© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Von wegen altes Eisen
Landesverteidigung: Die Mine, vor allem zur Panzerabwehr, steht vor einer Renaissance / Auch die Bundeswehr erwägt zukünftig einen stärkeren Einsatz dieses weitgehend aussortierten Waffensystems
Peter Möller

Im Prinzip ist es wie beim Fußball: Wer gegen einen starken, gar übermächtigen Gegner bestehen will, muß die Räume eng machen. Die gegnerische Mannschaft darf mit ihren Spielzügen keinesfalls zur Entfaltung kommen. Den angreifenden Offensivspielern müssen die „Laufwege“ zugestellt werden, um sie so am Schuß auf das Tor und damit am Erfolg zu hindern.

Ähnlich sieht es beim Militär aus. Um ein Gebiet wirkungsvoll und erfolgversprechend zu verteidigen, ist es wichtig, wo immer es geht, die Bewegungsfreiheit des Angreifers zu behindern und einzuschränken. Dazu gehört, ihm ähnlich wie im Fußball die „Laufwege“, in diesem Fall also die Straßen und das Gelände für seinen Vormarsch, zu verstellen beziehungsweise ihn auf ganz bestimmte Wege zu zwingen, die dem Verteidiger Vorteile verschaffen.

Eine effektive Waffe, um dieses Ziel zu erreichen, sind Minen. Während des Kalten Krieges hatten die Bundeswehr und ihre Nato-Verbündeten Millionen dieser kleinen, aber wirkungsvollen Sprengkörper in ihren Depots, um im Falle eines Angriffs des Warschauer Paktes die Unterlegenheit des Westen bei der Zahl der Soldaten und Panzer zumindest teilweise auszugleichen. Ziel war es, mit großflächigen Minenfeldern die „rote Flut“ zu kanalisieren und ihr den Schwung zu nehmen, um Zeit zu gewinnen, die eigenen Truppen in Stellung zu bringen und die Verteidigung zu organisieren.

Doch die vergrabenen oder getarnt ausgelegten Sprengkörper haben einen verheerenden Ruf, denn sie sind äußerst tückisch. Noch Jahre oder gar Jahrzehnte nach dem Ende eines Konfliktes stellen sie häufig vor allem für die Zivilbevölkerung eine ständige Bedrohung dar und machen ganze Landstriche etwa für die landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar. 

Vor allem in der sogenannten Dritten Welt waren in den vergangenen Jahrzehnten unzählige zivile Opfer, die häufig verstümmelt wurden, zu beklagen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden da im Westen, symbolisiert durch das Engagement von Lady Diana gegen Landminen, die Forderungen nach einer weitgehenden Ächtung von Minen lauter. 

Auf Initiative eines österreichischen Diplomaten wurde schließlich 1997 in Ottawa von 121 Staaten die Konvention zum Verbot von Antipersonenminen unterzeichnet. Mittlerweile haben 162 Länder das Abkommen ratifiziert, allerdings sind wichtige Militärmächte wie die Vereinigten Staaten, Rußland, China und Indien nicht darunter. Deutschland gehörte dagegen zu den Erstunterzeichnern, und die Bundeswehr war eine der ersten Armeen, die ihre Bestände an Antipersonenminen vernichtete.

Doch von wegen altes Eisen – nun steht die Mine, vor allem zur Panzerabwehr, vor einem Comeback – auch in der Bundeswehr, die ihre Fähigkeiten zum Legen von Minensperren durch die diversen Bundeswehrreformen seit dem Ende des Kalten Krieges weitgehend eingebüßt hat. Zwar verfügt die Bundeswehr noch über rund 55.000 Panzerabwehrminen, die Fahrzeuge zum automatischen Verlegen oder Verschießen der Minen wurden aber nach und nach verschrottet oder wanderten ins Depot. Im Sommer 2016 mußte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Jörg Vollmer in einer Bestandsaufnahme des Zustands des Heeres beklagen, daß die Bundeswehr die Fähigkeit verloren habe, Minensperren zu verlegen. 

