© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Überstrahlt vom Glanz der Märtyrer
Gottesliebe und Bekennermut bis in den Tod: Wie die Kopten in Ägypten leben und standhalten
Jürgen Liminski

Sie gehörten zu den Ärmsten und gehören jetzt zu den Gekrönten: Die 20 koptischen Wanderarbeiter und ihr Arbeits- und Schicksalsgenosse aus Ghana, am libyschen Strand unweit von Sirte alle zugleich abgeschlachtet von den Mördern des IS vor laufender Videokamera. Nur zwei Wochen nach Bekanntwerden der Enthauptungen am 15. Februar 2015 fügte der in Alexandria residierende koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. die um ihres christlichen Glaubens willen Ermordeten der langen Liste der heiligen Märtyrer hinzu. Auch eine Geiselhaft von 43 Tagen, seelische und vermutlich auch körperliche Folter konnten ihren Taufbund nicht brechen. Ruhig, gefaßt, fest schritten sie dem sicheren Tod entgegen. Als die anonymen Mordbuben ihnen die Köpfe abschnitten, verloren sie das irdische Leben, aber nicht ihre Würde.

Die Option des Martyriums gehört zum koptischen Alltag

Nun wirken sie als Tote mehr denn als Lebende. Ihr Dorf El-Or in Oberägypten wird langsam zu einem Wallfahrtsort. Ihre Witwen, Söhne, Töchter und Eltern, alle sind stolz auf sie. Trauer findet man nicht in El-Or. Das mag für Europäer befremdlich erscheinen. Martin Mosebach, der ihre Geschichte aufgriff und im Februar und März 2017 ihre Heimat besuchte, beschreibt dieses Lebensgefühl der Hinterbliebenen meisterhaft (JF 12/18). Es ist ein Leben für den Tod, genauer: für den Himmel. Die Kopten leben im Karfreitag, in Erwartung des Ostersonntags. Leiden ist ihnen nahezu genetisch eingeschrieben. Und das seit Jahrhunderten.

Ihr Kreuzweg begann noch vor der Eroberung durch den Islam, schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums gab es Verfolgungen. Die Kirche von Alexandrien gehört zu den ältesten der Christenheit. Es war Petrus, der dem Evangelisten Markus den Auftrag erteilt hatte, das Evangelium nach Ägypten zu bringen. Die Saat ging auf, von Blut getränkt. Viele Kopten tragen ein kleines Kleeblattkreuz eintätowiert an der Daumenwurzel oder im Handgelenk. Auch jene Märtyrer trugen es.

Und manche trugen auch die Sehnsucht nach dem Martyrium im Herzen. Mosebach zitiert den Pfarrer aus El-Or, dem einer der 21, Malak, kurz vor dem Aufbruch nach Libyen gesagt haben soll, er wolle durch seinen Tod einmal Zeugnis für Christus ablegen. Auch die Witwe von Lukas, einem weiteren der 21, berichtet, ihr Mann habe nach einer Predigt über das Märtyrertum gesagt: „Ich bin bereit.“

Das mag zur Legendenbildung gehören, die Heilige überall auf der Welt umgibt. Aber die Szene spiegelt das Lebensgefühl der Kopten wider. Viele sind zu diesem letzten Zeugnis bereit, die Option des Martyriums gehört zum Leben, zum Alltag. „Sie können jede beliebige koptische Familie besuchen, und Sie werden überall die gleiche Einstellung zur Kirche, die gleiche Stärke des Glaubens und die gleiche Bereitschaft zum Martyrium finden“, entgegnete der koptische Metropolit in Samalout dem erstaunten Europäer Mosebach, der sich nach den Angehörigen der Toten erkundigte. „Dies hier ist keine westliche Kirche in einer westlichen Gesellschaft.“ Kein Kopte in Oberägypten würde den Glauben je verraten.

Gesuchtes Martyrium ist nicht christlich, aber ein um Christi willen erlittenes schon. Für die Kopten geht es dabei um eine persönliche Beziehung, weil für sie die Beziehung zu Gott allgemein eine persönliche Liebesbeziehung ist und sich daher wesentlich vom Islam und überhaupt allen Religionen unterscheidet. Es ist ein Leiden um der Liebe willen, ein Sterben um des Lebens willen.

