© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Showdown des bleiernen Jahrzehnts
Vor 40 Jahren wurde der italienische Christdemokrat Aldo Moro von den Roten Brigaden entführt und ermordet
Thomas Bachmann

Als sich Aldo Moro am 16. März 1978 kurz vor 9 Uhr gemeinsam mit seinen fünf Leibwächtern zum Palazzo Montecitorio, dem Sitz des italienischen Parlaments im Herzen Roms, aufmacht, darf er auf einen erfolgreichen Tag hoffen. Seit Monaten hat der Parteipräsident der Christdemokraten und Strippenzieher hinter den Kulissen daran gearbeitet, die oppositionellen Kommunisten in die Regierungsverantwortung einzubinden, ohne eine förmliche Koalition mit ihnen zu vereinbaren. Heute will man mit der Abstimmung über ein neues Kabinett unter seinem parteiinternen Rivalen Giulio Andreotti einen weiteren Schritt aufeinander zugehen. 

Doch Aldo Moro und seine Begleiter sollen nicht im Stadtzentrum ankommen. In der Via Mario Fani im Nordwesten Roms wird ihr kleiner Konvoi aus zwei Fahrzeugen von einem weißen Fiat 128 überholt, der sie, kurz bevor sie in die Via Stresa einbiegen können, zum Stoppen zwingt. In dem Hinterhalt erwarten sie durch Uniformen der Fluggesellschaft Alitalia getarnte Terroristen der Roten Brigaden, die aus Maschinenpistolen das Feuer eröffnen. Vier Personenschützer sind auf der Stelle tot, der fünfte stirbt wenig später im Krankenhaus. Aldo Moro jedoch ist unverletzt geblieben, die Attentäter zerren Italiens populärsten Politiker in ein Fluchtauto und entführen ihn in ein vorbereitetes Versteck.

Das Italien der siebziger Jahre, des „bleiernen Jahrzehnts“, ist den Terror gewöhnt. Tag für Tag füllen Berichte über Bombenanschläge, Schießereien, Banküberfälle oder einfach nur ausufernde Krawalle, die mal linken, mal rechten Tätern zugeschrieben werden, die Schlagzeilen. In den Jahren 1976 und 1977 hatte eine neue, massenhafte Aufwallung politischer Militanz das Land erschüttert. Nach einer verschwenderischen Sozialpolitik zu Beginn des Jahrzehnts ist Italien in eine schwere Rezession gerutscht. Die christdemokratisch geführte Regierung will mit einem Sparkurs gegenhalten und löst eine von gewaltsamen Ausschreitungen geprägte Protestwelle aus. Da sich die Kommunisten, die ihre Regierungsfähigkeit demonstrieren wollen, auf eine Unterstützung der Austeritätspolitik einlassen, müssen sie erleben, daß sich die radikale Linke nun auch gegen sie wendet. 

Dieses Gewaltklima scheinen die Roten Brigaden weiter anheizen zu wollen, ohne länger darauf Rücksicht zu nehmen, ob sie mit immer kaltblütigeren, von regelrechten Killerkommandos unternommenen Aktionen in einem breiteren linken Milieu noch auf Sympathien stoßen. Die Entführung Moros steht daher für den Höhepunkt ihrer militärischen Perfektion und das Scheitern ihrer Strategie zugleich. Es gelingt den Terroristen nicht, die politische Klasse Italiens in einen Schockzustand zu versetzen oder gegeneinander auszuspielen. Die für den 16. März anberaumte Parlamentssitzung beginnt mit gerade einmal zwei Stunden Verspätung und spricht Andreottis Kabinett als einer Regierung der nationalen Einheit das Vertrauen aus. 

Der harte Kurs, sich auf keine Verhandlungen mit den Entführern einzulassen, wird von allen Parteien, allen voran den Kommunisten, die sich keiner Sympathien für Kriminelle bezichtigen lassen wollen, unterstützt. In der Gefangenschaft schreibt Moro mehr als neunzig Briefe, in denen er zunehmend verzweifelt darum bittet, seine Freilassung zu erwirken. Seine Appelle verhallen ebenso unerhört wie das Angebot von Papst Paul VI., die Entführer mögen anstelle seines Jugendfreunds ihn als Geisel nehmen. Nach 54 Tagen des Bangens der Öffentlichkeit gibt ein anonymer Telefonanruf den Tod Moros bekannt. Im Kofferraum eines Renault R4, der in der Via Caetani im Stadtzentrum Roms, auf halber Strecke zwischen den Parteisitzen der Christdemokraten und der Kommunisten abgestellt ist, wird seine Leiche gefunden. 

Theorienen über angeblich wahre Hintermänner

Als Mörder, der ihn mit neun Schüssen aus nächster Nähe umbrachte, gilt heute der Terrorist Mario Moretti. Er wurde 1981 festgenommen und befindet sich seit 1994 wieder in Freiheit. Was für die Justiz als geklärt erscheint, ist es aber für die Öffentlichkeit mitnichten. Eklatante Ermittlungspannen der Sicherheitsbehörden und ein fragwürdiger Umgang mit Beweismitteln haben durch halbfiktionale Bücher und Filme genährte Verschwörungstheorien ins Kraut schießen lassen. 

In ihnen erscheinen die Loge P2, die Nato-Geheimorganisation „Gladio“, die Mafia und ausländische Nachrichtendienste einzeln oder alle gemeinsam als die wahren Drahtzieher. Als Motiv gilt dabei mehr oder weniger unisono, daß Moro eine kommunistische Regierungsbeteiligung im Sinne des „historischen Kompromisses“ angestrebt habe, die es zu verhindern galt. In Wahrheit war es seine Absicht, die Kommunisten aus ihrer bequemen Opposition herauszulocken und sie durch Mitgestaltung der Politik zu verschleißen. Diese Rechnung ging auf. Hatten die Kommunisten bis 1976 den Abstand zu den Christdemokraten auf nur noch vier Prozent verkürzt, so verdoppelte er sich bei den Parlamentswahlen, die 1979, ein Jahr nach Moros Tod, stattfanden.