© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

„Europa sollte auf uns hören“
Islamisten enthaupteten 2015 einundzwanzig Kopten, die nicht bereit waren, Christus abzuschwören. Das Bekennervideo ging um die Welt. Der Schriftsteller Martin Mosebach setzt ihnen jetzt mit einem Buch ein Denkmal, das ohne Anba Damian nicht zustande gekommen wäre
Moritz Schwarz

Hochwürdiger Herr Bischof, hätten Sie jedem den Weg nach Ägypten geebnet?

Anba Damian: Nein, wenn es nur darum gegangen wäre, ein spektakuläres Thema auszuschlachten, um ein Buch zu verkaufen, dann ganz sicher nicht. 

Wieso hat Sie Martin Mosebachs Anliegen überzeugt?

Damian: Weil er ein Ehrenmann ist, feinsinnig, kultiviert, bescheiden und sehr höflich, der echtes Interesse an den 21 Märtyrern von Syrte hat, deren Opfergang ihn persönlich tief berührt.

Warum? 

Damian: Das müssen Sie ihn selbst fragen. Besonders erstaunlich finde ich jedenfalls, daß er sogar einen der Märtyrer als persönlichen Patron angenommen hat: Ein Intellektueller aus der Metropole Frankfurt am Main verehrt mit tiefem Ernst einen einfachen oberägyptischen Wanderarbeiter wegen dessen Glaubensstärke! Ist das nicht beeindruckend? Zumal die Oberägypter bei uns einen ähnlichen Ruf haben wie in Deutschland die Ostfriesen. Ich muß zugeben, sogar ich erzähle manchmal Witze über sie.

Huldigt Mosebach damit nicht einer Sehnsucht nach dem Obskuranten, nach der dunklen Seite der Religion – womit ihn Kritiker immer wieder identifizieren?

Damian: Im Gegenteil. Mosebach erweckt und erleuchtet uns, weil sein Buch unseren Blick auf Gott lenkt, weg vom Irdischen, das uns betäubt.

Heute wird das christliche Märtyrertum mitunter als Verirrung dargestellt. Trifft der Vorwurf des „Todeskultes“ nicht zu?

Damian: Nein, denn der Christ sucht den Tod nicht, er feiert das Leben als Geschenk Gottes. Der Märtyrer nimmt den Tod dennoch in Kauf, wenn er der Preis für die Wahrheit ist. Doch schauen wir nicht nur nach Ägypten, sondern zum Beispiel nach Frankreich, wo der Polizeioffizier Arnaud Beltrame jüngst sein Leben geopfert hat, um die Geisel eines Islamisten zu retten. War seine Bereitschaft, den Tod in Kauf zu nehmen, nicht wunderbar? Ist dieser Mensch nicht ein Held? Gibt er uns nicht Hoffnung und Mut? Der Christ ist wie er ein Offizier, doch nicht des Staates, sondern der Armee Gottes. Und Herr Mosebach hat sich nach Ägypten aufgemacht, um eben dieses Geheimnis zu ergründen, wobei er sich übrigens wahrlich als würdiger Botschafter des hochzivilisierten deutschen Volkes erwiesen hat. 

Jeder kann einen Flug nach Ägypten buchen. Weshalb war es so schwer, die Lebensverhältnisse der Opfer zu recherchieren?    

Damian: Sie kennen Oberäpypten nicht. Zunächst hatte ich den dortigen Metropoliten von Samalout mit viel Mühe davon zu überzeugen, Herrn Mosebach überhaupt zu empfangen. Dazu mußte ich ihm erst mal erklären, warum dessen Buch wichtig ist; hat der Metropolit doch selbst schon eines über die 21 Märtyrer geschrieben, das in Arabisch und Englisch erschienen ist. Schließlich gelang es mir aber, eine Audienz zu erwirken, in der Herr Mosebach dann offenbar so überzeugt hat, daß der Metropolit uns doch Kontakt zu den Familien der Opfer von Syrte vermittelt hat. 

Was genau ist dort überhaupt passiert?

Damian: Am 15. Februar 2015 veröffentlichte der libysche IS-Ableger Ansar Al-Scharia das Video „Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes“, das die mit Messern vorgenommene Enthauptung von 21 ägyptischen Gastarbeitern am Strand nahe der Stadt Syrte zeigt. Die Männer, koptische Christen, waren zuvor entführt und vierzig Tage lang gefangengehalten worden. Immer wieder sollten sie Christus leugnen und den Islam annehmen, was sie verweigerten. Dies – und sie wußten das genau – bedeutete ihr Todesurteil. 

Das unterscheidet sie also von anderen koptischen Christen, die zu Opfern islamistischer Attentate werden? 

Damian: Ja, ich erinnere etwa an das Weihnachtsmassaker 2009, an das Neujahrsmassaker 2011, an das El-Kosheh- oder das Maspero-Massaker, um nur einige zu nennen. Ebenso an die zahlreichen Angriffe auf koptische Klöster, Kirchen, Pilger, Bürger und Familien, sowie an die heimtückischen Bombenanschläge, wie etwa den auf unsere Hauptkirche Sankt Peter-und-Paul in Alexandria 2016 mit Dutzenden Toten. Die 21 dagegen starben nicht unfreiwillig, sondern akzeptierten den Tod, um Christus treu zu bleiben. 

