© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Was blüht den Grünen im Frühling?
Generationswechsel: Der Traum von der Regierungsbeteiligung ist geplatzt / Neue Doppelspitze soll für frischen Wind in der Ökopartei sorgen
Peter Möller

Die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen werden in Erinnerung bleiben. Und bereits jetzt wird immer deutlicher, daß sich das Scheitern vor allem für die Grünen als Segen erweist. Denn wenn nicht alles täuscht, schickt sich die von den Verhandlungen aufgeputschte Partei gerade an, sich neu zu erfinden. Eine Beobachtung, die vor allem die SPD, aber auch die FDP das Fürchten lehren könnte, und die untrennbar mit den beiden neuen Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, verbunden ist. 

Ohne die von FDP-Chef Christian Lindner theatralisch beendeten schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen wäre der sich abzeichnende grüne Neustart, der sich auch in den Umfragen zeigt, aber vermutlich überhaupt nicht möglich gewesen. Derzeitig liegen die Grünen mit elf bis 13 Prozent deutlich über den bei der Bundestagswahl erreichten 8,9 Prozent. Dieser Effekt wird in der Partei nicht zuletzt dem professionellen und kompetenten Verhandlungsstil von Habeck und Baerbock zugeschrieben. Gleichzeitig machte das Platzen der Verhandlungen den Weg für den von beiden verkörperten Generationswechsel an der Spitze der Partei endgültig frei. Für ihre Vorgänger, die blasse Simone Peter und den ständig überschätzten Cem Özdemir, war am denkwürdigen 19. November kurz vor Mitternacht dagegen das Spiel zu Ende.

Der 48 Jahre alte Habeck galt schon zum Auftakt der Verhandlungen als stellvertretender Ministerpräsident der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung als ein aussichtsreicher Kandidat für ein Ministeramt in Berlin und als heißer Kandidat für den Parteivorsitz. Anders bei Baerbock, in ihr reifte erst während der Verhandlungen, bei denen sie für Energie- und Klimapolitik zuständig war, der Entschluß, ebenfalls für das Spitzenamt der Grünen zu kandidieren.

Mit Habeck haben die Grünen mehr als zehn Jahre nach dem Ausstieg Joschka Fischers aus der Politik wieder ein politisches Schwergewicht in einer führenden Position, der auch außerhalb der Partei nicht nur ernstgenommen wird, sondern sogar auf Sympathien stößt. Anders als der selbstverliebte und chronisch schlecht gelaunte Fischer gilt Habeck als umgänglich. Doch daß der promovierte Philosoph durchaus machtbewußt ist, machte er im Vorfeld seiner Wahl zum Parteichef deutlich, als er eine Satzungsänderung erzwang, die es ihm ermöglicht, seine Regierungsämter in Kiel noch ein knappes Jahr neben seinem Parteiamt fortzuführen. Weil er sich so höhere Rentenansprüche erwirbt, wie böse Zungen behaupten – weil er damit seinem zunächst als Nachfolger gehandelten Freund, dem Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz, den Wechsel an die Förde erleichtern wollte, wie Habeck verbreiten ließ. Der Wunsch zumindest wurde nicht wahr. Notz bleibt in Berlin, Nachfolger in Kiel wird der bisherige grüne EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht.

Fehlt eigentlich nur          der Koalitionspartner

Nicht bei allen in der Partei kommt Habecks lässig zur Schau getragenes Selbstbewußtsein und sein Hang zur Selbstinszenierung an. Und tatsächlich gibt es eine Reihe von dick aufgetragenen Fotos, die ihn wahlweise in einem Kornfeld, mit ausgebreiteten Armen im Wattenmeer oder am Bug eines Bootes zeigen. Bilder, die auch aus einer Werbekampagne für eine herbe norddeutsche Biersorte stammen könnten. Doch anders als bei vielen seiner Parteifreunde bleibt der bekennende Dosenbiertrinker dabei meist authentisch. Spötter sagen dagegen, daß sich da einer sehr gern hat.

Nicht nur äußerlich, sondern auch politisch entstammt Habeck einer anderen Generation als seine Vorgänger, die ihr politisches Handwerk meist bereits im Studium in linksextremistischen Splittergruppen gelernt haben. Der in Heikendorf bei Kiel aufgewachsene Sohn einer Apothekerfamilie ist dagegen ein politisch Spätberufener. Seine Jugend verbringt er am Strand, trampt durch Europa, spielt Theater und studiert schließlich in Freiburg im Breisgau Philosophie. Nach dem Studium beginnt er gemeinsam mit seiner Frau, Andrea Paluch, mit der er mittlerweile vier Söhne hat, erfolgreich Romane zu schreiben. Die Bücher tragen Titel wie „Hauke Haiens Tod“ oder „Der Schrei der Hyänen“. 

Als er sich entschließt, den Grünen beizutreten, legt er eine politische Blitzkarriere hin. 2003 wird er Kreisvorsitzender in Schleswig, nur zwei Jahre später Landesvorsitzender und schließlich 2012 Minister in Kiel. Dem Pragmatiker wird zugetraut, bis in das FDP-Milieu hineinzuwirken. „Wenn er Bundesvorsitzender der Grünen wird, dann wird das für uns eine nicht ganz unerhebliche Gefahr“, sagte FDP-Mann Wolfgang Kubicki, der Habeck aus der gemeinsamen Zeit in Kiel kennt und schätzt, Anfang des Jahres. Selbst Kritiker glauben, daß Habeck derzeit nur an sich selbst scheitern kann. So grummelte Habecks Landsmann und SPD-Vize Ralf Stegner in der Süddeutschen Zeitung: „Ich glaube, daß er ein bißchen zu nah an die Sonne gekommen ist mit seinen Flügeln“. Deshalb baut der grüne Hoffnungsträger vor. „Die Enttäuschung ist doch quasi vorprogrammiert“, sagte Habeck vor seiner Wahl.

Anders als der Seiteneinsteiger Habeck ist die in der Nähe von Hannover aufgewachsene 37 Jahre alte Baerbock eine klassische Berufspolitikerin. Sie studierte Politikwissenschaften, öffentliches Recht und Völkerrecht in Hamburg und London und arbeitete während dieser Zeit bereits in Potsdam und Brüssel für die grüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter. Später wechselte sie als Referentin in die Bundestagsfraktion. Die Wahlbrandenburgerin trat 2005 den Grünen bei und wurde 2013 in den Bundestag gewählt, wo sie sich schnell parteiübergreifend Anerkennung erwarb. Die kommenden Wochen werden zeigen, wie gut Habeck, der durch zahlreiche Talkshowauftritte immer mehr zum neuen Gesicht der Partei wird, mit Baerbock harmoniert. Die Mutter zweier Töchter scheint indes selbstbewußt genug, um sich von Habeck nicht ins Abseits drängen zu lassen. Ihr wird in der eigenen Partei auch zugetraut, den nach wie vor bestehenden Graben zwischen Linken und Realos zu überbrücken. Einen gemeinsamen Akzent haben Habeck und Baerbock bereits gesetzt. Mit dem erfahrenen Parteimanager Robert Heinrich installierten die beiden Spitzen-Grünen einen gemeinsamen Büroleiter – eine Premiere. Der Schritt soll nach dem Willen von Baerbock und Habeck auch nach innen den Neuanfang der Grünen symbolisieren. Wenn der gelingt, fehlt der Partei eigentlich nur noch ein Koalitionspartner.