„Sie sind nun über ihnen, knien auf den Körpern, greifen ihnen ins Haar, ziehen die Köpfe hinauf und setzen ihnen die Messer aus ihrem Brustlatz an die Kehle.“ So beschreibt Mosebach gerafft den Moment des Massakers, wie es das berühmt gewordene Video in einer grausig-ästhetischen Form in alle Welt überliefert hat. „Kein Schrei, nur ein Gewirr leiser Stimmen ist vernehmbar: ‘Jarap Jesoa! – Herr Jesus!’ – das Stoßgebet der Sterbenden.“ Keine Angst vor Schmerz und Tod erstickte ihre Stimmen! Wie groß müssen Glaube und Vertrauen sein, um so das Leben lassen zu können!

Das ist in unseren Breitengraden kaum noch vorstellbar. Mosebach berichtet, ein deutscher Bischof habe auf die Frage, warum die Christen in Deutschland dem Tod der 21 so wenig Beachtung schenkten, erstaunt geantwortet, das seien doch nur Kopten. Ist den Christen in Europa und solchen Hirten das Verständnis für die persönliche, hingebungsvolle Beziehung zu Christus verlorengegangen? Die Intellektualisierung des Glaubens kann den Menschen vom Glaubenskern, der Liebe, entfremden.

Die 21 waren einfache Menschen, aber mit Herzenstiefe. Sie führten, hat Mosebach erkundet, „das unbeachtete Leben armer Bauern“. Von ihnen sind nur wenige Sätze überliefert, ihr Leben war normal, fast träge wie der Lauf des Nils. Ihr Nachruf enthält keine großen Taten, bis auf die letzte, die Zeugnistat. „Manche von ihnen konnten lesen, schreiben wohl eher nicht, es gab in ihrem Leben dafür keine Notwendigkeit.“ Einer von ihnen, Kiryollos, war eine Zeitlang Soldat gewesen. Der 24jährige, unverheiratete Issam wiederum, der nicht aus El-Or stammte, mag in der Gruppe zum Anführer gereift sein, der seine Glaubensbrüder in den Wochen der Gefangenschaft zusammenhielt, stärkte, zu Tapferkeit mahnte. Im Video ist zu erkennen, wie er, schon auf den Knien, den Kopf zu seinem Nachbarn, dem schwarzen Matthew aus Ghana, wendet und ruhig wenige Worte zu ihm spricht.

Arbeiten, beten und untrennbar damit verbunden das Leben in und mit der Liturgie der Kirche. Nach den Worten des Pfarrers in El-Or, der die meisten kannte, waren es „normale Jungen, ganz normale Jungen. Niemals hätte ich gedacht, daß das einmal Heilige werden!“

Sie und ihre Familien lehren es erneut: Im Herzen fallen die wesentlichen Entscheidungen des Menschen. Das Herz ist, für Christen zumal, der Hort der Wahrheit, der Ort des Glaubens. Den Emmaus-Jüngern „brannte das Herz“, nicht der Verstand, „als er mit uns redete und uns die Schrift erschloß“. Im neuen Gebot spricht Jesus zuerst das Herz an. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus ganzem Herzen ...“ Das Herz ist, als „die Entscheidungsmitte des Menschen“, wie Josef Pieper sagte, der eigentliche Ort des Glaubensaktes, die wahre Heimat des Glaubens in uns.

In dieser Einfachheit treffen die Kopten ihre Lebensentscheidung, die sie durchhalten ein Leben lang, seit Jahrhunderten. Es ist eine Entscheidung für einen Lebensstil, eine Lebensperspektive, eine Identifikation mit Geschichte, Land und Kultur. Das zeigt schon der Name. Dieses Urvolk am Nil hat in seinem Alphabet mehrere Buchstaben mit hieroglyphischen Wurzeln. Ursprünglich hießen sie „Het Ka Ptah“, und unter griechischem Einfluß wurde daraus „aiguptios“. Die Araber machten daraus Kupt. Das Wort „Kopte“ bedeutet also ursprünglich Ägypter. Erst später wandelte sich seine Bedeutung in Christen mit der Eroberung Ägyptens durch die muslimischen Heere im Jahre 641, denn die Bevölkerung Ägyptens war damals überwiegend christlich. Bis ins 13. Jahrhundert stellten sie die Mehrheit der Bevölkerung. Unter dem Regime der Fatimiden und später auch Saladins erlebten sie sogar eine Phase relativer Autonomie, aber seit den Mamelucken (1250–1517) werden sie unterdrückt – und halten stand.