Die Darstellung der Hinrichtung nimmt im Buch allerdings nur wenige Seiten ein und ist fast durchweg dezent geschildert.  

Damian: Herr Mosebach hat viel Feinfühligkeit bewiesen, und doch bleibt das Unerhörte in seiner Schilderung gegenwärtig. Für ihn ist dieses Martyrium eines der wichtigsten Ereignisse unserer Zeit. 

Warum denn das?

Damian: Hat Mosebach denn nicht recht, wenn er feststellt, daß wohl die allermeisten Europäer, trotz ihrer meist höheren Bildung und Bewußtseinslage für ethische Fragen, in dieser Situation Christus verleugnet hätten? Warum aber haben ausgerechnet diese einfachen Menschen das nicht getan? Warum hat nicht einer die Nerven verloren und der Angst nachgegeben? Und das, obwohl im Christentum eine erzwungene Annahme des Islam vor Gott keine Gültigkeit hat? Nein, lieber gingen sie – die meisten noch junge Männer, mancher hatte gar Frau und Kind – in den Tod. Warum?

Wie lautet die Antwort darauf?

Damian: Das Buch sucht sie in der Kultur, der Erziehung, den Familien der Kopten. Deshalb begleitete ich Herrn Mosebach nach El-Or, in das Dorf der Märtyrer, wo sie Haus an Haus gelebt hatten, bevor sie sich notgedrungen als Fremdarbeiter in Libyen verdingten.

Zu seiner großen Überraschung zeigten sich die Familien der Opfer allerdings nicht so gestimmt, wie wir Europäer das erwarten würden. Mosebach: „Ich betrat kein Trauerhaus. Beileids- und Mitleidsbekundungen waren fehl am Platz ... Die Verwandten blickten mit ruhigem Stolz auf die Getöteten ... Durch die Hinnahme eines grausamen Todes waren ihre Ehemänner, Söhne, Brüder wunderbar erhöht.“ 

Damian: Ja, denn diese einfachen Menschen wissen, was wir im Westen vergessen haben, daß nämlich nicht Wohlstand der größte Schatz des Menschen ist, sondern Christus nahe zu sein. 

Es ist also kein „finsteres“ Buch, wie man meinen könnte?

Damian: Ganz und gar nicht, denn das Buch handelt von der Überwindung des Todes und der Trauer. Die 21 sind belohnt mit dem ewigen Leben und tragen die Kronen, die wichtiger sind als alles hier auf Erden.  

Aber sind die Toten und ihre Angehörigen nicht einfach Opfer mangelnder Bildung und Aufklärung? Haben sie sich denn wirklich frei entschieden und nicht nur deshalb so gehandelt, weil sie sich nie aus der Unmündigkeit, in der sie ein traditioneller Glaube hält, befreien konnten?

Damian: Im Gegenteil, ihre angebliche „Primitivität“ hat sie zu etwas befähigt, wozu der sogenannte aufgeklärte Mensch nicht in der Lage ist, ja was er nicht einmal begreifen kann. Er ist es doch, der tatsächlich unfähig zur Entscheidung ist, weil ihm Zuversicht und Glaube fehlen und ihn Furcht und Zweifel regieren. Herr Mosebach hat das Buch nicht geschrieben, weil ihn der Weg der 21 erschreckt, sondern weil er ihn fasziniert hat. Sein Buch ist keine Warnung vor ihrem Beispiel, sondern eine Ermutigung durch dieses. Geschrieben auch, um dazu beizutragen, den durch Annehmlichkeiten, Sicherheit und Besitz erschlafften christlichen Glauben in Europa neu zu erwecken. Sollten die 21 tatsächlich „primitive“ Geister gewesen sein, dann bitte ich den Herrn freudig, auch mich mit dieser „Primitivität“ zu beschenken, damit ich mit ihm in der Ewigkeit sein kann! 

Am erstaunlichsten ist wohl der Umgang der Familien mit dem Hinrichtungsvideo, das sie sich bereitwillig noch einmal zusammen mit Mosebach angesehen haben, der berichtet: „Umgeben von Kindern mit laufender Nase, (unter) den Bildern der gekrönten Märtyrer, während eine Ziege ihren Kopf zur Tür hereinstreckte ...Das Video in voller Länge, ohne schonungsvolle Bearbeitung und Schnitte ... Nur Malaks Mutter lehnte ab (hinzublicken), während Vettern und Brüder augenscheinlich ungerührt zusahen und auf (ihre Angehörigen) zeigten, wenn sie sie erkannten.“ 

Damian: Ja, wir Kopten tragen ein tätowiertes Kreuz auf unserem Handgelenk, nahe der Pulsader, um zu zeigen, daß wir von der Wahrheit Christi ebenso untrennbar sind wie von unserem Leben. Und dennoch, ja, ich konnte nächtelang nicht schlafen, nachdem ich das Video gesehen hatte. Und tagelang habe ich geweint – geweint, bis ich nicht mehr konnte! Und die Bilder haben mich noch lange in jedem Augenblick verfolgt. Dennoch ist gewiß: Die Familien haben nun Märtyrer im Himmel!

