© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Dialog auf Augenhöhe
Ausstellung in Hamburg: Der expressionistische Maler Karl Schmidt-Rottluff und seine Begeisterung für außereuropäische Kunst
Felix Dirsch

Karl Schmidt-Rottluff wurde als Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ bekannt. Sie bildete sich 1905 und steht weithin für den Entwurf einer expressionistischen Bildersprache. Schmidt-Rottluff gehörte neben Erich Heckel, Fritz Bleyl und Ernst Ludwig Kirchner als jüngstes Mitglied dieser Vereinigung an, die sich nach einigen Jahren aufgrund von internen Streitigkeiten auflöste. 

Zum Neuaufbruch im frühen 20. Jahrhundert zählt auch das Interesse an außereuropäischer Kunst. Viele Künstler hielten diese Artefakte für authentischer, reiner und ausdruckskräftiger als diejenigen, die in Kunstakademien hierzulande zu sehen waren. Bereits um 1910 sammelte Schmidt-Rottluff, der im Dresdner Völkerkundemuseum einige Werke aus Südseeregionen vorfand, die ersten Plastiken, Masken und weitere Stücke aus ferneren Gegenden. Später erwarb er viele Gegenstände, deren Erscheinungsbild ihm exotisch und faszinierend anmutete: Vasen, Dosen, Muscheln, Kerzenständer, Steine, Äxte, Pflanzen und vieles mehr. Dies regte ihn wiederum zu eigener Kunstproduktion an. 

Schmidt-Rottluff fertigte früh Ölgemälde und Aquarelle von solchen Exponaten an. Deren Qualität blieb nicht verborgen. 1920 stellte die Kestner-Gesellschaft in Hannover Bilder des rasch an Bekanntheit gewinnenden Künstlers aus.

Das Bucerius Kunst Forum kann also an eine längere Traditionslinie anknüpfen, wenn es darum geht, die Attraktion expressiver und fremder Werke herauszustellen. Im Erdgeschoß der Ausstellung sind hauptsächlich Ölgemälde, Aquarelle und Zeichnungen Schmidt-Rottluffs zu sehen. Im oberen Stockwerk kann der Besucher dessen Sammlung exotischer Objekte bewundern.

Magie ist freilich nicht immer identisch mit Exotischem. Die beeindruckenden Landschaftsgemälde Schmidt-Rottluffs, vornehmlich nach Vorbildern in der Region Hinterpommern wie etwa das Bild „Das letzte Fuder“ (1922), führen nicht selten den Reiz des einfachen Lebens vor Augen. Zeitweise rückt Schmidt-Rottluff auch in die Nähe der Neuen Sachlichkeit. Deren Repräsentanten bemühten sich wiederum um ein objektiveres Bild der Wirklichkeit. Diese Phase, die in den 1920er Jahren im Œuvre von Schmidt-Rottluff bedeutsam wird, zeigt die Rückkehr des Künstlers zu realistischen, ja sogar zu metaphysischen Bildinhalten.

Das Fremde vor dem Hintergrund des Eigenen

Zentral für die Ausstellung sind aber seine Werke, in denen er sich mit außereuropäischer Kunst auseinandersetzt. Herausragende Bedeutung gewannen für Schmidt-Rottluff Artefakte aus Afrika und Ozeanien. Formalästhetische Aspekte wie markante Gesichts- und Körperkonturen stellte er eindringlich heraus. Man betrachte lediglich das Gemälde „Zwei sitzende Akte mit Negerplastik“, das 1913 entstanden ist.

Schmidt-Rottluff informierte sich aber auch über die sozial-stammeskulturelle Funktion jener Geister, die mittels Masken vergegenwärtigt sind. Die Relevanz solcher Rituale ist nicht als gering einzustufen, sind doch intergenerationelle Verpflichtungen in Großfamilienverbänden noch wichtiger als in modernen Gesellschaften, die die Möglichkeit kennen, daß übergeordnete Einrichtungen unterstützend eingreifen. 

Die Nationalsozialisten belegten Schmidt-Rottluff mit einem Berufsverbot. Wie sehr diese Ausgrenzung sein Schaffen beeinflußte, zeigt das „Stillleben mit Skulptur ‘Panischer Schrecken’“. Der Mund der Maske scheint einen Schrei auszustoßen. Die düstere Stimmung ist beinahe mit Händen zu greifen.

Ab 1947 konnte  Schmidt-Rottluff  als Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin wirken. Auch in dieser neuen Lebensphase beschäftigte er sich mit außereuropäischer Kunstproduktion. Mehr und mehr betrieb er die Anverwandlung des Fremden in seinem Werk. Besonders auffallend ist das Motiv der „schwarzen Maske“, das in dieser Periode mehrmals auftaucht.

Weltkunst ist auch im Zeitalter vielfältiger globaler Vernetzung keineswegs selbstverständlich, wenn es darum geht, das Fremde adäquat vor dem Hintergrund des Eigenen einzuordnen. Erst recht gilt dies für frühere Perioden. Schmidt-Rottluff hat nicht unwesentliche Vorarbeiten für einen künstlerischen Dialog auf Augenhöhe geleistet. Seine Begeisterung für das Expressiv-Magische schloß den damals noch typischen Blick von oben herab auf das vermeintlich Primitive aus. Die Hamburger Ausstellung stellt diese Verdienste mit Recht groß heraus.

Die Ausstellung ist bis zum 21. Mai im Hamburger Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, täglich von 11 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Tel.: 040 / 36 09 96-0

 www.buceriuskunstforum.de