Denn das ist längst keine Handarbeit mehr. Der von der Bundeswehr in den achtziger Jahren beschaffte und mittlerweile ausgemusterte Minenwerfer „Skorpion“ benötigte für eine Minensperre von 1.000 Meter Länge und 200 Meter Tiefe, für die ein Trupp Soldaten Stunden brauchen würde, lediglich zehn Minuten. Dabei wurden die Minen mit einer Treibladung in das Gelände gefeuert. In den Depots der Bundeswehr überlebt hat dagegen das ebenfalls gegen Ende des Kalten Krieges beschaffte Minenverlegesystem 85. 

Dabei handelt es sich um einen Anhänger, der mit einem Pflug und einem sogenannten Einebner ausgestattet ist, und automatisch Panzerminen in einer Tiefe von 20 Zentimetern verlegen kann. Mittlerweile wurden vier der einstmals 280 beschafften Exemplare zu Ausbildungszwecken wieder in Dienst gestellt, wie der Fachblog  „Augengeradeaus“ Ende vergangenen Jahres berichtete. 

Finnland und Polen an vorderster Front

Im Vergleich mit dem „Skorpion“ ist der an ein Gerät aus der Landwirtschaft erinnernde Minenleger allerdings deutlich langsamer. Statt zehn Minuten benötigt er eine Stunde, um auf einer Länge von einem Kilometer Minen zu legen. 

Für die Bundeswehr sind Minen vor allem vor dem Hintergrund der massiven Abrüstung seit 1990 interessant. Mittlerweile fehlt es dem Heer an Masse, um sich einem massiven gegnerischen Angriff entgegenzustellen, wie eine aktuelle Bundeswehr-Denkschrift mit dem Titel „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“ beklagt. So sind von den ehemals mehr als 2.000 Kampfpanzern lediglich rund 300 Stück übriggeblieben. Effektive Minensperren könnten diesen Mangel zumindest teilweise wieder ausgleichen, hoffen die Militärplaner. Günstiger wird das allerdings nicht: Die Zeiten, in denen Minen im Verhältnis zu ihrer möglichen Wirkung eine „billige“ Waffe waren, gehören der Vergangenheit an. Die Beschaffung einer neuen und wesentlich komplexeren Generation von Landminen dürfte Milliarden kosten. 

Auch in der Nato wird längst wieder an einem neuen Minenkonzept gearbeitet. Vor allem in Polen, das nicht erst seit der Krim-Krise und den Kämpfen in der Ostukraine verteidigungspolitisch seinen Blick nach Osten Richtung Rußland gerichtet hat. Neben einer Verlagerung der mit deutschen Kampfpanzern vom Typ Leopard 2 ausgerüsteten polnischen Einheit an die Ostgrenze, wird intensiv daran gearbeitet, neue Minen zu beschaffen, mit denen ein befürchteter Panzervorstoß aus dem Osten möglichst effektiv gehemmt werden  kann – und die zugleich das Ottawa-Abkommen nicht verletzten. 

So hätten Polens Streitkräfte gerne eine Million Stück einer standardisierten „Nato-Anti-Invasionsmine“, wie der auf Sicherheitspolitik spezialisierte Journalist Björn Müller auf dem Fachblog „Pivot area“ jüngst berichtete. Bei der Entwicklung eines neuen Minenkonzeptes arbeitet die Nato auch mit einigen Partner-Ländern wie etwa Finnland zusammen. 

Das Land, das eine über 1.000 Kilometer lange Grenze zu Rußland hat, arbeitet intensiv an der Entwicklung neuer Minen. Anders als Deutschland hat Finnland, das ebenfalls das Ottawa-Abkommen unterzeichnet hat, die Minenkriegsführung nie aufgegeben. 

Längst tüfteln Entwickler nicht nur an nach wie vor erlaubten Panzerminen, sondern auch an neuen Anti-Personenminen, die das Ottawa-Abkommen durch Fernzündung unterlaufen sollen. Die Idee dahinter: Der im Boden verborgene Sprengsatz wird nicht ausgelöst, wenn ein feindlicher Soldat – oder eben ein Zivilist – darauftritt, sondern erst wenn ein „Bediener“ die Explosion auslöst, nachdem er sich davon überzeugt hat, daß keine Zivilisten in Gefahr sind. Bei der dafür notwendigen Fernüberwachung, wie auch beim Verlegen und Räumen von Minen, werden in Zukunft ferngesteuerte Drohnen eine wichtige Rolle spielen.

