© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Ein ökologischer Tropfen auf den heißen Stein
Auswilderung von Orang-Utans auf Sumatra / Artenschutz bedeutet zugleich Lebensraumschutz
Rüdiger Kretschmann

Für Michael Krützen hat sich der Traum eines jeden Biologen erfüllt: Der Züricher Professor für Evolutionäre Anthropologie und Genomik durfte im November 2017, nachdem ein internationales Forscherteam in zwanzigjähriger Kleinarbeit jeden wissenschaftlichen Zweifel ausgeräumt hatte, die Entdeckung einer neuen Art verkünden. Aber nicht irgendeiner, sondern, was im 21. Jahrhundert einer Sensation gleichkommt, die Entdeckung einer neuen Menschenaffenart: des Tapanuli-Orang-Utans (Pongo tapanuliensis).

Dabei handelt es sich – neben dem Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii) und dem Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus) – um eine eigenständige dritte Orang-Utan-Art. Australische Zoologen begegneten den rotblonden Tieren erstmals im Jahr 1997, bei Feldstudien in der hochgelegenen, schwer zugänglichen Region Batang Toru im Tapanuli-Distrikt des indonesischen Nordsumatras.

Die am stärksten bedrohte Menschenaffenart

Heute steht nicht nur fest, daß die Australier damals auf die älteste der drei Orang-Arten trafen, die direkten Nachkommen der ersten Population im südostasiatischen Sunda-Archipel. Es scheint auch, als sei die Tapanuli-Population nur entdeckt worden, um ihren Untergang zu protokollieren. Denn mit rund 800 Tieren gilt sie als die am stärksten bedrohte der insgesamt sieben Menschenaffenarten überhaupt. Akute Gefahr droht von einer Goldmine im Südwesten ihres Territoriums und einem geplanten Wasserkraftwerk sowie von den üblichen Verdächtigen: Wilderern und Siedlern.

Das Vordringen des Menschen in den Lebensraum der Affen brachte auch den Sumatra-Orang-Utan an den Rand des Aussterbens. Das tropische Sumatra, als sechstgrößte Insel der Welt mit 423.000 Quadratkilometern fast so groß wie Schweden, verlor seit 1995 die Hälfte seiner Waldfläche. Gefällte Urwaldriesen wanderten zumeist in die Papierproduktion, auf den gerodeten Flächen entstanden Palmölplantagen. Geht die Kahlschlag-Politik in Indonesien, dem weltweit größten Palmöl-Exporteur, in diesem Eiltempo weiter, rechnen Ökologen damit, daß die Regenwälder auf Sumatra und Borneo spätestens 2040 verschwunden sein werden. Groteskerweise auch als ein Opfer der im Namen der „Klimarettung“ forcierten Biodieselgewinnung aus Palmöl.

Für Peter Pratje tritt die Ölpalmen-Monokultur unter den Feinden der Orangs jedoch eher ins zweite Glied (Gorilla, 3/17). Das größere Zerstörungspotential traut er der Bevölkerungsexplosion Indonesiens zu. Deren Auswirkungen erlebt er in Gestalt von Brandrodungen und wilden Siedlungen derzeit im Herzen Sumatras, an den Grenzen des Nationalparks Bukit Tigapuluh, im „Land der Hügel“. Dort leitet Pratje im Auftrag der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) seit 1998 ein Projekt zur Auswilderung von Orang-Utans. Da der von der Hauptinsel Java abfließende Bevölkerungsdruck, der sich nach Sumatra entlädt, wo die Menschen illegal roden und siedeln, um als Kleinbauern ihre Existenz zu fristen, bereits in die Pufferzonen des Nationalparks vorfühlt, muß sich der studierte Artenschützer, der seine Diplomarbeit dem Fischotter in der Save-Aue gewidmet hat, immer mehr als Lebensraumretter engagieren.

