© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Ratlos in die Sinnstiftung
Corporate-Happiness-Beauftragte: Kristian Gründlings Reklamefilm „Die stille Revolution“ zeigt den Wandel der Arbeitswelt in einer Hotelkette
Sebastian Hennig

In Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm „Der letzte Mann“ (1924) spielt Emil Jannings einen Portier. In prächtiger Uniform empfängt er die Gäste des Hotels. Als seine Kräfte nachlassen, wird er zum Wärter der Herrentoilette herabgewürdigt. Immerhin ist er im Betrieb alt geworden. Die durchschnittliche Verweildauer von Mitarbeitern in der Hotelbranche beträgt inzwischen nur noch anderthalb Jahre. Kristian Gründlings Dokumentarfilm „Die stille Revolution“ zeigt, wie ein norddeutscher Beherbergungsbetrieb seine Mitarbeiter dazu bringt, im Schnitt sogar sieben Jahre im Unternehmen zu bleiben. Zu sehen bekommen wir eine als Dokumentarfilm getarnte anderthalb Stunden lange Reklame für einen Hotelbetrieb mit angeschlossenem Selbsterfahrungsseminar.

Die Firma betreibt rund 70 Hotels und Ferienwohnanlagen entlang der deutschen Küste. Ihren Namen hat sie vom historischen Upstalsboom, der am Thingplatz der freien Friesen stand und so hieß, weil die Häuptlinge ihre Pferde daran „upstallten“. Das gleichnamige Unternehmen fungierte zunächst als Bauträger und Projektentwickler für Hotels und Ferienwohnungen und bewirtschaftete diese für die Eigentümer. Nach dem Unfalltod seines Vaters übernimmt Bodo Janssen mit 32 Jahren die Firma und beginnt sie selbstbewußt umzugestalten. Was um ihn herum vorgeht, bemißt er allein am Ertrag. Bis sein neuer Personalchef Bernd Gaukler ihm die Augen für verborgene Stimmungen unter den Mitarbeitern öffnet. 

Die Geschichte verschweigt, was Janssen 2016 in einem Interview mit dem Handelsblatt gestanden hat: Das enttäuschende Ergebnis einer ersten Mitarbeiterbefragung im Jahr 2006 landete zunächst in der Schublade. Obwohl die Umsätze zufriedenstellend waren, empfanden die Mitarbeiter ihre Situation als unbefriedigend. Auf die Frage: „Was brauchen Sie, um besser arbeiten zu können?“ kam die Antwort: „Einen anderen Chef als Bodo Janssen.“

Als sich das 2010 nicht gebessert hatte, suchte Janssen mit dem „Team Benedikt“ in Würzburg und dem Pater Anselm Grün den Anfang zu dem, was schließlich der „Upstalsboom-Weg“ wird.

Es wimmelt in dieser Geschichte von geschützten Warenzeichen und Markennamen und von deren Inhabern vorgetragenen griffigen Parolen. Während des ganzen Films dudelt eine sphärische Musik. Der Zweifel am wirtschaftlichen Tun wird nie wirklich vertieft, sondern fließt auf der Oberfläche des Problems in Umgestaltungsprojekte ein. Statt Probleme zu lösen werden sie vereinfacht.

Von der Putzfrau zur Empfangsdame

Der Businessmönch Grün mit dem weißen Bart aus der Abtei Münsterschwarzach am Main mahnt in seinem Bestseller „Versäume nicht dein Leben“ und kündet im Titel seines Monatsbriefs „Einfach leben“. Sein evangelischer Kollege auf dem spirituellen Selbstfindungsmarkt, Werner Tiki Küstenmacher, ist Autor des Buches „Simplify your life“ und Vermarkter der gleichnamigen Methode. Im Film zeichnet er routiniert mit dem Filzstift seine schlichten Botschaften mit Knollennasen und Kulleraugen auf das Papier. Zu Wort kommt Götz Werner, der in den neunziger Jahren seine Drogerie-Discounter nach dem Prinzip der „dialogischen Führung“ umgestaltete. 

Auch bei Upstalsboom sollen die Mitarbeiter jetzt mitreden. Die Lehrlinge werden liebevoll als „Upstalsboomke“ bezeichnet. Sie behaupten auf der Firmenseite, das Hotelwesen habe sie von klein auf fasziniert, jeden Tag wären sie begeistert von der Firma und dankbar, ein Teil von ihr zu sein. Da haben die „Corporate-Happiness-Beauftragten“ gute Arbeit geleistet. Die Parole lautet: „Wir wollen eine Arbeitswelt schaffen, in der jeder genau das tun kann, was ihm als Mensch wirklich wichtig ist.“ Eine Putzfrau darf sich zur Empfangsdame qualifizieren. Zehn Prozent der Mitarbeiter hat die Selbstfindung allerdings zur Kündigung motiviert. Es wird in eine neue Elite investiert. Mit einer Gruppe von Lehrlingen, den „Kili Rockstars“, besteigt der Chef im Januar 2016 den Kilimandscharo. Vor laufender Kamera wird reichlich geheult.

Die grundsätzliche Ratlosigkeit gegenüber dem eigenen Leben verbindet die Angestellten mit ihren Gästen und macht sie empfänglich für die sinnstiftenden Angebote am Arbeitsplatz und Urlaubsort. Dem Hotel „meerSinn“ in Binz auf Rügen ist das Braugasthaus „Dolden Mädel“ und das Gesundheitszentrum „artepuri“ angeschlossen. Zimmermädchen begeistern die Gäste, dem Projekt „Der Norden tut Gutes“ für einen Schulneubau in Ruanda zu spenden. Alle macht ihr schlechtes Gewissen zu Komplizen.

 Wie die Ausbeutung von Wind-, Wasser- und Sonnenenergie ist diese „Stille Revolution“ ein letztes Aufgebot, für das alle Reserven aktiviert werden. Wer weiß, wie lange dieser Erfrischungseffekt anhält. Unterdessen kann man „Upstalsboomer auf Zeit“ werden, denn die Firma bietet jetzt auch Workshops an. Das Buch von Bodo Janssen ist dem Film schon vorangegangen. Unternehmen werden eingeladen, in ihrer labilen Belegschaft durch die Vorführung von „Die stille Revolution“ ein ähnliches Stockholm-Syndrom hervorzurufen.