© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

In Asien entscheidet sich die Zukunft
Nur wenige umweltpolitische Lichtblicke erlauben optimistische Prognosen / Globaler Rohstoffhunger schafft grüne und schwarze Wüsten
Dirk Glaser

Wie viele asiatische Volkswirtschaften glänzt Indien seit 25 Jahren mit Wachstumsraten von fünf bis zehn Prozent. Manche glauben, daß der multikulturelle Vielvölkerstaat bei der Wirtschaftsdynamik den mächtigen Nachbarn China einholt. Skeptiker zweifeln die Statistiken aus Neu-Dehli an. Und: Das indische Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2017 laut Weltwährungsfonds mit 1.852 Dollar nur knapp vor dem der Republik Kongo. Vietnam kam auf 2.306 Dollar, China auf 8.583 Dollar, Malaysia auf 9.659 Dollar, das sanktionierte und ölpreisabhängige Rußland auf 10.248 Dollar. Vom japanischen (38.550) oder deutschen Niveau (44.184 Dollar) sind alle asiatischen Tiger meilenweit entfernt.

Bei der Naturzerstörung habe der indische Subkontinent, wie der Umweltjournalist Markus Wanzeck schreibt, allerdings schon dicht zu China aufgeschlossen (Natur, 2/18). Ein vernichtendes Urteil, für das sein Report über „die größte Demokratie der Welt“, die umweltpolitisch als die „größte Anarchie der Welt“ gelte, jede Menge Gründe liefert.

Ökologischer Kollaps droht

Allen voran die „Klassiker“, mit denen Indien in der Rangliste ökologischer Negativrekorde von jeher Spitzenplätze belegt: die Verschmutzung des Ganges, der mit seinen 2.500 Kilometern die „längste Kloake der Welt“ ist, sowie „die Luft des Landes – die gesundheitsschädlichste der Welt“. Aktuellen Studien zufolge sei „ausnahmslos jeder“ der 1,3 Milliarden Inder einer Feinstaubbelastung ausgesetzt, die WHO-Grenzwerte klar übertreffe. Jährlich sterben, so zitiert Wanzeck aus dem Medizinjournal The Lancet, 1,8 Millionen Inder vorzeitig an der Luftverschmutzung. Der deutsche „Diesel­skandal“ schrumpft aus dieser Perspektive zum marginalen Luxusproblem.

Die meisten Inder leiden unter Schwefel und Stickoxiden, die Wasserverschmutzung ist längst nicht mehr auf die Ganges-Regionen beschränkt. Die Gewässer seien in einem so „erbärmlichen Zustand“, daß jährlich 640.000 Inder sterben, weil sie verunreinigtes Wasser trinken. Aber nicht allein deswegen erlebe Indien derzeit eine „Mega-Wasserkrise“. Die sich chaotisch vollziehende Urbanisierung treibe den Pro-Kopf-Wasserverbrauch nach oben und den Grundwasserspiegel nach unten. Wachsende Metropolen wie Bombay (Mumbai) saugen das Wasser regelrecht aus ihrer ländlichen Nachbarschaft. Unter dem Einfluß des Klimawandels entstünden hier künftig ausgedehnte Dürrezonen.

Obwohl Wanzeck nicht verschweigt, wie die politisch Verantwortlichen unter dem Druck dieses Ökodesasters versuchen, das Ruder Richtung Energiewende herumzureißen, um bis 2030 vierzig Prozent des Stroms aus nichtfossilen Quellen zu gewinnen, bleibt der Tenor pessimistisch. Wenn die Zukunft der Menschheit sich in Asien entscheidet, wie von Ökonomen und Ökologen gern prognostiziert, dann sieht sie gemessen am Exempel Indien extrem düster aus.

Ausgerechnet die linksgrüne Redaktion der Münchener Zeitschrift Politische Ökologie tut Warnungen vor einem ökologischen Kollaps als Klischee ab und hält mit einem 145seitigen Themenheft (151/17, mitherausgegeben vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor) optimistisch dagegen. Geschickt wird dabei die Aufmerksamkeit von den „Bevölkerungsriesen Indien und China“ auf eine Auswahl aus den anderen 45 Staaten Asiens gelenkt. Doch diese eingangs avisierten „vielen weiteren Geschichten aus Asien“, die zeigen sollen, wie unterschiedlich die Konkurrenz von Ökonomie und Ökologie gehandhabt werde, hellen das Bild nicht wesentlich auf.

