© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Antworten auf Signale von oben
Der Religionswissenschaftler Bernhard Maier erkundet die „Ordnung des Himmels“ von den frühesten Grabkulten bis zu aktuellen religiösen Phänomenen wie „Cyberkirche“
Felix Dirsch

Obwohl das Narrativ von der „Renaissance der Religion“ seit etwa eineinhalb Jahrzehnten landauf landab diskutiert wird, läßt sich eine solche Wiederkehr als alltagsrelevante Macht zumindest für die meisten europäischen Länder anhand der Daten eher nicht bestätigen. Zweifellos ist aber das Interesse am Glauben gewachsen. Diese Tendenz findet auch am Buchmarkt ihren Niederschlag.

Ein derartiger Hintergrund dürfte für den Tübinger Religionswissenschaftler Bernhard Maier entscheidend gewesen sein, nach etlichen gewichtigen Vorstudien eine für ein breiteres Publikum gedachte Kompilation seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeiten vorzulegen. 

Der erste Teil handelt von den Anfängen bis zu den altorientalischen Großreichen, der folgende vom Hellenismus bis zum Islam. Der dritte Abschnitt erörtert Europa und Asien im Zeichen der Weltreligionen, der vierte reicht von der Entdeckung Amerikas bis zum Ende des Zeitalters der Aufklärung. Abschließend verfolgt der Autor die Entwicklung der verschiedenen Religionen im Überblick von der Industrialisierung bis zur Gegenwart.

Maiers Vorgehen ermöglicht in den unterschiedlichen Epochen einen synoptischen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Glaubensvorstellungen und -richtungen. So arbeitet der Autor an einer Stelle beispielsweise die Entstehung und Fortentwicklung zentraler heiliger Schriften heraus: des Pali-Kanons, der Bibel samt Apokryphen und Pseudepigraphen, schließlich des Korans und der Hadithen. Aber auch andere Parallelen wie die verschiedenen Ausprägungen mystischer Bewegungen in den Weltreligionen, die Wandlungsprozesse angesichts von Industriegesellschaft und Säkularisierung sowie die Einstellung zur Toleranz werden komparativ aufgezeigt. 

Für die neuere Forschung ist es immer noch ein Problem, die meist nicht trennscharf auftretenden religiösen Erscheinungsformen von verwandten Phänomenen wie Magie, Mythos oder Orakel abzugrenzen. Wie sind heilige Stätte oder heilige Zeiten zu qualifizieren? Das ist eine nicht unwichtige Frage. Vieles aus der Vorzeit ist mangels sicherer Überlieferung unklar.

Je weiter die Darstellung sich unserer Gegenwart nähert, desto vielfältiger werden religiöse Gruppierungen und Organisationen. Maier ignoriert auch neureligiöse Formationen nicht, etwa die Mormonen, die Bahai, Taiping- und Ahmadiyya-Bewegung, die in letzter Zeit auch in Europa verstärkt von sich reden macht. Diese Gemeinschaften allerdings in Relevanz, Festigkeit und Einfluss treffend einzustufen ist oft schwierig. 

Zu allem Überfluß bilden sich im 20. Jahrhundert auch mächtige „politische Religionen“, die in den letzten Jahren in zahllosen Arbeiten erforscht wurden. Religiosität ist demnach nicht nur als Versuch zu begreifen, sich auf Transzendenz (wie auch immer) zu beziehen, sondern kann unter Umständen auch weltimmanent auftreten. Maier führt weiterhin auch die zunehmende Zahl von Alternativen in puncto Sinngestaltung an: Humanismus, Atheismus und Agnostizismus sind längst Massenerscheinungen. Anthroposophie und Theosophie sind Grenzgänger im weiten Feld von Glauben und spirituell-okkulter Weltanschauung. Nicht nur religionsrechtlich problematisch ist die Abgrenzung von Kirche und Sekte. Mitunter fällt auch die Unterscheidung zwischen Religionsgemeinschaft und Wirtschaftsunternehmen nicht leicht. 

Neueste Metamorphosen des Religiösen zeigen sich vor dem Hintergrund von Globalisierung und Internet. „Cyberreligion“ ist vielleicht mehr als nur eine modische Wortschöpfung. Der Trend hin zu Bastelreligionen und zu allerlei synkretistischen Kreationen dürfte zunehmen.

Maiers Abhandlung verbleibt im verbindlichen Radius der Forschung. Die Lektüre ist vor allem aufgrund der Stoffülle kein einfaches Unterfangen. Immerhin liegt nun seit langer Zeit wieder ein fundierter Überblick über dieses so breit gefächerte Thema vor. Das ausführliche Literaturverzeichnis ermöglicht dem Interessierten eine Vertiefung. Bemerkenswert an dieser Veröffentlichung ist besonders die Erkenntnis, daß die heutige akademische Historiographie Universalgeschichte noch nicht ad acta gelegt hat.

Bernhard Maier: Die Ordnung des Himmels: Eine Geschichte der Religionen von der Steinzeit bis heute. Verlag C.H. Beck, München 2018, gebunden, 576 Seiten, 29,95 Euro