Die Bundeswehr hofft, bis 2025 über neuartige und „intelligente“ Minensysteme verfügen zu können. „Ein solches System ist aber auf dem Weltmarkt nicht verfügbar und müßte entwickelt werden“, zitiert der Sicherheitsexperte Müller einen Sprecher des Heeres.  Noch steht die Diskussion über die Beschaffung neuer Minensysteme für die Bundeswehr daher ganz am Anfang und findet bislang weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. 

Denn die Militärs und Verteidigungspolitiker wissen, wie sensibel und emotionsgeladen das Thema immer noch ist. Und noch ist nicht ausgemacht, daß die von den Experten entwickelten Minen der neuen Generation auch das halten, was sie versprechen: eine größtmögliche militärische Wirkung bei gleichzeitiger Minimierung ziviler Opfer.

Gut möglich, daß angesichts der veränderten Bedrohungslage in Europa neben den Minen auch ein weiteres defensives Instrument wieder an Bedeutung gewinnt: vorbereitete Sperranlagen. Bis zum Ende des Kalten Krieges waren auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik mehr als  5.000 Sperranlagen vorbereitet worden, die im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Warschauer Pakt im Zusammenspiel mit Minenfeldern den Vormarsch der feindlichen Truppen behindern sollten. Die Anlagen befanden sich an wichtigen Straßen und Eisenbahnstrecken sowie Brücken- und Wasserbauwerken. 

Knapp 1.000 Sperranlagen sind noch vorhanden  

Häufig bestanden diese Vorrichtungen aus senkrecht in den Boden eingelassenen und mit einem Gullideckel verschlossenen Schächten, die im Krisenfall mit vorbereiteten Sprengladungen bestückt werden sollten. Betreut und gewartet wurden diese Anlagen von Spezialisten der Bundeswehr, den Wallmeistern. Zur Tarnung führten diese ihre Arbeiten an den vorbereiteten Sperren immer in Zivil aus. Selbst der Hamburger Elbtunnel, die wichtigste Nord-Süd-Verbindung in Norddeutschland, war durch sogenannte Fallsperren für eine Sperrung vorbereitet. 

Noch im April 1989 wurden in sechs Metern Höhe über den damals drei Tunneleinfahrten jeweils sechs Meter lange und 107 Tonnen schwere Beton-Elemente mit massiven Stahlträgern verankert. Im Kriegsfall hätten Pioniere der Bundeswehr die Stahlträger gesprengt, und die Betonklötze wären hinabgestürzt und hätten die Fahrbahn durchschlagen und den Tunnel so unpassierbar gemacht, ohne ihn direkt zu beschädigen. 

Seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation wurden die meisten der vorbereiteten Sperren wieder zurückgebaut. Mittlerweile existieren nur noch knapp 1.000 dieser Vorrichtungen, die von den letzten verbliebenen Wallmeistern nach und nach abgewickelt werden. 

Doch es scheint nicht ausgeschlossen, daß es auch auf diesem Gebiet ähnlich wie bei den Minen wieder zu einem Umdenken kommt. Denn eines ist sicher: Es wird in Deutschland wieder intensiver über die Landesverteidigung nachgedacht.





UN-Minenaktionsdienst 

Der Minenaktionsdienst der Vereinten Nationen (UNMAS) wurde 1997 gegründet. UNMAS leitet, koordiniert und implementiert alle Aspekte, die mit der Eindämmung der Bedrohungen durch Minen und explosive Kampfmittelrückstände zusammenhängen. Einsatzgebiete sind Afghanistan, die Zentralafrikanische Republik, Kolumbien, Zypern, die Demokratische Republik Kongo, Irak, Libanon, Libyen, Mali, Palästina, Somalia, Sudan, Südsudan, Syrien und die Westsahara. Laut dem Leiter UNMAS im Irak, Pehr Lodhammar, ist der IS zur Zeit ein „böses Genie“, wenn es um Sprengfallen geht. „Ich habe noch nie eine derartige Komplexität erlebt, und eine solche Masse an unterschiedlichen Sprengsätzen wie in Mossul“, so Lodhammar gegenüber der Times. 27.000 Minen seien dort bislang gefunden worden. Laut des britischen Generalmajors Felix Gedney versteckt die Terrororganisation IS Sprengfallen in Milchdosen, Büchern und Möbeln.