© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Ringen um die Subkulturen
Ultras: Fußball-Fangruppen orientieren sich zunehmend nach links
Christian Schreiber

Es sind laut Expertenmeinung überwiegend junge Männer im Alter zwischen 14 und 26 Jahren. Viele von ihnen seien gebildet: Abiturienten, Studenten, Akademiker. Sie fordern die Mächtigen im deutschen Fußball heraus: Ultras. Seit den neunziger Jahren ist der Einfluß jener Strömung, die Jahrzehnte zuvor in Italien entstand, auf die deutsche Fankultur stetig gewachsen. Sie lösten damit die Hooligans ab, die ihre Vorbilder in England fanden und durch ausgeprägte Gewaltaffinität und teilweise auch durch personelle Überschneidungen mit der rechtsextremen Szene auffielen. 

Solidarität durch Medien und Fanbetreuer

Die heutige Ultra-Generation ist dagegen zunehmend linksorientiert und findet entsprechend großes Verständnis bei einer Heerschar von Sozialarbeitern, die sich im Umfeld der Fanprojekte tummeln. Ging es den „Hools“ der Neunziger um ein Kräftemessen mit Gleichgesinnten, um einen Schlagabtausch in der „dritten Halbzeit“, so wollen die Ultras Macht und Mitsprache im Verein. In Köln sollen sich die Gruppen rechtsfreie Räume geschaffen haben und teilweise Eintrittskarten kontrollieren, um bestimmen zu können, wer in ihren Block kommt. 

„Die Ultras werden von vielen bewundert oder wenigstens als cool empfunden – wegen ihrer sozialen Aktionen, wegen ihrer Choreographien, wegen ihrer Wehrhaftigkeit gegenüber gegnerischen Fangruppen und ihrer kritischen Haltung gegenüber der immer stärkeren Kommerzialisierung des Fußballs“, schreibt die Frankfurter Allgemeine über die Zustände bei Eintracht Frankfurt. Gelegentliche Gewaltdelikte (gerade gegenüber der Polizei und Ordnungskräften) wurden toleriert, akzeptiert und gar gedeckt. 

Ein Fall, der für Schlagzeilen sorgte, spielte sich vor rund einem Jahr im Potsdamer Stadtteil Babelsberg ab. Beim Regionalligaspiel Babelsberg 03 gegen Energie Cottbus zündeten beide Fanlager Pyrotechnik, Anhänger stürmten den Platz. Einige Fans aus der Lausitz sollen den Hitlergruß gezeigt haben. Beide Vereine werden im Anschluß zu Geldstrafen verurteilt, die mutmaßlichen rechtsextremen Handlungen aber nicht sanktioniert. Dagegen wehren sich die Babelsberger und machen ein riesiges Politikum daraus. Die Ausschreitungen ihrer Ultras werden als „Kampf gegen Rechts“ dargestellt: „Wir lassen uns nicht verbieten, sich gegen Nazis zu wehren“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung des Vereins. Der Streit ist bis zum heutigen Tage nicht geklärt. Die stramm linken Babelsberger weigern sich, die Geldstrafe zu zahlen und erfahren bundesweite Solidarität – unter anderem von Fans von  Borussia Dortmund, Werder Bremen und Bayern München. Dortmunder Anhänger des Erstligisten, der früher für seine als rechtsradikal geltende „Borussenfront“ gefürchtet war, zeigten vor gut einem Monat im Westfalenstadion ein Transparent mit der Aufschrift „Fuck NOFV! Nazis raus aus den Stadien“. In München wurden ähnliche Plakate hochgehalten. Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) hatte die Geldstrafe gegen Babelsberg ausgesprochen. 

„Es gibt in Deutschland mehr antirassistische Gruppen als rechtsoffene Gruppen“, sagte der Politikwissenschaftler Jonas Gabler, der mit anderen Wissenschaftlern auch Vereine und Verbände in Fan-Angelegenheiten berät. Verbände und Ordnungsbehörden geraten in diesem Umfeld zunehmend unter Druck. In unteren Ligen gibt es Antifa-nahe, selbstbestimmte Vereine wie Roter Stern Leipzig, zu deren Fangruppen auch die vielsagende „RA!F“ aus dem berüchtigten Stadtteil Connewitz gehört. 

Antifaschistische Gruppierungen in Aachen und Dortmund lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei und rivalisierenden Fanclubs. Als sie diese als rechtsextrem bezeichneten, war ihnen eine große Solidarität sicher. „Übernehmen Nazis die Fußball-Kurven“, schrieb die Zeit unheilschwanger. 

Von einem „Kampf gegen Links“ im deutschen Fußball will derweil kaum jemand etwas wissen. Auch nicht als St.-Pauli-Fans bei einem Spiel gegen Dynamo Dresden im Februar 2017 ein Banner im Stadion entrollten, auf dem stand: „Schon eure Großeltern haben für Dresden gebrannt – Gegen den doitschen Opfermythos“. Der FC St. Pauli ist wenig überraschend federführend bei der Etablierung einer linken Jugendkultur im Lieblingssport der Deutschen. Der Hamburger Stadteilclub hat seine Basis seit jeher im Antifa-Milieu. Neuerdings gibt er eine „Richtlinie gegen Sexismus und Homophobie“ heraus. „Wir beim FC St. Pauli müssen uns bei den Themen Sexismus und Homophobie gerade im Spannungsfeld dieses besonderen, heterogenen Stadtteils und trotz klarer Regelungen in unserer Stadionordnung ständig hinterfragen und ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Abwertung von Menschen senden.“ Mit der Toleranz haben es die Hamburger aber nur, solange die Richtung stimmt. Seit Jahren gibt es Beschwerden von Fans anderer Vereine, man werde auf St. Pauli bespuckt, bepöbelt und beleidigt. Der Verein äußert sich dazu nicht. Denn im „Kampf gegen Rechts“ fühlt man sich auf der sicheren Seite.