© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Tiefe Gräben
Handelspolitik: Zölle gehörten schon vor Trump zum transatlantischen Alltag
Albrecht Rothacher

Nach Kanada und Mexiko sollen nun auch die 28 EU-Länder von den US-Zöllen auf Stahl und Aluminium ausgenommen werden – vorerst. Eine Garantie dafür gibt es nicht. Der deutsche Handelsüberschuß mit den USA lag 2017 bei 64 Milliarden Dollar. Auch Italien (32 Milliarden) und Frankreich (15 Milliarden) verkauften mehr in die USA, als sie von dort bezogen (JF 12/18). Nur die Niederlande und Belgien sowie das deindustrialisierte Großbritannien waren von den großen EU-Ländern nach Donald Trumps Geschmack: Ihr Handelsdefizit mit den USA lag bei 24, 15 bzw. drei Milliarden Dollar.

Der US-Präsident macht für das transatlantische Handelsungleichgewicht lautstark „unfaire“ EU-Zölle verantwortlich. Hat Trump recht? Wie hoch sind die Zölle wirklich, und welche Produkte betreffen sie? Um welche Summen geht es? Diese Fragen beantwortet eine aktuelle Studie des österreichischen Ökonomen Gabriel Felbermayr, Leiter des Münchner Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft. Tatsache ist, daß Zölle – im Gegensatz zu Exportquoten – ein transparentes Importschutzinstrument sind, das Geld in die Staatskassen spült. Im Handel zwischen Industrieländern spielen Zölle aber kaum noch eine Rolle. Die gewichteten Durchschnittszölle betragen an den EU-Außengrenzen 5,2 Prozent, in den USA sind es 3,5 Prozent. Entwicklungsländer dürfen ihre Märkte mit Zöllen von im Schnitt 27,5 Prozent schützen.

Währungsschwankungen haben viel dramatischere Auswirkungen auf die Handelsströme. So fiel der Dollar im Juni 2008 vom Zehnjahresmittel von 1,22 auf 1,60 je Euro (minus 46 Prozent). Im Dezember 2016 stieg der Greenback dank des Währungsdumpings der EZB um 22 Prozent auf einen Kurs von 1,04 Dollar je Euro. Entsprechend verteuerten sich EU-Exporte anno 2008 in den USA, während sie sich im Jahr 2016 verbilligten.

Die meisten Niedrigzölle haben daher kaum Einfluß auf die Endverkaufspreise und die Importzahlen. Das gilt auch für die Importzölle für Pkws, die in der EU zehn und in den USA nur 2,5 Prozent betragen. Anders ist dies bei den hochbezollten Waren, die auf beiden Seiten des Atlantik die Bauern/Farmer und Lebensmittelindustrie schützen sollen. So betragen die US-Zölle für Tabak und Zigaretten 48,7 Prozent, für Zucker 35,7 Prozent, für Tierfutter 24,7 Prozent, für Babykost 20,9 Prozent und für Milchprodukte 20,3 Prozent. In der EU dagegen werden auf Rindfleisch 67,9 Prozent Zoll fällig, auf Schweinefleisch 26,6 Prozent, auf Hühnerfleisch 20,6 Prozent, auf Weintrauben 20,2 Prozent und auf Äpfel 17,2 Prozent. In vergangenen WTO-Handelsrunden wurde für hohe Agrarzölle mit niedrigeren Industriezöllen „bezahlt“, die Handelspartner also „fair“ entschädigt. Das ging solange gut, bis Inder, Brasilianer und Chinesen der WTO beitraten, sich nicht an das Welthandelsrecht hielten und die Welthandelsrunde von Doha seit mehr als einem Jahrzehnt blockieren. Entsprechend blühen jetzt bilaterale Freihandelsabkommen wie jene der EU mit Südkorea oder Kanada (Ceta).

Entscheidende nichttarifäre Handelshindernisse

Trump dagegen zog die umgekehrte Schlußfolgerung. Er will bilaterale „Deals“, die durch die Hebelmacht der USA durchgesetzt werden können. Das mag bei Großprojekten wie Pipelines, Kraftwerken, Flugzeugen, Fregatten und Panzern noch funktionieren. Nur spielen sich 95 Prozent des Handels unter jener politischen Wahrnehmungsschwelle ab. Schon jetzt läßt er durch die Blockade von Richterernennungen das WTO-Schiedsgerichtssystem lahmlegen.

Audi und Porsche haben keine US-Werke. Volkswagen baute in Chattanooga (Tennessee) 140.417 Pkws. Verkauft wurden 2017 US-weit aber 625.068 Autos aus dem globalen VW-Konzern – die meisten davon kamen aus Mexiko. General Motors fertigte nur 2,24 Millionen Fahrzeuge in den USA, verkaufte dort aber drei Millionen. Trump drohte dennoch lautstark BMW. Die Münchner bauten in Spartanburg (South Carolina) 371.000 Autos – auf dem US-Markt setzte BMW aber nur 354.110 Autos aus seinen weltweiten Fertigungsstellen ab.

Viel entscheidender als Zölle sind allerdings nichttariffäre Handelshindernisse, bei denen der bürokratischen Kreativität und Schikane keine Grenzen gesetzt sind: In den USA sind Überraschungseier verboten – ein Kind könnte es ja auf einen Biß verschlingen. Auch ungekochte Fleischwaren wie Wurst und Schinken stehen auf der schwarzen Liste, ebenso deutscher Hopfen: wegen angeblicher Pestizidrückstände. Für Käse gibt es enge Importquoten. Inneramerikanische Flugverbindungen dürfen nur von US-Airlines bedient werden.

„Buy American Acts“ der meisten Bundesstaaten verhindern, daß öffentliche Bauaufträge und Beschaffungen für die Eisenbahnen ins Ausland gehen. Die berühmten gelben Schulbusse müssen „Made in USA“ sein. Als das Pentagon einen 35-Milliarden-Auftrag für 179 Tankflugzeuge an die europäische EADS vergeben wollte, gab es einen Aufschrei der US-Rüstungslobby. Noch zu Obamas Zeiten ging der Auftrag an Boeing.

Doch auch die EU ist erfindungsreich. Bei hormonbehandeltem Rindfleisch, genetisch verändertem Mais und bei Geflügel, das durch ein Chlorbad von seinen Federn befreit wurde, gäbe es keine wissenschaftliche Studien, die ihre Gesundheitsschädlichkeit beweisen. Die EU blockiert daher trotz verlorener WTO-Schiedsverfahren weiter alle Importe. Die Begründung: Das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität der Lebensmittel müsse erhalten bleiben.

Trumps Protektionismus bringt der angeschlagenen US-Industrie und ihrer schlechten Produktivität bestenfalls eine kurze Atempause. Als die Amerikaner 2017 aus der Transpazifischen Handelspartnerschaft (TPP) ausstiegen, schufen die Japaner ein Anschlußabkommen – ohne China und den USA.

Für ein Überleben des Freihandels ist daher, wie es die Brüsseler Geopolitik­expertin Shada Islam formuliert, europäische Weltführerschaft gefragt. Von den Zollunionen mit Norwegen, der Schweiz und der Türkei ausgehend, gelte es, die EU-Handelsabkommen mit Südkorea, Kanada, Mexiko, Mercosur (Südamerika), Japan, Vietnam und Singapur umzusetzen und mit weiteren Partnern auszuweiten: eine marktwirtschaftliche Welt, die ohne die Mißbräuche Chinas und die Willkür Amerikas auskommt.

„Zölle im transatlantischen Handel: Worauf, wie viel und wie gerecht?“ (Ifo Schnelldienst 6/18): cesifo-group.de

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