europa und seine Verbündeten nach dem kaum getarnten Einmarsch der russischen Armee auf die Krim business as usual gemacht, wäre dies die Aufforderung zum Tanz gewesen.

Zu den Moskauer Methoden, Europas Politiker und andere Entscheidungsträger gegeneinander auszuspielen, gehört auch, die einen mit ehrenvollen Einladungen und lukrativen Geschäften zu überhäufen – man denke an den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder –, andere hingegen mit Einreiseverboten zu belegen. Letztere sind zumeist Kämpfer für die Menschenrechte der Russen und der in Rußland lebenden Minderheiten, also keinesfalls antirussisch, wie die Kreml-Propaganda behauptet.

Zum „Divide et impera“ der außenpolitischen Doktrin Putins gehört insbesondere die Energiepolitik. Einerseits sollen manche durch Projekte wie Nord Stream 2 privilegiert, zum anderen aber weniger geschätzte Länder umgangen oder in Abhängigkeit gehalten werden.

Aus allen diesen Gründen muß die Rußland-Politik der EU und wenn möglich des Westens insgesamt vor allem eines sein: einheitlich. Hier liegen die überragenden Verdienste des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und integrationsfähiger Regierungschefs von Mitgliedstaaten wie Angela Merkel. Sie haben verhindert, daß die Europäer im Gefolge des russischen Überfalls auf die Ostukraine und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim auseinandergefallen sind – in eine Gruppe von unmittelbar Betroffenen im Osten und eine andere von zur Beschwichtigung neigenden Ländern im Westen und im Süden. Dies zu halten wird die wichtigste Herausforderung der nächsten Jahre sein.

Die Sanktionen blieben moderat, waren aber unverzichtbar. Zwar wird immer wieder behauptet, sie hätten nichts bewirkt, doch man muß, will man dies beurteilen, einmal ein ganz anderes Gedankenspiel durchdeklinieren: Hätten Europa und seine Verbündeten nach dem kaum getarnten Einmarsch der russischen Armee auf die Krim business as usual gemacht, wäre dies die Aufforderung zum Tanz gewesen – in anderen Teilen der Ukraine, im Baltikum, in Transnistrien mit seinen mafiotischen Strukturen der russischen Armee, im Kaukasus und in Syrien. 

Deshalb ist es notwendig, jede mögliche Aufhebung von Sanktionen strikt an vernünftige und von Putin einzuhaltende Bedingungen zu knüpfen. Dies gilt vor allem für das Abkommen von Minsk. Darüber hinaus muß Rußland klar sein, daß es die friedenspolitischen und menschenrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten hat, die es aus freien Stücken eingegangen ist. Dazu gehören die großzügigen Partnerschaftsabkommen, die EU und Nato einmal mit Moskau geschlossen hatten, die Vertragsordnung der OSZE einschließlich der Charta von Paris, die einseitige und gewaltsame Grenzänderungen verbietet, sowie die Menschenrechtskonvention des Europarats. Nichts davon war Ausdruck irgendeiner Einkreisungspolitik gegenüber dem russischen Nachbarn, derer der Westen dauernd beschuldigt wird. Im Gegenteil, es gehörte zur russischen Außen- und Nachbarschaftspolitik, solange sie – trotz aller Kritik, die sich auch an diesen Moskauer Regenten üben läßt – von Gorbatschow und Jelzin betrieben wurde.

Wer dies für eine aggressive Rußland-Politik des Westens hält und gleichzeitig die permanenten Rückfälle des Kreml in den Kalten und mancherorts auch in einen heißen Krieg – wie in Syrien und der Ukraine – verharmlost, beweist damit, daß er Realitätssinn und moralische Maßstäbe verloren hat.






Bernd Posselt, Jahrgang 1956, ist Präsident der Paneuropa-Union Deutschland e. V. und Beauftragter der CSU für Ostmittel- und Osteuropa. Von 1994 bis 2014 war er Mitglied des Europäischen Parlamentes. Seit dem Jahr 2000 war er hintereinander Bundesvorsitzender und dann Volksgruppensprecher der Sudetendeutschen. Seit 2014 übt er beide Ämter in Personalunion aus.