© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Zu Schutz und Trutze
Weder Teufelszeug noch Patentrezept: Ob Zölle Nutzen oder Schaden stiften, hängt von vielen Faktoren ab
Michael Paulwitz

Sind Importzölle ein taugliches Mittel zur Förderung der heimischen Industrie und ihrer Arbeitsplätze? US-Präsident Donald Trump hat das Thema mit Strafzolldrohungen gegen globale Konkurrenten auf die handelspolitische Tagesordnung gesetzt. Damit betreibt er weit mehr als die Einlösung von Wahlversprechen gegenüber der vom Niedergang der Schwerindustrie gebeutelten US-Industriearbeiterschaft. Trump stellt das weithin akzeptierte Dogma in Frage, wonach Freihandel in jedem Fall und uneingeschränkt zu begrüßen sei, weil er den Wohlstand der Nationen mehre.

Im Idealfall des ungehinderten freien Wettbewerbs zwischen ebenbürtigen Akteuren trifft dies zweifellos zu. Exportstarke Nationen profitieren vom Freihandel; gerade die deutsche Volkswirtschaft als viertstärkste der Welt nach den USA, China und Japan zieht aus dem internationalen Warenverkehr beträchtlichen Nutzen. Entsprechend einig sind sich Politiker, Unternehmer, Wirtschaftspresse und Ökonomen, wenn sie Trump als rückwärtsgewandten Zündler verdammen.

Echter Freihandel ist freilich eine bislang noch nicht realisierte Utopie, der sich die Weltwirtschaft auch seit dem Zweiten Weltkrieg unter den Zeichen von Zollhandelsabkommen (GATT) und Welthandelsorganisation (WTO) nur mehr oder weniger vollkommen angenähert hat. Zölle gehören zum internationalen Handel, seit es ihn gibt.

Sowohl die Europäische Union als auch die USA halten im beiderseitigen Handel an einem unübersichtlichen Geflecht unterschiedlicher, teils drastischer Zölle auf einzelne Produkte, Branchen oder Dienstleistungen fest. Hinzu kommen ausgeklügelte nichtfiskalische Handelshemmnisse: Europäischer Rohmilchkäse gilt in den USA als Biowaffe, das sprichwörtliche amerikanische „Chlorhühnchen“ hat es zum Fetisch im Streit um das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP geschafft. Die jeweils unterstellte Gefährlichkeit ist eher Glaubenssache als wissenschaftlich belegt.

Auch in anderer Hinsicht war es ein Akt des Realismus, daß US-Präsident Trump TTIP umgehend faktisch beerdigt hat. Zu unterschiedlich sind die Interessen der Akteure auch innerhalb eines einheitlichen Wirtschaftsraums, als daß sie sich ohne weiteres auf einen gemeinsamen zollpolitischen Nenner bringen ließen.

Schnell ist deutlich geworden, daß Trumps Importzölle auf Stahl und Aluminium kein Rundumschlag sind, sondern eine gezielte Stoßrichtung verfolgen: zum einen gegen den schärfsten weltpolitischen Konkurrenten China, zum anderen gegen die Abschottung des europäischen Automobilmarkts, der Importe aus den USA mit vielfach höheren Zöllen und Abgaben belegt als umgekehrt die Vereinigten Staaten Autoimporte aus der EU.

Daß französische und italienische Billigautobauer von den hohen EU-Zöllen stärker profitieren als deutsche Premiumhersteller, liegt auf der Hand. Auch im scheinbar homogenen Handelsraum EU sind starke und weniger leistungsfähige Volkswirtschaften zusammengeschlossen, die von Binnenmarkt und Freihandel höchst unterschiedlich profitieren. Deutsche Hochtechnologieanbieter müssen Schutzzölle in den Zielländern weit weniger fürchten als Massenhersteller, deren Produkte durch andere Konkurrenten leichter ersetzbar sind.

Für Schutzzölle werden viele Gründe angeführt. Sie können Abwehrmittel gegen aggressive Subventionen oder Dumping-Expansion eines Konkurrenten sein, oder sie können dazu dienen, als strategisch wichtig erachtete Schlüsselbranchen zu bewahren, um riskante Abhängigkeiten zu vermeiden. Beide Argumente bemüht Donald Trump in der Auseinandersetzung mit Peking.

Das ist auch ein Symptom einer globalen Wachablösung. China, dessen Volkswirtschaft gemessen an der Kaufkraftparität die amerikanische als weltgrößte bereits überholt hat, ringt mit den USA um die Vormachtstellung in der Welt. Ironischerweise gibt Chinas Staatschef Xi Jinping gegenüber den USA jetzt den Vorkämpfer des Freihandels zum eigenen Nutzen, während er den eigenen Wirtschaftsraum rigoros abschottet; kaum anders als die USA ihrerseits auf dem Zenit ihrer weltweiten Dominanz.

Wer freilich aus Brüssel mit dem Finger auf China zeigt, sollte zuerst auf den hochsubventionierten EU-Agrarmarkt sehen, der die unterentwickelten afrikanischen Volkswirtschaften mit Dumping-Agrarprodukten lähmt. Diese wären der klassische Fall für die Selbstverteidigung durch Schutzzölle, wie sie auch der Nationalökonom und Vorkämpfer der deutschen Zollunion Friedrich List guthieß: als befristete und wegen der höheren Binnenpreise auch mit Nachteilen behaftete Maßnahme, unter deren Schirm eine weniger entwickelte Volkswirtschaft zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit aufsteigen kann. Daß in Afrika dieser Weg überwiegend nicht gegangen wird, ist neben der Korrumpierung durch „Entwicklungshilfe“ auch eine Machtfrage.

Welche Auswirkungen die Trumpschen Schutzzölle haben werden, hängt von ihrer Intention ab: Verfolgen sie, ohne Einbettung in eine übergeordnete Strategie der Entwicklung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit, lediglich das kurzfristige Ziel, erschlaffte und überholte Branchen mit Protektionismus künstlich vor Wettbewerb und Innovationszwang abzuschirmen, werden sie bestehende Probleme nur verschärfen.

Diesen Irrweg hat auch die EU unter falscher Berufung auf List nur zu oft beschritten – die gescheiterte Schutzzollpolitik zugunsten der längst untergegangenen europäischen Photovoltaikhersteller ist ein markantes Beispiel. Auch der deutschen Wirtschaftspolitik täte daher statt oberflächlicher Glaubensbekenntnisse ein differenzierter Blick auf die handelspolitische EU-Gießkannenpolitik gut.