© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Der lange Arm des Herrn Erdogan
Türken-Rocker: Acht Männer müssen sich in Stuttgart wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten
Christian Schreiber

Seit der vergangenen Woche läuft in der baden-württembergischen Hauptstadt Stuttgart ein Prozeß, der bundesweite Aufmerksamkeit hervorruft. Dort stehen die mutmaßlichen Führer der türkisch-nationalistischen Streetgang Osmanen Germania BC vor Gericht. Die Anklage richtet sich gegen acht türkischstämmige Männer, von denen drei die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, darunter auch der vormalige „Weltpräsident“ Mehmet Bagci. Mit Gewalttaten sollen sie versucht haben, die innere Ordnung der Bande aufrechtzuerhalten. Ein Abtrünniger soll dabei fast zu Tode geprügelt worden sein. Dem ehemaligen Mitglied, das sich wohl geweigert hatte, gegen rivalisierende Kurden vorzugehen, sollen Zähne ausgeschlagen und in den Oberschenkel geschossen worden sein. Die Patrone sei ihm ohne Betäubung aus dem Bein geholt worden. Der Mann wurde laut Anklageschrift drei Tage gefesselt festgehalten, bis er fliehen konnte.

Enge Verbindungen nach Ankara

Den Beschuldigten werden unter anderem versuchter Mord, versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Zuhälterei, räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung sowie diverse Waffen- und Drogendelikte vorgeworfen. Der Prozeß könnte sich nach Expertenmeinung bis Anfang des kommenden Jahres hinziehen. Nach Einschätzung von Sicherheitsbehörden sind die Osmanen Germania weit mehr als eine gewöhnliche kriminelle Vereinigung. Den Rockern werden beste Kontakte bis in höchste politische Kreise der Türkei nachgesagt. Über die engen Verbindungen nach Ankara hatte kürzlich der Spiegel berichtet. Die Osmanen seien der „Schlägertrupp“ des türkischen Staates, zitierte das Magazin einen Sicherheitsbeamten. Bei einer Demonstration gegen die Armenien-Resolution des Bundestags im Juni 2016 in Berlin sollen Mitglieder der Rockergang auf Geheiß des AKP-Abgeordneten Metin Külünk an vorderster Front dabeigewesen sein. Dieser hatte sich zuvor mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan abgestimmt, der auch Parteivorsitzender der AKP ist. Hessische Verfassungsschützer, die Külünk aufgrund dessen Aktivitäten in der Bundesrepublik „auf dem Schirm hatten“, hatten ein Telefonat zwischen dem Staatschef und dem Parlamentarier abgehört. Eine besondere Nähe pflegen die Osmanen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes auch zur sogenannten Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD). Bei Gründung dieser Organisation habe die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) logistische Unterstützung geleistet. Die UETD vertritt nach eigenem Bekunden die Interessen türkischstämmiger Menschen in Europa und gilt als Auslandsorganisation der AKP. In Köln hatte sie im Juli 2016 eine Demonstration organisiert, an der 40.000 Erdogan-Anhänger teilgenommen hatten. Dabei seien laut Verfassungsschutz mehrere Osmanen als Leibwächter aufgetreten. Die „rockerähnliche Gruppierung mit türkisch-nationalistischen, im Internet teils rechtsextremistischen Positionen“ pflege Kontakte zum „Erdogan-Regime im weitesten Sinne“, erklärt ein Sprecher des NRW-Innenministeriums. 

Drei Führungspersonen der Osmanen sollen engen Kontakt zu einem ranghohen UETD-Funktionär gehabt haben, der zu den Vertrauten Erdogans zählt. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, habe der damalige Osmanen-Vizepräsident im Oktober 2016 zudem ein Bild mit Erdogan-Berater Ilnur Cevik in einem sozialen Netzwerk veröffentlicht. Der „Osmanen Germania Boxclub“, wie er offiziell heißt, wurde erst vor wenigen Jahren gegründet. Als Hochburgen der gut 400 Mitglieder gelten die Regionen Frankfurt, Stuttgart und Wuppertal. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) versucht derzeit offenbar, um die Arbeit der Sicherheitsbehörden nicht zu gefährden, keine Details an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen: „Ganz grundsätzlich ist zu sagen, daß Einmischungen durch die türkische Regierung in Baden-Württemberg nicht zu akzeptieren sind. Bezüglich aller notwendigen Maßnahmen stehen wir in einem engen Austausch mit dem Bund und anderen Bundesländern“, teilte er mit. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte allerdings bereits im vergangenen Jahr einen Bericht veröffentlicht, in dem er die „Kontakte zwischen den Führern der ‘Osmanen Germania’ und Vertretern der AKP sowie Beratern von Staatspräsident Erdogan“ aufgeführt hatte.

Neben den offenkundig schwerkriminellen Aktivitäten waren die Osmanen darüber hinaus auch in anderen Bereichen sehr geschäftstüchtig. Der Spiegel hatte in der vergangenen Woche enthüllt, daß Osmanen am Geschäft mit Flüchtlingen kräftig verdient haben. Im ersten Quartal 2016 etwa sollen laut Erkenntnissen hessischer Ermittler mindestens 50 Rocker acht Flüchtlingsheime im Landkreis Lörrach in Baden-Württemberg bewacht und dabei mehrere zehntausend Euro kassiert haben. Die Aufträge seien von einem Subunternehmer gekommen. 

Derzeit rätseln die Behörden über eine Neustrukturierung der Gruppe. Alle mutmaßlichen Anführer stehen in Stammheim vor Gericht. Die Osmanen seien aber nach wie vor aktiv, glaubt der Verfassungsschutz. Allerdings seien sie bemüht, künftig in autonomen Strukturen zu arbeiten.