© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Auf Hieb und Stich
Kriminalität: Gehäufte Attacken mit Messern sorgen für politische Diskussionen
Christian Schreiber

Am vergangenen Wochenende wurde in Großburgwedel bei Hannover eine 24jährige Frau auf offener Straße niedergestochen, tatverdächtig sind laut Polizei ein 14 und ein 17 Jahre alter Junge. In Bochum soll ein 16jähriger einen 15jährigen mit einem Messer schwer verletzt haben. Bei den Tätern soll es sich in beiden Fällen um Araber handeln. Sicherheitsbehörden äußern sich zunehmend alarmiert. 

Es vergeht kaum ein Tag, an dem in den Medien nicht solche Schlagzeilen auftauchen: Ein siebenjähriger Schüler, der auf eine Lehrerin einsticht, eine 15jährige, die von ihrem Freund erstochen wird, oder eine Messerstecherei rivalisierender Jugendlicher in Bonn.„Unser Eindruck ist, daß seit mehreren Monaten Fälle zunehmen, bei denen Jugendliche Messer einsetzen oder damit drohen“, erklärt Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Ständig würden neue Meldungen über gefährliche oder tödliche Messerangriffe bekannt. 

Bereits Ende Januar kam es an einem Wochenende innerhalb von nicht einmal 36 Stunden zu neun Übergriffen mit Stichwaffen. In Nordrhein-Westfalen kam es seit September 2017 bereits zu 572 Messerangriffen (JF 6/18). Das ergab eine Auswertung von Polizeiberichten durch die SPD-Landtagsfraktion, die eine gesonderte Aufnahme von Stichwaffenangriffen in die Kriminalstatistik fordert. Den Spitzenplatz mit 44 Messerattacken nehme Duisburg ein, gefolgt von Köln (39), Essen (34) und Bonn (33). Angriffe mit Stichwaffen seien „brutal gefährlich“ und hätten oft einen tödlichen Ausgang, sagte SPD-Fraktionsvize Thomas Kutschaty. „Man kann sie überall kaufen und fühlt sich vermeintlich sicherer damit.“ 

Wie überfordert die Politik mit dem neuen Phänomen ist, zeigt sich an der Aussage des Düsseldorfer Innenministers Herbert Reul (CDU): „Polizisten schützen wir dadurch, daß wir sie mit Schutzwesten ausstatten, dadurch daß wir sie vorbereiten in Schulungen auf solche Vorgehen, und Bürgerinnen und Bürger werden einfach sensibler sein müssen. Man muß nicht unbedingt Menschen nah an sich ranlassen.“ Auch Reul zeigt sich offen für eine gesonderte Aufführung von derartigen Angriffen in der Polizeistatistik. Die Täterherkunft soll dabei aber ausdrücklich keine Rolle spielen. Es gehe nicht darum, Vorurteile zu schüren, sondern um eine solide Aufklärung, teilte die SPD-Fraktion mit und verwies lapidar darauf, daß die Täterherkunft Eingang in die allgemeinen Polizeistatistiken finden würde. 

Machokultur des Herkunftslandes

Daß es aber einen Zusammenhang zwischen den gestiegenen Migrantenzahlen und den Messerattacken gibt, stellt selbst der SPD-nahe Kriminologe Christian Pfeiffer nicht in Abrede. Das sei jedoch vor allem „der sozialen Lage geschuldet, daß sie hier in unserem Land keine Verankerung haben“, sagte Pfeiffer. Beeinflußt durch die männlich dominierte „Machokultur“ aus dem Heimatland, würden Täter in der Konfliktlage keinen anderen Ausweg sehen, als Rache auszuleben und wütend zuzustechen. Dies werde sich bei besserer Integration aber ändern, ist Pfeiffer überzeugt. 

Bislang erfassen ohnehin nur einige Bundesländer in ihren jeweiligen Statistiken Messer als Tatmittel. In Hessen stieg die Zahl solcher Attacken seit 2014 jährlich an – von 926 auf zuletzt 1.194 Fälle. In Berlin gab es im vergangenen Jahr im Schnitt sieben Messerangriffe – pro Tag. Von 1.828 Tatverdächtigen waren 271 in der Bundeshauptstadt noch jugendlich, darunter 80 Kinder unter 14 Jahren.

Die Gewerkschaft der Polizei spricht von einer zunehmenden Verbreitung von Messern bei Heranwachsenden. „Die Jugendlichen übersehen dabei, daß sich aus dem Einsatz eines Messers in Sekundenbruchteilen eine lebensgefährliche Situation ergeben kann“, sagte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Arnold Plickert. „Nur wenn wir die Dimension dieses neuen, gefährlichen Trends genau kennen, sind wir in der Lage, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen.“

In Deutschland ist es laut Waffengesetz verboten, Springmesser, Fallmesser, Faustmesser oder Butterfly-Messer zu besitzen. Bei Einhandmessern oder Messern mit feststehender Klinge von mehr als zwölf Zentimetern Länge ist es verboten, sie zu führen. Das heißt: Sie dürfen nicht zugriffsbereit bei sich getragen werden. Ausnahme: „berechtigte Interessen“; darunter fallen vor allem berufliche Belange oder auch sportliche wie bei der Fischerei. In der Praxis, so erklären Experten, sei es allerdings kaum zu vermeiden, daß auch Minderjährige in den Besitz von Stichwaffen kommen können. 

In der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden diskutieren Politiker neuerdings gar über Waffenverbotszonen. In Sachsen hat man die rechtlichen Voraussetzungen dafür bereits geschaffen. Die Landesregierung beschloß schon im vergangenen Herbst eine neue Verordnung zum Waffengesetz, die solche Zonen an Kriminalitätsschwerpunkten vorsieht. Es geht um Bereiche, in denen gehäuft Straftaten unter Waffeneinsatz begangen werden, wie Raub, Körperverletzungen, Bedrohungen und Sexualdelikte. Für die Einhaltung ist die Polizei verantwortlich, und die GdP glaubt, daß es an vielen Orten schlichtweg an Personal fehle, um für einen wirksamen Schutz zu sorgen.