© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Mit Rechten zu reden war auch im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts kurzfristig in Mode. Damals erhielt ich eine Einladung der Evangelischen Akademie in Neudietendorf zu einem Wochenendseminar. Allerdings war es bis zum Beginn der Veranstaltung nicht möglich, Informationen über die Zusammensetzung des Podiums zu erhalten. Erst vor Ort offenbarte man mir, daß es eine gewisse linke Übermacht – im Verhältnis sieben zu eins – geben werde. Auf meine höfliche Frage, ob das nicht unfair sei, gab die Verantwortliche mit freundlichem Lächeln zurück: „Aber nein, das ist normal. Wir sind in der Kirche alle links.“

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Von „1948“ wird in diesem jubiläumsreichen Jahr kaum die Rede sein. Aber es lohnt doch, einen Blick auf die damaligen Geschehnisse zu werfen. Da wäre zum einen die UN-Menschenrechtsdeklaration, in der fixiert wurde, nach welchen Normen sich die entstehende Weltgemeinschaft formieren sollte. Ein paar kleine Schönheitsfehler irritierten angesichts des hehren Zieles kaum: etwa die Unmöglichkeit, eine allgemein akzeptierte Begründung der Geltung von Menschenrechten zu finden, oder die Unterzeichnung der Erklärung durch einen notorischen Sklavenhalterstaat wie Saudi-Arabien oder ein Terrorsystem wie die Sowjet-union. Die Atmosphäre war geprägt von einem Optimismus, der zu der Vermutung führte, daß die Nachzügler des Fortschritts irgendwann schon aufschließen würden. Eine ähnliche Annahme lag auch dem Nationality Act zugrunde, der 1948 für Großbritannien verabschiedet wurde und über Nacht die Einwohner des ehemaligen Empire und aktuellen Commonwealth – immerhin 500 bis 600 Millionen Menschen, etwa ein Viertel der Erdbevölkerung – zu Staatsbürgern machte. Dahinter stand auch das Kalkül, das vom Krieg ausgeblutete Land mit Hilfe billiger Arbeitskräfte wieder aufzubauen, aber niemand rechnete damit, daß sich die Zahl der Einwanderer von 3.000 pro Jahr (1953) auf 46.800 (1956) und schließlich auf 136.400 (1961) erhöhen werde. Durch gesetzliche Maßnahmen versuchte man Anfang der sechziger wie Anfang der siebziger Jahre noch einmal den Damm zu schließen, den man mutwillig durchstoßen hatte. Ein vergebliches Unterfangen, wie man heute weiß. Bleibt also nur die neuerliche Bestätigung der alten Einsicht, daß der Weg in die Hölle stets mit guten Absichten gepflastert ist.

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Alan Posener hat in der Welt einen Artikel veröffentlicht, in dem er behauptet, daß ’68 eine „jüdische Erfindung“ war. Kaum auszumalen, wie P. reagiert hätte, wenn diese These von jemand anderem an anderer Stelle aufgestellt worden wäre.

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Der Protest des Bundes der katholischen Jugend gegen die Teilnahme der AfD an Debatten auf dem Katholikentag, der vom 9. bis 13. Mai in Münster stattfindet, wird damit begründet, daß die Partei kein „christliches Menschenbild“ habe. Dieses Wieselwort taucht immer dann auf, wenn man im Umfeld der Union oder jener Lobbygruppen, die heute die Gremien der Kirchen beherrschen, mit gutem Gewissen gegen unliebsame Konkurrenz vorgehen möchte, die aus irgendeinem Grund auch Wert auf das „C“ legt. Selbstverständlich handelt es sich bei dem Rekurs auf das „christliche Menschenbild“ nicht um irgendwelche theologisch fundierten Aussagen, sondern um eine Art religiösen Abklatsch der Regenbogenideologie. Aber nehmen wir den Begriff einmal zum Nennwert. Dann bliebe es eben nicht dabei, daß der Mensch Gottes Geschöpf und Ebenbild ist, sondern man müßte auch begreifen, daß ihn die Schrift als Sünder betrachtet, dessen „Dichten und Trachten … böse von Jugend auf“ (1. Mose 8.21) bleibt, weshalb der Zwang und sogar die Todesstrafe zu den Machtmitteln des Staates gehören – „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden“ (1. Mose 9.6) – und von Gleichheit keine Rede sein kann. Schon die Beziehung von Mann und Frau ist eine der Über- und Unterordnung, und ganz besonders wirkungsvoll war die Entscheidung des Herrn, von den drei Söhnen Noahs nur Sem mit seinen Nachkommen zu segnen. Japhet samt seinen Kindern wird wenigstens erlaubt, bei seinem Bruder Zuflucht zu suchen. Aber Ham und sein Samen werden verflucht sein. Ham sieht sich herabgesetzt zum „Sklaven der Sklaven“ (1. Mose 9.25) Sems. Die älteren Rassentheorien leiteten ihre Systeme regelmäßig von dieser Vorstellung ab. Aber wichtiger als das ist noch die Tatsache, daß aus der Teilung des Menschengeschlechts, das durch das Scheitern des babylonischen Turmbaus zustande kam, weiland gefolgert wurde, daß eine Aufhebung der Zerstreuung Gott selbst vorbehalten sei. Wer behaupte, daß er die Menschheit in den Stand paradiesischer Unschuld zurückversetzen und deren Einheit – wie bunt auch immer – wiederherstellen könne, stehe im Dienste des Bösen und sei ein Verwirrer, ein Durcheinanderwerfer, griechisch „diabolos“. 


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 6. April in der JF-Ausgabe 16/18.