© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Jesus im Mittelpunkt
Gospelmusik hat sich mittlerweile in ganz Deutschland etabliert
Karl-Heinz Schuck

In Deutschland finden bis in die tiefste Provinz immer mehr Gospelchöre zusammen. Ihre Musik hat sich mittlerweile etabliert und genießt einen zunehmend höheren Stellenwert. Geschätzt existieren hierzulande etwa 4.000 Chöre. Den Anstoß dazu gab vor allem der Film „Sister Act“ mit Whoopi Goldberg aus dem Jahr 1992, in dem sie als Nonne einen Kirchenchor mit Gospel wiederbelebt.

Seit seiner Premiere 2002 in Essen findet sogar alle zwei Jahre an wechselnden Orten ein Gospelkirchentag statt. Die größte Gospelveranstaltung Europas lockt – unterstützt von den Landeskirchen, der EKD und der Stiftung Creative Kirche aus Witten – bis zu 80.000 Besucher an und führt mehr als 5.000 Menschen zu einem gewaltigen Massenchor zusammen.

Der Begriff Gospel steht für Good Spell – die „Frohe Botschaft“. Die Musik selbst geht zurück auf die Negro Spirituals, also spirituelle Lieder, die schwarze Sklaven in Amerika im 19. Jahrhundert sangen. Sie vermischten dabei traditionelle Kirchenlieder mit den ihnen bekannten afrikanischen Rhythmen und Gesangsformen. 

Gottesdienste sollen attraktiver werden

So entstand eine neue Form christlicher Musik, die fast alle modernen Musikstile wesentlich mit beeinflußt hat – bis hin zum sogenannten Sacropop, der zeitgenössischen Form der Kirchenmusik, die von modernen Elementen geprägt wird. Im Mittelpunkt stehen die Botschaft von Jesus und die Hoffnung auf Erlösung. Viele aktive Sänger halten Gospel also für eine Musik, die Hoffnung und Kraft gibt und die nicht nur den Kopf, sondern auch Herz und Bauch anspricht. Gerne wird Gospel als neues geistliches Liedgut genutzt und versucht, so die Gottesdienste wieder attraktiver zu machen und vor allem junges Publikum anzulocken. In einigen Kirchen Deutschlands ist diese Musikform schon zu einem festen Bestandteil geworden. 

Kritiker wenden hier gerne ein, daß moderne Klänge niemals in Konkurrenz zu den formvollendeten Kompositionen der Barockzeit treten könnten. Es sei auch fraglich, ob dies überhaupt in einen normalen Gottesdienst passe, da der Chor zum zentralen Punkt wird, anstatt unterstützend tätig zu sein. Die Befürworter argumentieren, Singen sei als Gotteslob durchaus eine Alternative zu nicht ansprechenden Predigttexten. Ein Heranführen an Glaubensfragen könne auch über Gesang erfolgen und nicht nur mittels theoretischer Abhandlungen. Die Chance, Menschen durch die Kombination von Wort und Gesang neu zu begeistern, müsse genutzt werden. Junge Leute, die in der Eventkultur aufgewachsen sind, wollen auch in der Kirche „etwas erleben“. Und dies auch in der ihnen gewohnten englischen Sprache. Man könne sie mit der Energie und dem Rhythmus der Gospeltitel ansprechen. 

Stil schwarzer Sänger soll nicht imitiert werden

Ob man mit dieser Strategie einer anderen Form des Kirchenchores tatsächlich dauerhaft die Besucherzahlen in den Kirchen nach oben bringt, bleibt also umstritten. Die Chöre, die sich dem Gospel verschrieben haben, tun – so die Fachleute – gut daran, sich nicht nur einseitig auf genau diese Musik zu stützen. Dies kann den Sängern und der Zuhörerschaft schnell zu langweilig werden. Die meisten ergänzen daher ihr Repertoire mit Popmusik oder popähnlichen modernen Kirchenliedern. Manche Chorleiter studieren mit ihren Sängern auch afrikanische christliche Lieder ein, die nicht zum eigentlichen Gospel gehören. Doch der Stil schwarzer Sänger sollte dabei nicht zu imitieren versucht werden, denn diese haben eine eigene, andere Art zu singen.

Das gemeinsam erarbeitete Liedgut wird längst nicht mehr nur in Kirchen zu Gehör gebracht, gelegentlich werden auch Konzertabende auf Veranstaltungen wie Lesungen angeboten. Dabei treten auch nicht alle Chöre in den bekannten langen Roben, verziert mit bunten Schals, auf. Viele Chorleiter überlassen dies lieber den US-Amerikanern und wählen eine konventionellere Kleidung aus. 

Wer sich in die Gospelmusik einhören und ihre Atmosphäre näher kennenlernen möchte, dem sei ein Besuch auf der Seite gospelradio.de empfohlen. Dort werden Chöre und Solisten vorgestellt und Informationen zu Veranstaltungen gegeben – und natürlich auch Gospel gespielt.