Ein bislang gar nicht aussichtsloses Unterfangen. Zwar schrumpft der Wald, wie Pratje klagt, „in beängstigender Geschwindigkeit“. Doch der zähe ZGF-Mann hält dagegen. Zum einen glaubt er, der „hoffnungslos überforderte“ indonesische Forstschutz werde jetzt endlich aufgerüstet, um die unkontrollierte Entwaldung effizienter eindämmen zu können. Zum anderen versucht er, benachbarte Wälder unter Schutz zu stellen und in den Nationalpark zu integrieren. Mit dieser Strategie erreichte er 2015 – nach fünfjährigem Ringen mit der Distrikt-Regierung – für weitere 39.000 Hektar Tieflandregenwald eine Naturschutzkonzession. Immerhin eine Ausweitung um fast ein Viertel der bisherigen Nationalparkfläche von 145.000 Hektar.

Nur wenig Erfahrung mit dem Leben in Freiheit

Zudem will Pratje in seinem Kerngeschäft – der Auswilderung von Orang-Utans und dem Aufbau einer eigenen, lebensfähigen, den vorhandenen Gesamtbestand von etwa 14.600 Tieren stützenden Population im „Land der Hügel“ – keineswegs nur einen ökologischen „Tropfen auf den heißen Stein“ sehen, wie eine etwas resignativ klingende australische Kollegin diese Sisyphusarbeit nennt. Auf 160 geglückte Auswilderungen verweist Pratje, alle wissenschaftlich penibel dokumentiert.

Deswegen gelte sein Programm als „das erfolgreichste seiner Art“. Es ist aber auch das finanziell aufwendigste, da die Kandidaten für die Wiederansiedlung, konfiszierte Tiere aus illegaler Haltung, Zoobewohner und durch Abholzung heimatlos gewordene Jung-Orangs, keine oder nur wenig Erfahrung mit dem Leben in Freiheit haben. In den „Dschungelschulen“ der zwei Auswilderungsstationen Pratjes müssen sie daher sehr langsam lernen, wie man klettert, ohne den Boden zu berühren, wie man Schlafnester baut, Termiten aus ihren Nestern heraussaugt, kurz: alles, was der Orang-Utan für ein selbständiges Affenleben im Dschungel benötigt.

Um das, trotz aller Beschwernisse und Rückschläge, von Pratje als zukunftsfähig eingestufte Unternehmen gegen die vorrückende Rodungsfront zusätzlich abzusichern, setzt der Zoologe auf den ökologischen Bewußtseinswandel der Indonesier. Den soll ein neues Wildlife Education Center im Nationalpark inspirieren. Diese „Schule im Grünen“ will Naturschutzexperten für die gerade reorganisierten Forstämter ausbilden und das in der Wildtier- und Waldökologieforschung von der ZGF generierte Wissen an indonesische „Naturschützer von morgen“ vermitteln. Ein Pilotprojekt zur Nutzung des umweltfreundlichen Baustoffs Bambus hat bereits begonnen.

Schließlich sei zu erwarten, daß die Orang-Utans selbst zur Erhaltung ihres Lebensraums beitragen. Denn wie Sumatras Waldelefanten und die gleichfalls vom Aussterben bedrohten Tiger (Panthera tigris sumatrae) – Arten die im Land der Hügel noch vorkommen – sind die Orang-Utans eine „Flaggschiffart“. Sie eigneten sich hervorragend als werbewirksame Sympathieträger, wie der promovierte Forstwissenschaftler Alexander Mossbrucker betont, der für die ZGF den Elefantenschutz auf Sumatra organisiert. „Interessante, sympathische Arten“ öffnen die Herzen und Kassen potenter Drittmittelgeber in Europa und den USA. „Fast immer“ würden seine vielen Anträge daher bewilligt. Von dem Geld profitieren dann aber nicht nur die „Flaggschiffe“, sondern alle anderen Arten und ihr gesamtes Ökosystem.

Informationen der Universität Zürich: www.media.uzh.ch/

Spezialseite zum Tapanuli-Orang-Utan: www.sumatranorangutan.org

Sumatra-Orang-Utan-Schutzprogramm: www.sumatranorangutan.org