„Eine Gemeinschaft mit hocherhobenem Haupt“

Auch Mosebach staunt über die Standhaftigkeit der Kopten, „die ein so ausdauernder Druck nicht hat dahinschmelzen lassen. Auch die Einundzwanzig haben diese Standhaftigkeit bewiesen“. Im Standhalten zeigt sich das Wesen der Tapferkeit, das Stand- und Aushalten machte die Kopten zur „Nation des Kreuzes“, an die die Terroristen ihre „Botschaft, geschrieben mit Blut“ vom Mord an den 21, adressierten.

Die Kopten werden weiter standhalten. Von Wahlen in Ägypten, wie jetzt der Präsidentenwahl, erwarten sie kaum Besserung. Die meisten dürften zufrieden sein, daß Präsident as-Sisi weiter regiert. Die Christen in Ägypten erlebten in den zwei Jahren zwischen Mubarak und as-Sisi „die schlimmste Zeit der letzten Jahrhunderte“ – so der koptisch-orthodoxe Bischof Stephanos von Beba und Al-Fashn im Jahre 2011. Sein Patriarch, Tawadros II., dessen Bild in allen Haushalten der Kopten zu finden ist, auch in El-Or, rief in einem Gespräch mit der päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“ die Christen im Westen dazu auf, den Kopten zu helfen, in Ägypten bleiben zu können. Die Präsenz der Christen in Nahost habe immer zum Frieden oder zumindest zu einer gewaltfreien Koexistenz beigetragen. Sie seien ein Puffer im Großkonflikt zwischen Schiiten und Sunniten.

Viele Christgläubige wandern aus: Nach der Revolution von 2011 sollen etwa 100.000 das Land verlassen haben. Aber die koptische Kirche wächst: Mosebach geht von viel mehr als den „acht oder neun Prozent“ der über 96,7 Millionen Einwohner Ägyptens aus, die koptisch-orthodoxe Christen sind: „Es sollen nach der Behauptung der koptischen Bischöfe aber an die 25 Prozent der Bevölkerung sein“, sagte er kürzlich in einem Interview. Eine offizielle ägyptische Statistik gebe es nicht, „weil dem Staat daran nicht gelegen ist“. Wohl aber eine kirchliche. Die Kirchenbücher mit den Eintragungen der Taufen sind untrüglich.

Die Kopten von El-Or leben in Frieden mit ihren muslimischen Nachbarn. Nicht ein einziges Mal hat Mosebach bei den vielen Gesprächen den Ruf nach Vergeltung oder Rache gehört, „der Glanz der Märtyrer überstrahlt die Mörder“. Manchmal bitten die Muslime die Kopten um ihr Gebet, weil sie es für wirkungsvoller halten, obwohl offiziell Christen ein anderes Personenstatut, also nicht die gleichen Rechte haben wie Muslime. Auch beruflich sind sie deutlich diskriminiert. Manche Studiengänge an den Universitäten sind ihnen untersagt. Bei Beförderungen werden sie benachteiligt. Leitungsposten sind ihnen in Ämtern und Unternehmen meist verwehrt. Viele Kopten leben in Armut. Hinzu kommen Terror und Druck der Islamisten. Aber nach Mosebachs Reiseeindrücken hindere alle Verfolgung und Bedrängung „diese Gruppe nicht, einen Staat im Staat zu bilden, eine Gemeinschaft mit hocherhobenem Haupt“. Sie halten durch – dank ihres Glaubens, dank ihrer Märtyrer. Martin Mosebach hat ihnen zu Recht ein Denkmal gesetzt.

Martin Mosebach: Die 21. Eine Reise ins Land der koptischen Martyrer. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018, gebunden, 272 Seiten, 20 Euro

Foto: Die schmerzensreiche Mutter und die gekrönten koptischen Märtyrer: Bishoys (25) und Samuels (22) Mutter vor einem Plakat mit den Häuptern der neuen Heiligen in der Bezirksstadt El-Minya, Oktober 2015