© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Turbulenter Naher Osten
Israel und Saudi-Arabien nähern sich an: Gemeinsamer Hauptgegner ist der Iran
Martin van Creveld

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sagt seit über einem Jahrzehnt, Israel sehe den Iran als seinen größten Feind. Das sind gute Nachrichten: Es bedeutet, daß Feinde, die weniger als tausend Kilometer entfernt sind, nicht mehr existieren. Die beeindruckende arabische Koalition, mit der Israel in den Anfangsjahren konfrontiert war, ist längst zusammengebrochen. Ehemalige Mitglieder dieses Bündnisses, wie Ägypten und Jordanien, sind heute offizielle und friedliche Partner Israels. 

Andere Feinde wurden entweder durch einen Krieg von außen wie im Irak, oder durch einen Bürgerkrieg wie in Syrien, zerstört. Manche Länder mußten sogar beides ertragen. Sieht man von verschiedenen terroristischen Organisationen ab, bleibt der Iran der einzige Feind, vor dem Israel wirklich Angst haben muß.

Saudi-Arabien macht sich ebenfalls Sorgen um den Iran. Teilweise liegt das an der uralten und oft blutigen Rivalität zwischen sunnitischen und schiitischen Sekten im Islam, die ihre Zentren jeweils in Riad und Teheran haben. Weiterhin unterstützt der Iran die Huthi-Rebellen im Jemen, die die Saudis zwischen Shylla im Norden und Charybdis im Süden bedrohen. Und die Sorgen der Saudis resultieren zum Teil aus den nuklearen Ambitionen Teherans, die, wenn sie Früchte tragen, ein nukleares Wettrüsten auslösen und die gesamte Region destabilisieren würden. 

„Meines Feindes Feind ist mein Freund.“ Kein Wunder, daß Israel und Saudi-Arabien seit ihrer Gründung vor siebzig Jahren heute enger zusammengewachsen sind als je zuvor. Höhere israelische Vertreter haben wiederholt auf die Existenz der nachrichtendienstlichen Verbindungen zwischen den beiden Ländern hingewiesen. 

Es gab auch Gerüchte über israelische Verkäufe von Anti-Raketentechnologie an die Saudis (über Südafrika). Es kann kein Zufall sein, daß jedesmal, wenn die Saudis eine auf sie abgeschossene Huthi-Rakete zerstören, die Israelis schnell und gründlich darüber informiert werden. Andere Gerüchte weisen auf die Möglichkeit hin, daß, sollte Israel beschließen, das iranische Atomprogramm anzugreifen, sie den Saudischen Luftraum nutzen dürfen. 

Ein auf hebräisch geschriebener Brief, der vom israelischen Außenministerium an seine Vertreter im Ausland geschickt und den Medien zugespielt wurde, weist die Vertreter in den Botschaften an, zu tun, was sie können, um den Saudis im Jemen zu helfen. 

All dies erklärt unter anderem auch, warum Israel keine Schwierigkeiten damit hatte, als Deutschland im Jahr 2011 200 Panzer an die Saudis verkaufte. Es erklärt zudem, warum der jüdische Staat sich nicht gegen die Übertragung einiger kleiner Inseln in der Straße von Scharm el Scheich von der ägyptischen zur saudi-arabischen Hoheitsgewalt im Jahr 2017 ausgesprochen hat. Um zu verhindern, daß der Iran sich in Syrien festsetzt, haben sich Israel und Saudi-Arabien auf der gleichen Seite eingefunden.

Zum Teil, weil sie Angst vor dem Iran haben, zum Teil, weil sie denken, daß sie das Ende des Öl-Zeitalters sehen könnten, und zum Teil wegen interner Spannungen zwischen der alten Elite des Landes und seiner wachsenden jungen Bevölkerung, haben die Saudis eine ganze Reihe von Reformen ins Leben gerufen. Einschließlich – wenn alles gut geht – der Privatisierung der Wirtschaft, des Baus eines riesigen neuen wissenschaftlich-industriellen Komplexes am Roten Meer, einer Lockerung der religiösen Disziplin und der Öffnung des Landes für den Tourismus. 

Und nicht zuletzt die Veränderungen des Status von Frauen, die den Eindruck erwecken sollen, daß das Land tatsächlich versucht, der modernen Welt beizutreten.

Auf den ersten Blick würden verbesserte Beziehungen zu Israel, die von den Vereinigten Staaten unterstützt und gefördert werden, gut zu diesem neuen Saudi-Arabien passen, das der de facto herrschende Kronpinz Mohammed Bin Salman versucht aufzubauen. 

Sicherlich markieren sie eine große Verbesserung gegenüber der Zeit, in der Juden, selbst solche, die Bürger von verbündeten Ländern waren, nicht in das islamische Königreich einreisen durften, und US-Außenminister Henry Kissinger eine Kopie des „Protokolls der Weisen von Zion“ vom damaligen König Faisal überreicht bekam. 

Es gibt jedoch trotzdem Schwierigkeiten. Da ist zunächst die Frage bezüglich Jerusalems, der zweitheiligsten Stadt des Islam, die die Saudis nicht einfach beiseite schieben können. Die zweite Frage ist die der Palästinenser, die nun seit einundfünfzig Jahren unter israelischer Besatzung leben. Die jüngsten saudischen Äußerungen zu diesem Thema, wie die von Kronprinz Bin Salman, „daß Israel das Recht hat zu existieren“, und die seines Vaters, König Salman ibn Abd al-Aziz, beide Länder hätten gemeinsame Interessen, scheinen zumindest momentan ernst gemeint zu sein. 

Wenn das so ist, sind beide in Jerusalem, Washington DC und vielen anderen Hauptstädten willkommen. Aber seien Sie gewarnt. Ein Regierungswechsel in Riad oder ein saudischer Versuch, Nuklearwaffen zu erwerben, kann auf beiden Seiten immer noch zu einem Umdenken führen. Im turbulenten Nahen Osten ist alles möglich.






Prof. Dr. Martin van Creveld ist Militärhistoriker und Buchautor. Er beriet die Streitkräfte mehrerer Nationen und lehrte an den Universitäten Jerusalem und Tel Aviv. Zuletzt erschien sein Buch „Wir Weicheier. Warum wir uns nicht mehr wehren können und was dagegen zu tun ist“.