Auffällig ist, daß Mosebach sich nicht mit der Täterseite auseinandersetzt.

Damian: Weil es ihm darum nicht geht.

Wer sind die Täter? Moslems? Islamisten? Terroristen? 

Damian: Vor allem sind die Täter Menschen, die Gott ebenfalls liebt, die er auch nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Erst die falschen Lehren haben aus ihnen Mörder gemacht. Deshalb müssen die islamischen Institutionen immer wieder ihre Predigten überprüfen, denn wenn die Menschen in den Moscheen von Gewalt hören, gehen sie danach auf die Kopten und andere los und denken, dies sei tugendhaft. 

Liegt die Quelle für die Gewalt im Islam oder mißbraucht sie den gegen sein Wesen?

Damian: Wer letzteres behauptet, zeigt daß er keine Ahnung von der Realität des Islam hat. Denn wäre es so, dann hätte der oberste Scheich Ägyptens den IS öffentlich kritisieren, ja verteufeln müssen, worauf wir bis heute warten. Der IS kommt nicht aus dem Nichts. Wenn Sie in die Geschichte der Kopten schauen, stellen Sie fest, daß er gar nichts Neues ist. Daß wir immer wieder unter solchen Strömungen im Islam zu leiden hatten und daß das Martyrium der 21 sich im Laufe der Jahrhunderte schon viele Male zugetragen hat und sich noch zuträgt: Gerade wurde in Ägypten wieder ein koptischer Pater am hellichten Tage, auf offener Straße regelrecht geschlachtet wie ein Huhn. Und was ich in Europa über die säuberliche Abtrennung des Islamismus vom Islam höre, ist weltfremd. Wir Kopten kennen die Realität, nämlich daß der Islam so lange wie ein Lamm wirkt, wie er in der Minderheit ist. Das aber ändert sich fundamental, sobald er die Mehrheit hat.   

Ägyptens Machthaber General as-Sisi bemüht sich um die Kopten. Er fördert sie und betont ihre Gleichberechtigung; auch hat er sich um die Angehörigen der 21 gekümmert. Was aber kommt nach ihm?

Damian: Das weiß ich nicht, die Zukunft der Kopten liegt in Gottes Hand. Was das Wohlwollen des Präsidenten angeht: dem stehen leider die tödlichen Attacken der Islamisten gegenüber, die zudem das Gerücht verbreiten, wir seien schuld am Sturz ihres Präsidenten Mohammed Mursi 2013 durch General as-Sisi, wodurch ihr Haß auf uns wächst. Dazu kommt eine teilweise Diskriminierung von allgemein islamischer Seite, wobei man zwischen Moslems und Islam unterscheiden muß: Moslems sind Menschen wie wir, manche sind gut, manche nicht. Doch mit vielen leben wir gut, wenn nicht gar brüderlich zusammen. Der Islam dagegen will Dominanz und verweigert uns Gleichberechtigung, obwohl wir Kopten doch die Ureinwohner Ägyptens sind, das Volk der Pharaonen, das einstmals, als Ägypten schon lange ein ganz und gar christliches Land war, die Araber friedlich ins Land gelassen hat. Und das seitdem – nach der langen blutigen Verfolgung durch die Römer – Zeiten des Friedens, aber auch erneuter grausamer Verfolgung durch den Islam erlebt hat, die im Lauf der Zeit etwa eine Million Kopten das Leben kostete. Europa sollte daran denken. 






Generalbischof Anba Damian, ist der Kopf der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland und damit hierzulande höchster Repräsentant des koptisch-orthodoxen Papstes Tawadros II. Geboren 1955 als Refaat Ramzi Mikhail Fahmi in Kairo, studierte er zunächst Medizin und arbeitete zehn Jahre als Arzt in einem Krankenhaus in Deutschland, bevor er 1991 seiner Berufung folgte, Mönch zu werden und 1995 die Weihe zum Generalbischof erhielt. Die ägyptische koptisch-orthodoxe Kirche gilt als eine der ältesten christlichen Kirchen überhaupt. Etwa fünf bis zehn Millionen – verläßliche Zahlen gibt es nicht – der 96 Millionen Ägypter sind christlich; das sind etwa zwei Drittel der Christen des Nahen Ostens. Auf dem Weltverfolgungsindex der internationalen christlichen Hilfsorganisation „Open Doors“ rangiert Ägypten – bei fünfzig Plätzen insgesamt – auf Platz 17, noch vor China oder Algerien. Beobachter nennen die Kopten, die „Ureinwohner“, als Nachfahren der antiken Ägypter, heute „fremd im eigenen Land“. „Open Doors“ bezeichnet die Christen in Nordafrika und im Orient als „Verlierer des Arabischen Frühlings“.

Foto: Martyrium der „21“ (koptische Darstellung): „Für Mosebach eines der wichtigsten Ereignisse unserer Zeit“

 

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