© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Ein Prophet, dem keiner glaubte
Ausnahmeerscheinung: Vor fünfzig Jahren hielt der englische Politiker Enoch Powell seine berühmt gewordene „Ströme von Blut“-Rede
Konrad Adam

Die zahlreichen Wortmeldungen, die der Vorgänge gedenken, die vor fünfzig Jahren die Deutschen vom Charme der klassenlosen Gesellschaft überzeugen sollten, haben ein Ereignis in den Hintergrund geschoben, an das zu erinnern aller Grund besteht. Es lenkte den Blick auf eine Entwicklung, die ihre ganze Sprengkraft erst mit der Zeit, genauer gesagt: erst jetzt entfaltet hat. Im April des Jahres 1968 hatte Enoch Powell, damals Mitglied im Schattenkabinett des konservativen Parteiführers Edward Heath, in Birmingham, dem Zentrum des verkommenen Industriereviers in den englischen Midlands, eine Rede gehalten, die als „Ströme von Blut“-Rede oder einfach „Blutrede“ um die Welt ging.

Powell hatte es gewagt, den Preis für eine Politik zu beziffern, die von den  strammen Linken der Labour-Party und den naiven Linken, die es ja auch unter den Tories gab, als Aufbruch in die schöne neue bunte Welt der kulturellen Vielfalt gefeiert wurde. Geborener Oppositioneller, der er nun einmal war, machte Powell die Gegenrechnung auf und sagte in Anlehnung an das, was Vergil seinen Römern prophezeit hatte, den Engländern Ströme von Blut für den Fall voraus, daß sie die regellose Einwanderung nicht in den Griff bekämen. 

Er malte eine Zukunft aus, in der sich das Land, dem er im Weltkrieg als Soldat, später als Wissenschaftler und als Abgeordneter gedient hatte, unter dem Ansturm von Einwanderern aus aller Welt gründlich verändert haben würde. Viel Phantasie brauchte es dazu nicht, denn die Invasoren aus dem Commonwealth, aus Indien, aus Pakistan und aus Schwarzafrika, hatten schon damals im Land ihre traurigen Spuren hinterlassen.

Aus dem Schattenkabinett umgehend verstoßen

Gleich zu Beginn seiner Rede zitiert Powell einen älteren Wähler, der ihm von seinen drei Kindern erzählte, die allesamt die Schule bis zum Abitur  durchlaufen, geheiratet und eine Familie gegründet hatten. Die also ein Leben führten, das nicht nur in England als normal betrachtet wurde, ehe die Genderei in Mode kam und alles auf den Kopf stellte. Alle drei wollten aber nicht bleiben, sondern auswandern, weil sie für sich und ihre Kinder im multikulturell entstellten England keine Zukunft mehr sahen.

Das war zuviel – nicht nur für Linke, die sich von allem, was fremd aussah und scharf roch, bereichert fühlten, sondern auch für Edward Heath, der Powell umgehend aus seinem Schattenkabinett verstieß. Er sollte dorthin nie wieder zurückkehren, weder unter Heath noch unter Margaret Thatcher, die es für richtig hielt, die eine Plage, den Zuzug aus aller Welt, durch eine andere, die Heuschrecken von der Wall Street, zu bekämpfen. Sie holte die Boni-Banker ins Land und lud sie dazu ein, von London aus die halbe Erde kahlzufressen. Beide Plagen haben das Gesicht des Landes verändert und von einer Gesellschaft, die das Gesetz hochhielt, die sich der Tradition verpflichtet fühlte und die Institutionen achtete, nicht viel übriggelassen.

Auch in England, das die extravaganten Gestalten liebte und schätzte, war Powell eine Ausnahmeerscheinung. Als Altphilologe, der mit 24 Jahren seinen ersten Lehrstuhl bezog, hatte er ein Lexikon zu Herodot herausgebracht, dem griechischen Historiker, der über die Kriege zwischen Hellenen und Barbaren berichtet hatte. Den Weltkrieg hatte er im Rang eine Brigadegenerals beendet, danach ein Unterhaus-Mandat für die Tories erobert und jahrelang gehalten. Er wußte noch, daß er als Abgeordneter die Interessen des gesamten Volkes, nicht irgendwelcher lärmender Minderheiten zu vertreten hatte, und die Wähler dankten es ihm.

