© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Blaupause für ein Fiasko
Heiner Flassberg und Jörg Bibow möchten durch mehr Konsum Wachstum generieren: Schuldenpolitik über eine europäische Fiskalunion ist dabei ihr Patentrezept
Michael von Prollius

Sparen bedeutet Nichtkonsumieren. Sparen heißt für die Zukunft vorsorgen – mit Kapital von heute. Sparen bedeutet hingegen nicht, etwas nicht auszugeben, was man nicht hat, wie es leider permanent zur Austeritätspolitik heißt. Sparen und Konsum sind individuelle Entscheidungen, die nicht politisch gesteuert werden dürfen. Sparen ist eine Tugend und die Grundlage von Wohlstand und Wachstum. 

Wenn Menschen mehr konsumieren, können sie das nur tun, wenn sie weniger sparen. Dann fehlt das Kapital für Produktivitätssteigerungen und Wachstum. Ein Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Wohlstand und Wachstum resultieren aus Mehren, nicht aus Aufzehren. Haben Sie sich je reich geshoppt?

Wer ein Anhänger der Auffassung ist, wir steckten in der Krise, weil wir zu wenig verbrauchen, dem wird das Buch von Jörg Bibow und Heiner Flassbeck gefallen. Tatsächlich ist das Anliegen der Autoren berechtigt. Die Eurozone befindet sich nach wie vor in einer Krise, allerdings in einer institutionellen Strukturkrise. Die Gründe werden seit über zwanzig Jahren genannt. Die Euro-Konstruktion gleicht einem Haus ohne Dach und ohne Fundament. Bibow und Flassbeck beobachten indes lediglich das Verhalten der Menschen während der Bausünde. Ihr Pamphlet besteht aus zwei Teilen: Sie kritisieren eine sogenannte fiskalische Austeritätspolitik und Lohnsenkungen vehement als fatale Kombination; im Vergleich der Wirtschaftspolitik von Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien wird Frankreich zum Modell für Europa gekürt.  

Die Autoren starten mit einem Anti-Schäuble-Aufmacher – zurecht, allerdings wirkt Schäuble wie ein Strohmann. Die Anti-Schröder-Linie ist durch eine mantraartige Kritik an den Arbeitsmarktreformen konsequenter, aber dafür falsch. Kein Unternehmen kann auf verkrusteten Arbeitsmärkten mit überhöhten Löhnen produktiver werden. Für das von den Autoren angestrebte volkswirtschaftliche Wachstum ist die Steigerung der Produktivität entscheidend. Leider erfährt der Leser nichts darüber, daß die Arbeitsproduktivität im Beobachtungszeitraum in Europa kaum mehr wächst und in Deutschland rückläufig ist. Der wichtigste Treiber der Arbeitsproduktivität ist technischer Fortschritt, der lahmt. Das Konsum-Mantra hilft nicht. Im Gegenteil, Löhne müssen langsamer als die Produktivität steigen. 

„Das Euro-Desaster“ ist ein bedauerlich unterkomplexes Buch. In dem vehementen Eintreten für eine von Experten betriebene Makrowirtschaftspolitik gibt es weder Unternehmer noch Bürger. Frei schwebend werden wenige makroökonomische Größen in Verbindung gesetzt, Korrelationen behauptet, aber keine substantielle Kausalität wird nachgewiesen. Störche fliegen, Kinder werden geboren. Folglich wird das Ziel des Buches verfehlt, nämlich nachzuweisen, daß die „in den Eurokrisenländern verfolgte Politik, Lohnsenkungen – als Mittel zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit – und fiskalische Austerität zu kombinieren, maßgeblich war für die Tiefe und Dauer des beobachteten Einbruchs“. Ein Blick in leicht zugängliche Statistiken zeigt zudem: In Deutschland nahm der private Konsum nach der Wiedervereinigung von 1991 (891 Milliarden Euro) bis 2015 (1.635 Milliarden Euro) auf über 80 Prozent zu. Der Anstieg erfolgte schneller, als das verfügbare Einkommen wuchs, folglich sank die Sparquote von 12,6 auf 9,7 Prozent. Gleichzeitig verschweigt die permanente Kritik an zu wenigen Investitionen, daß sich die Staatseinnahmen auf Rekordniveau befinden, genauso wie die Staatsausgaben. 

Der Leser gewinnt den Eindruck, nur Bibow und Flassbeck könnten es richten. Die beiden wollen Europas Wirtschaft steuern und zur Überwindung der Krise erstens das Geld entwerten, zweitens die Lohnstückkosten für Unternehmen verteuern und drittens noch mehr Schulden machen. Die Krönung soll die Fiskalunion sein: alles in einen Topf, alles aus einem Topf. Dazu gehört die Vorstellung, die Zentralbank müsse nur mehr Geld drucken und der Staat mehr ausgeben, damit Wohlstand entsteht, also einfach zur Verbesserung eines maroden Stromnetzes unbegrenzt Mehrfachstecker an eine Steckdose anschließen! Die Idylle des Keynesianismus – Konsum ohne Sparen – scheiterte in den 1970er Jahren krachend. Ein neuer Anlauf auf europäischer Ebene macht aus dem Scheitern ein Fiasko.

Heiner Flassbeck, Jörg Bibow: Das Euro-Desaster. Wie deutsche Wirtschaftspolitik die Eurozone in den Abgrund treibt.Westend Verlag, Frankfurt am Main 2018, broschiert, 224 Seiten, 20 Euro