© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/18 / 06. April 2018

Knapp daneben
Frauenarmut im Cyberraum
Karl Heinzen

Seit Juli 2017 ist Mariya Gabriel in der EU-Kommission für „digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ zuständig. Etwaigen Vorkenntnissen hat die ausgebildete Philologin und Politologin ihr Amt nicht zu verdanken. Sie muß daher auch nicht mit solchen glänzen. Allerdings hat sie sich innerhalb weniger Monate bereits so intensiv in die Materie eingearbeitet, daß sie zu philosophischer Hochform aufläuft. „Cyber muß nicht dämlich, langweilig und männlich sein“, weiß sie als Fazit ihres Nachdenkens anzuführen. „Da das Feld der Cyber-Sicherheit wächst, werden wir die ganze Bandbreite der Fähigkeiten und Sichtweisen benötigen, die Frauen einbringen können.“ Leichter gesagt als getan. Als Bulgarin weiß sie, wie schwer patriarchalische Strukturen und Ressentiments zu überwinden sind. In Brüssel hat sie gelernt, daß dieses Problem nicht nur ihr kleines, per se rückständiges Heimatland, sondern den ganzen Kontinent lähmt. Der Frauenanteil der europäischen Cyber-Experten beläuft sich auf gerade einmal sieben Prozent. Insgesamt sind in Technologieunternehmen nur 21,5 Prozent der Arbeitsplätze durch weibliche Beschäftigte besetzt.

Früher gingen unverheiratete Frauen ins Kloster, warum schickt man sie heute nicht in IT-Unternehmen.

Dies zu ändern erfordert nicht bloß einen langen Atem, sondern auch rigide Maßnahmen. Könnte es nicht sein, daß die Menschen durch stereotype Rollenbilder in Film und Fernsehen einen ganz falschen Eindruck von der Welt bekommen, wie sie sein könnte, wenn sie nicht so wäre, wie sie ist? Darüber wird mit den Verantwortlichen der nationalen Medienaufsichtsbehörden zu sprechen sein. Vielleicht könnte man ohne diesen Umweg über eine Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins die Technologieunternehmen aber einfach auch ganz direkt dazu zwingen, mehr Frauen einzustellen? Immerhin verfügt die EU auf dem Gebiet der Regulierung ja über eine gewisse Erfahrung. Was aber, wenn die Firmen die Tore öffnen und die Frauen gar nicht eintreten wollen? Dann wird man wohl bei den Familien ansetzen müssen. Früher war es üblich, daß unverheiratete Töchter ins Kloster gingen, um dort Karriere zu machen. Warum schickt man sie heute nicht in High-Tech-Unternehmen?