Wer seine Birminghamer Rede heute liest, erkennt schon an der Sprache den himmelweiten Unterschied zwischen dem politischen Stil damals und dem, was neuerdings in Parlamenten oder, schlimmer noch, auf Parteitagen zum besten gegeben wird. Powell konnte noch damit rechnen, daß Namen wie Vergil und Anspielungen auf die Geschichte Roms von seinen Zuhörern verstanden wurden. Seit Maggie Thatcher und ihr Musterschüler Tony Blair die Schulen und die Universitäten des Landes auf Effizienz getrimmt haben, ist das anders geworden. Jetzt herrscht der Markt oder besser: die Märkte, und die kennen nur noch einen einzigen Wert, die bare Zahlung.

Liberale wie John Stuart Mill fürchteten sich vor einer Tyrannei der Mehrheit;  Powell nicht. Er warnte seine Engländer vorm Gegenteil, vor einer Minderheiten-Diktatur, die das Land spaltet: oben die Mandarine aus Parteien und Verbänden, aus Wirtschaft, Medien und Kirchen, die den Zugang zur Wahrheit besetzt halten und den Leuten ein X für ein U vormachen; unten die vielen, die machtlose Mehrheit, die von den Herrschern beleidigt, verachtet und geschurigelt wird, wenn sie es wagt, ihre Meinung zu sagen. Die Schlagwörter, mit denen ihr der Mund gestopft werden soll, hießen schon damals „diversity“, „humanity“, „open society“ und so weiter. Und wurden schon damals dazu benutzt, das Gegenteil von dem durchzudrücken, für was sie früher einmal gestanden hatten.  

Wen die Götter verderben wollen, dem rauben sie den Verstand, hatte Powell ein altes Sprichwort zitiert – „und ersetzen ihn durch Phrasen“, wäre aus heutiger Sicht hinzuzufügen. Powell gab nichts auf Phrasen, für ihn zählte die Wirklichkeit; auch deshalb hat er recht behalten. In Rotherham, wo eine Bande von gebürtigen Muslimen weit über tausend junge Frauen systematisch versklavt und zur Prostitution gezwungen hatte, haben die zuständigen Behörden jahrelang eben jenen Rassismus geduldet und sogar gedeckt, den zu befördern sie Powell vorgeworfen hatten. Sie praktizierten einen linken, modernen, fortschrittlichen Rassismus, den zu dulden und zu decken kein Opfer groß genug sein durfte. Vor allem dann nicht, wenn es die anderen waren, die das Opfer bringen mußten.

Die multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert; zu einem Preis, der selbst dann, wenn wir heute noch beschlössen, das Experiment abzubrechen, von Jahr zu Jahr steigen wird. Eine Gesellschaft besteht eben nicht aus Legobausteinen, die man nach Lust und Laune auseinanderreißen und nach irgendwelchen  abenteuerlichen Plänen neu zusammensetzen kann. Auf diese Erkenntnis haben die Engländer mit dem Brexit reagiert; hoffentlich nicht zu spät. Sie wollen der Brüsseler Zentralmacht entkommen, nach ihren eigenen Gesetzen leben und ihre Landesgrenzen selbst kontrollieren. Die Demokratie braucht eben Grenzen, denn nur wenn klar ist, wer dazugehört, vor allem aber auch: wer nicht, lassen sich Freiheit und Sicherheit bewahren. 

Irgendwann wird das wohl auch den Deutschen dämmern; hoffentlich nicht zu spät.





Auszug aus der Powell-Rede

„Tausende und Hunderttausende sagen und denken dasselbe, vielleicht nicht überall in Großbritannien, aber doch in jenen Gebieten, in denen bereits die völlige Verwandlung begonnen hat, die in tausend Jahren englischer Geschichte keine Parallele hat. Hält der derzeitige Trend an, werden in 15 oder 20 Jahren dreieinhalb Millionen Einwanderer aus dem Commonwealth und ihre Nachkommen in diesem Land leben. (…) Natürlich werden sie sich nicht gleichmäßig zwischen Margate und Aberystwyth und zwischen Penzance und Aberdeen verteilen. Über England verstreut werden Einwanderer und ihre Nachkommen ganze Gegenden, Städte und Stadtteile besetzt haben.

Die natürliche und vernünftige Frage einer Nation, der derartige Aussichten bevorstehen, lautet: „Wie läßt sich ihr Ausmaß reduzieren?“ Kann begrenzt werden, was zugegebenermaßen nicht vollkommen zu vermeiden ist, wenn man bedenkt, daß Zahlen von äußerster Wichtigkeit sind: Die Bedeutung und die Folgen der Einführung eines fremden Elements in ein Land oder eine Bevölkerung unterscheiden sich grundlegend, je nachdem, ob dieses Element ein Prozent oder zehn Prozent ausmacht. Die Antworten auf diese simple, vernünftige Frage sind ebenso simpel und vernünftig: indem man weiteren Zufluß stoppt oder so gut wie stoppt und einen maximalen Abfluß fördert.“