In diese enttäuschende Bilanz geht nicht einmal ein Beitrag wie der von Kira Vinke ein, der den apokalyptischen Sound bevorzugt, den virtuos darbieten zu können am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo sie PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber als Referentin dient, offenbar eine Einstellungsvoraussetzung ist. Vinkes Märchenstunde über den an der „Frontlinie der zu erwartenden Klimawandelfolgen“ stehenden Kontinent bietet daher wenig Fakten.

Ein „wohlhabendes Vietnam in Frieden und Fairneß“

Die Tochter des ARD-Korrespondenten Hermann Vinke, die mit ihm in dem Sammelband „Zivilcourage 2.0“ (Ravensburger Verlag 2015) Menschen vorstellte, „die mit Mut und Ausdauer gegen Armut, Ausbeutung und Umweltzerstörung vorgehen“, raunt stattdessen von „Bauern und Bäuerinnen“, die von „unvorhersehbaren Niederschlagsmustern berichten“, von Fischern, die von Tropenstürmen erzählen, wie sie ihre Vorfahren „nie erlebt hätten“. Der Klimawandel werde zudem die Gesundheitsrisiken für „verletzliche Bevölkerungsgruppen“ erhöhen, da sich „bei Regenfällen Wasseransammlungen bilden, in denen Moskitos brüten“.

Gut zu wissen, daß China eine Quote für Elektroautos einführt. Daß die beiden asiatischen Giganten in der Praxis keineswegs Angela Merkels Energiewende nacheifern wollen, sondern weiter auf Kohle und Atom setzen, daß China – von Indien zu schweigen – bis 2050 im Umweltschutz nicht einmal da stehen werde, wo Japan heute steht, wie Urs Schoettli, der langjährige Asienkorrespondent der NZZ anmerkt, „vergißt“ Vinke zu erwähnen.

Schade nur, daß auch die meisten weitaus solideren Beiträge nicht die versprochenen positiven Ausblicke eröffnen. So malt Jan Felgentreu Schwarz in Schwarz, wenn er ausführt, wie die Deutschland durch eine „Rohstoff-Partnerschaft“ verbundene Mongolei durch Bergbau Kultur und Natur gleichermaßen zerstört. Trotz Wirtschaftswachstum komme die Mongolei „nicht voran“, weil die „gnadenlose Rohstoffausbeute“ vom neoliberalen Manchesterkapitalismus organisiert werde, von dem nur eine winzige Oberschicht profitiere und für den Naturschutz ein Renditekiller ist. So würden die Bergbauregionen bald denen südlich der Grenze gleichen, wo China in der Inneren Mongolei die Kohle abgebaut habe und es aussehe wie auf dem Mond.

Wachsende „grüne Wüsten“ mit Ölpalm-Monokulturen beobachtet der Forstwissenschaftler Oliver Pye (Bonn) in Südostasien. Trotz doppelter Bedrohung durch Klimawandel und Artensterben hielten die aus regionalen Eliten und internationalen Konzernherren gebildeten Machtkartelle, die eine soeben erschienene Studie der in Kuala Lumpur lehrenden Politologin Helena Varkkey („The Haze Problem in Southeast Asia: Palm Oil and Patronage“, 2018) erstmals bis in die Details von Nepotismus und Korruption durchleuchtet, stur an der Expansion des Plantagenmodells fest.

Die Natur hat in Indonesien und Malaysia offenbar noch nicht derart schmerzhaft zurückgeschlagen wie in Indien oder China. In Vietnam hat der Ökonom Michael von Hauff (TU Kaiserslautern) eine vielversprechende asiatische Alternative zum rezipierten westlichen Wachstumsmodell entdeckt. Das kommunistische Land verfolge, als Reaktion auf Feinstaubrekorde, Wasserverschmutzung und Artentod, seit kurzem eine der „ambitioniertesten Strategien grünen Wachstums im asiatischen Raum“. Allerdings lasse sich ein konkreter Handlungsplan, den man insbesondere mit deutschen Experten realisieren wolle, noch nicht erkennen. Aber man sei bemüht, bis 2030 ein „wohlhabendes Vietnam in Frieden und Fairneß“ aufzubauen.

Themenheft „Asien – Zwischen wirtschaftlichem Aufstieg und ökologischem Kollaps“ (Politische Ökologie 151/17):  oekom.de/

„Die größte Anarchie der Welt“ in Natur 2/18:  wissenschaft.de/